Streit über EU-Programm – Deutsche Forscher bangen um Fördermittel

EU-Politiker betonen stets, wie wichtig Forschungsgeld für Europas Innovationsfähigkeit ist. Doch welche Projekte sollen wie gefördert werden? Deutsche Organisationen wie die Fraunhofer-Gesellschaft wehren sich gegen geplante EU-Regeln.

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Von
  • Wolf von Dewitz
  • dpa

Simplere Regeln, weniger Fehler – wer will das nicht? Das mag sich auch die EU-Forschungskommissarin Máire Geoghegan-Quinn gedacht haben, als sie 2011 das Förderprogramm "Horizon 2020" entwarf. Die Bearbeitung der Zuschussanträge von Europas Forschern sollte drastisch vereinfacht und die Fehlerquote bei der Kostenerstattung gesenkt werden. Die Wissenschaftler sollten in Laboren tüfteln, anstatt ihre wertvolle Zeit im Papierkrieg beim Antragstellen zu vergeuden, warb die Irin für ihre Pläne.

Die Krux an der Sache: Die neuen Regeln würden zu Lasten von Organisationen wie der Fraunhofer-Gesellschaft gehen. Davon wären auch Forscher in Berlin und Brandenburg betroffen – beispielsweise das Potsdamer Institut für Angewandte Polymerforschung, wo etwa Hochleistungsfasern für Autos entwickelt werden. Am Berliner Heinrich-Hertz-Institut grübeln Experten über Highspeed-Datentransfers, in Teltow entwickeln sie Nanomaterialien. Solche Einrichtungen profitieren bislang von EU-Forschungsgeld – nun droht ihnen der Rotstift.

Inzwischen streiten Unterhändler von Europaparlament und EU-Staaten über das Regelwerk. Der zuständige EU-Parlamentarier, Christian Ehler (CDU), lehnt die Kommissionspläne strikt ab, sein Verhandlungspartner von Seiten der EU-Staaten, der irische Botschafter Tom Hanney, ist vehement dafür. Hanney schließt einen Kompromiss kategorisch aus. "Der Rat wird seine Position hierzu unter gar keinen Umständen ändern", sagte Hanney.

Hauptkonfliktpunkt ist die Frage, was Forscher alles abrechnen dürfen, um EU-Fördergeld zu bekommen. Bisher können sie sowohl direkte als auch indirekte Kosten anrechnen lassen. Also sowohl Finanzposten, die ausschließlich für ihr Projekt anfallen – etwa fürs Personal –, als auch Geld für die Miete von Gebäuden oder für Maschinen, die nur zeitweise benutzt werden. Da Hightech-Maschinen oft den Löwenanteil des Projektbudgets ausmachen, ist dieser Kostenblock wichtig für Forscher mit marktorientierten Produkten.

Die Abrechnung der indirekten Kosten ist aber kompliziert – nicht selten werden falsche Belege eingereicht und Fördergeld muss zurückverlangt werden. Mit dem neuen Kostenmodell der EU-Kommission würde sich das Problem erübrigen, weil Fehler kaum noch möglich sind. Denn die Brüsseler Behörde will indirekte Kosten im "Flatrate"-Modell pauschal abgelten. Da kann es passieren, dass der Geisteswissenschaftler für seinen Laptop genauso viel Geld bekommt wie ein Biophysiker für sein Hightech-Laborgerät.

"Das geht völlig an den Bedürfnissen von innovativen Forschern vorbei", empört sich Parlamentarier Ehler. Er pocht darauf, dass die Forscher weiterhin im sogenannten Vollkostenmodell abrechnen dürfen – und dann mehr Geld für ihre teuren Maschinen bekommen. "Wenn die Kommission von Vereinfachung spricht, so meint sie Vereinfachung nur für sich selbst", sagt Ehler. "Aber es darf doch keine neuen Regeln geben, nur um der Kommission das Leben leichter zu machen."

Den Streit übwe die Kostenmodelle führt Ehler wohl auch deshalb so verbissen, weil der Rat auch andere Vorschläge von ihm ablehnt. Wenn es nach ihm geht, müssen die Behörden künftig innerhalb eines halben Jahres Förderanträge annehmen oder ablehnen. Außerdem sollen die Tüftler nicht warten müssen, bis die Kommission Förderprojekte ausschreibt – sondern selbst Anträge zu eigenen Ideen einreichen dürfen. "Zu all dem bewegt sich der Rat überhaupt nicht", murrt der Christdemokrat.

Zudem ist Ehler tief enttäuscht über Europas Staats- und Regierungschefs, die das Siebenjahresprogramm Horizon 2020 einkürzen wollen – statt der vom Parlament avisierten 100 Milliarden Euro und der von der Kommission vorgeschlagenen 80 Milliarden sollen es nur noch 70 Milliarden werden. Damit würde sich Europa von seinem Innovationskurs verabschieden, beklagt sich Ehler. Die Budgetfrage ist aber nicht Bestandteil der Regeln, für die Ehler zuständig ist.

Ähnlich tief sind die Sorgenfalten beim Fraunhofer-Büroleiter in Brüssel, Patrick Bressler. Knapp 90 Millionen Euro warb seine Gesellschaft im Jahr 2012 von der EU als Forschungsförderung ein. Wäre damals das Flatrate-Modell angewandt worden, wären es etwa 10 Millionen Euro weniger gewesen. Ein theoretischer Wert, denn: "Die meisten Projekte wären überhaupt nicht beantragt worden, weil sie unterfinanziert gewesen wären."

Sollte das von der EU-Kommission vorgeschlagene Modell kommen, würde sich Fraunhofer nur noch auf einige wenige, strategisch wichtige EU-Förderprojekte konzentrieren können, sagt Bressler. Er ist mit seiner Haltung nicht allein – auch die Leibniz-Gemeinschaft sieht das vorgeschlagene Modell sehr kritisch.

Politiker Ehler und Botschafter Hanney treffen sich am Montag erneut am Verhandlungstisch. Gibt es keinen Kompromiss, könnte sich das grüne Licht für das neue EU-Programm um Monate verzögern. Einige Projekte müssten auf die lange Bank geschoben werden. "Das wäre ein Bruch für die Forscher", warnt Fraunhofer-Vertreter Bressler. Die hochqualifizierten Mitarbeiter würden wohl nicht tatenlos warten: "Die sind dann weg – und der Projektleiter fängt bei null an." (anw)