SPD-Medienpolitiker wollen Online-Razzien nicht einfach abnicken

Bei den Genossen gibt es Widerstand gegen "übereilte Entscheidungen" zu heimlichen Online-Durchsuchungen, während zivilgesellschaftliche Organisationen die bisherigen Entwürfe für "Makulatur" halten und den Bundestrojaner "notgeschlachtet" sehen.

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Während die Fraktionsspitzen der großen Koalition nach dem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts über heimliche Online-Durchsuchungen die rasche Verabschiedung einer entsprechenden Lizenz zumindest für das Bundeskriminalamt in Aussicht gestellt haben, warnen SPD-Medienpolitiker vor "übereilten Entscheidungen". Was die Umsetzung der Entscheidung des Verfassungsgerichtes anbelange, müsse der Grundsatz gelten: "Gründlichkeit vor Schnelligkeit", erklärte die Sprecherin der Arbeitsgruppe Medien der SPD-Bundestagsfraktion, Monika Griefahn, gemeinsam mit dem medienpolitischen Sprecher Jörg Tauss. Es gelte nun, die Vorgaben aus Karlsruhe vor dem Hintergrund des neu formulierten Grundrechtes auf Vertraulichkeit und Integrität von IT-Systemen "sorgfältig zu prüfen" und den Entwurf des BKA-Gesetzes zu korrigieren.

Demgegenüber unterstrich der innen- und rechtspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Stephan Mayer, dass das BKA "nun ohne Verzögerung die gesetzliche Befugnis für Online-Durchsuchungen erhalten muss". Bestätigt sieht er zudem die Forderung der Bayern, den so genannten Bundestrojaner "auch zum Zweck der Strafverfolgung einzusetzen". Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) forderte er auf, "zügig einen Gesetzentwurf dazu vorlegen". Das Bundesverfassungsgericht habe generell anerkannt, "dass die Computerfestplatte kein Bereich sein darf, in dem sich Terroristen ungestört organisieren können". Zypries selbst hat angekündigt, eine Überarbeitung der Strafprozessordnung in diesem Sinne zu prüfen.

Die Bundesvorsitzende der Humanistischen Union, Rosemarie Will, liest den Bescheid der roten Roben anders: "Das Verfassungsgericht hat erkannt, dass die Nutzung elektronischer Informationssysteme zum Alltag vieler Bürger gehört." Sie hätten einen Anspruch darauf, diese neuen Techniken "in einer freiheitlichen Weise nutzen zu können, ohne sich ständig vor einer staatlichen Überwachung sorgen zu müssen". Mit Blick auf die bisherigen Vorstöße zur Einführung von Online-Razzien betonte die Rechtsprofessorin: "Die Daten privater Computer sind nach dem heute ergangenen Urteil für die Strafverfolger und Geheimdienstler weitgehend tabu, die bisherigen Gesetzentwürfe aus Berlin und Bayern Makulatur." Das Verfassungsgericht habe für mögliche Eingriffe in die digitale Privatsphäre "erstaunlich klare Grenzen" gezogen.

Als "Bahn brechend" feierte padeluun als Vertreter des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung die "ausführliche und erstmalige Würdigung der Tatsache, dass heutzutage auch informationstechnische Systeme oftmals dem besonders zu schützenden Kernbereich privater Lebensführung zuzurechnen sind". Angesichts der Urteilsbegründung geht der Zusammenschluss von Bürgerrechtlern davon aus, "dass es technisch nicht möglich sein wird, eine grundrechtskonforme Einführung der Online-Durchsuchung umzusetzen". Die technischen Hürden, die privaten Daten unangetastet zu lassen, dürften kaum zu überwinden sein.

Der Arbeitskreis erwartet eine grundlegende Überarbeitung des Entwurfs für die Novelle des BKA-Gesetzes. Allerdings sei dieser auch ohne Online-Durchsuchung "brandgefährlich", warnte Ricardo Cristof Remmert-Fontes. "Dem BKA sollen geheimdienstliche Befugnisse zugeteilt werden, auch sollen Weisungsgebundenheit und Rechenschaftspflicht weitgehend wegfallen." Eine solche künftige "Geheime Bundeskriminalpolizei" müsse auf jeden Fall verhindert werden. Kritisch bewerteten die Aktivisten die grundsätzliche Erlaubnis zur Quellen-Telekommunikationsüberwachung, also zum Abhören von Internet-Telefonaten vor dem Einsatz von Verschlüsselung.

Der Chaos Computer Club (CCC) freut sich derweil, dass das von ihm seit dem Volkszählungsurteil vor 25 Jahren geforderte "Recht auf eine digitale Intimsphäre" nun den Segen der obersten Richter habe. Die Gedanken seien gemäß dem Urteil "auch dann frei, wenn sie auf einem Computer gespeichert sind". Der Schutz des digitalen Ichs betreffe aber nicht nur PCs, sondern auch Telefone und sonstige vernetzte Geräte. CCC-Sprecher Dirk Engling verlieh zugleich der Hoffnung Ausdruck, "dass die Internetausdrucker in der Politik kein weiteres Vierteljahrhundert brauchen, bis sie dieses neue Grundrecht verinnerlichen".

Auch die Auswertung von beschlagnahmten Daten wird sich laut den Hackern an den Maßstäben des neuen Grundrechts orientieren müssen. Die Prozeduren der Ermittlungsbehörden bei der digitalen Beweiserhebung seien umgehend auf den Prüfstand zu stellen. Die in letzter Zeit üblich gewordene Durchfilzung von Festplatten durch Privatfirmen sei mit der Entscheidung klar verfassungswidrig. Weiter hätten die Richter festgelegt, dass informationeller Selbstschutz durch Verschlüsselung von Daten ein Recht sei, das nur unter sehr engen Voraussetzungen ausgehebelt werden dürfe.

Der Ausblick des CCC auf die politischen Reaktionen ist trotzdem skeptisch. Der Bundestrojaner sei zwar "regelrecht notgeschlachtet" worden. Man erwarte jedoch nicht, dass Innenpolitiker wie Bundesminister Wolfgang Schäuble (CDU) "plötzlich die Verfassung ernst nehmen". Das neue Grundrecht werde "erst durch aggressive Verteidigung und Anwendung lebendig". Hier seien "wir alle gefragt".

Siehe zur aktuellen Entscheidung über die heimliche Online-Durchsuchung von PCs auch:

Zu den Auseinandersetzungen um die Terrorismus-Bekämpfung, die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:

(Stefan Krempl) / (vbr)