Gegner der Vorratsdatenspeicherung sehen Verfassungsbeschwerde auf gutem Weg

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die Zuständigkeiten für die Klagen gegen die Neuregelung der TK-Überwachung nach Sachthemen aufzuteilen, als "salomonisch" begrüßt.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 141 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Peter-Michael Ziegler

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die Zuständigkeiten für die Verfassungsbeschwerden gegen die Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung nach Sachthemen aufzuteilen, als "salomonisch" begrüßt. Damit könnten die "breiten und umfassenden Bedenken" der Bürger gegen die Ausweitung verdachtsunabhängiger Beschattungsinstrumente gut berücksichtigt werden. Für den Hauptteil der Verfahren einschließlich der Klage des Arbeitskreises ist gemäß der am Dienstag getroffenen Festlegung der Erste Senat unter Vorsitz von Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier zuständig. Weitere Beschwerden, die sich gegen strafprozessuale Regelungen richten, wurden dem Zweiten Senat zugeschlagen.

"Unsere Beschwerdeschrift beruft sich auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Volkszählung, zur Rasterfahndung und zur Abfrage von Verbindungsdaten", erläutert Patrick Breyer von dem Zusammenschluss von Bürgerrechtlern, Datenschützern und Internetnutzern. "Sämtliche dieser Entscheidungen sind vom Ersten Senat gefällt worden." Dass dieser nun über die Anfang des Jahres in Kraft getretene Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten entscheide, lasse erwarten, dass das neue Überwachungsgesetz "an der bisherigen bewährten Rechtsprechung gemessen wird".

Aber auch im Hinblick auf die Klärung des Verhältnisses von deutschem zu europäischem Recht habe das Verfahren Präzedenzcharakter, ergänzt Ricardo Cristof Remmert-Fontes von der Aktivistenvereinigung. Sollte die deutsche Umsetzung der Brüsseler Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung aus grundsätzlichen Erwägungen für nichtig erklärt werden, bliebe die entsprechende EU-Richtlinie formal bestehen. Diese Widersprüchlichkeit im EU-Recht müsse aufgelöst werden.

Der Arbeitskreis kündigte weiter an, dass die Erfassung der über 30.000 schriftlichen Vollmachten für die Verfassungsbeschwerde des Arbeitskreises in Kürze abgeschlossen sein und dann komplett an das Bundesverfassungsgericht übergeben werde. An Silvester hatte der federführende Anwalt, Meinhard Starostik, zunächst im Namen von acht Erstbeschwerdeführern Klage in Karlsruhe erhoben. Die Gruppierung erwartet eigenen Angaben zufolge ferner in Kürze eine Entscheidung der Verfassungsrichter über den bereits gestellten Eilantrag, die anlasslose Protokollierung der Nutzerspuren bis zur Hauptsachenentscheidung auszusetzen. Um das Begehren weiter zu stützen, sammelt der Arbeitskreis momentan Berichte über erste konkrete Auswirkungen der Massendatenlagerung. Wer seit Jahresbeginn Kommunikationsstörungen oder sonstige negative Auswirkungen der Vorratsdatenspeicherung erlebt habe, möge sich an das Bündnis wenden.

Beunruhigt zeigen sich die Bürgerrechtler auch über Vorstöße zur Vorratsdatenspeicherung im Reiseverkehr etwa im Rahmen der geplanten EU-weiten Erfassung von Flugpassagierdaten oder der hierzulande vorbereiteten Vorhaltung von Informationen über Seereisende. "In Zukunft soll der Zugriff auf alle mögliche Datenbestände und Datenbanken jederzeit online möglich sein", fürchtet Remmert-Fontes. Dabei mache es innerhalb vernetzter Systeme keinen Unterschied mehr, "ob alle Fingerabdrücke, alle Telekommunikationsdaten, Reisebewegungen und Gesundheitsdaten auf vernetzten Systemen liegen oder in einer zentralen Behörde".

Bei der Wirtschaftsinitiative "no abuse in internet" (naiin) sind derweil Zweifel am Nutzen der Vorratsdatenspeicherung laut geworden. Die Einrichtung zur Bekämpfung von Online-Kriminalität sorgt sich sogar, dass die Aufklärung von per Internet verübten Straftaten durch die massenhafte Speicherung von Verbindungsdaten weiter erschwert werde. "Es ist davon auszugehen, dass sich Täter in dem Wissen, ständig überwacht zu werden, stärker abschirmen werden als bisher", gibt naiin-Präsident Arthur Wetzel zu bedenken. Der Grad der Abschottung, der etwa bei Terroristen und Kinderporno-Zirkeln ohnehin schon sehr hoch sei, dürfte so weiter zunehmen. Selbst Kleinkriminelle würden fortan wohl vorsichtiger agieren und somit angesichts der technischen Möglichkeiten zur Umgehung der pauschalen Überwachungsmaßnahme schwerer zu fassen sein.

Der Verbund hatte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) im Herbst 2006 den Rücken gestärkt für dessen Vorhaben, zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus die Kommunikationsströme im Internet stärker zu kontrollieren. Nach wie vor sei man der Ansicht, heißt es nun, dass auf neue Bedrohungen angemessen reagiert werden müsse. Die Aushöhlung von Bürgerrechten und die Installation eines "hierzulande noch nie da gewesenen Überwachungsapparats" habe mit rechtsstaatlicher Kriminalitätsbekämpfung allerdings nicht mehr viel zu tun. Zugleich beklagte Wetzel, dass bei der Verhinderung der Vorratsdatenspeicherung bislang "einschließlich des Bundespräsidenten nahezu alle Kontrollinstanzen des Staates versagt haben". Nun baue naiin auf den Richterspruch aus Karlsruhe. (Stefan Krempl) /

Siehe dazu auch:

Zu Details der neuen Telekommunikationsüberwachung und der auf Vorrat gespeicherten Verbindungsdaten siehe:

Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe:

(pmz)