Big Brother Awards Frankreich: Kein Preis für Sarkozy

Die Jury befand, der französische Staatspräsident müsse eine genetische Veranlagung haben, die ihn zwinge, immer neue Überwachungsszenarien auszudenken. Geehrt wurden u. a. die französische Nationalversammlung und Google als größte Datenschutzverletzer.

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Von
  • Detlef Borchers

Bei der Verleihung der französischen Big Brother Awards 2007 ist der französische Staatspräsident Nicholas Sarkozy zum zweiten Male leer ausgegangen. Die Negativpreise machen die Täter bekannt, die sich nicht um den Datenschutz kümmern, die manchmal unter Missachtung gesetzlicher Vorschriften erstaunliche Dinge mit den Daten machen; in Deutschland wurden sie zuletzt im Oktober vergangenen Jahres vergeben, in Österreich wenige Tage später.

Die französische Jury befand, dass Sarkozy eine genetische Veranlagung haben müsse, die ihn zwinge, immer neue Überwachungsszenarien auszudenken. Daher wurde Sarkozy von der Preisvergabe ausgeschlossen. An seiner Stelle kassierte die französische Nationalversammlung den Preis für ihre Bereitschaft, die Pläne von Sarkozy kritiklos abzunicken. Bei den am Karfreitag in Paris verliehenen Negativ-Auszeichnungen gab es auch internationale Gewinner. So kassierte die Suchmaschine Google den in Frankreich Orwell-Preis genannten Award für ihr Lebenswerk, ständig europäische Datenschutzgesetze zu ignorieren.

Wie im Vorjahr musste die französische Jury mit dem Problem kämpfen, dass Staatspräsident Sarkozy mit einer Vielzahl von Initiativen, Gesetzesänderungen und Verschlimmbesserungen der Polizeiarbeit im Jahre 2007 die Liste der möglichen Kandidaten für den Orwell-Preis derart dominierte, dass andere Datenkraken kaum noch wahrgenommen wurden. Sie löste das Problem im Sinne des Philosophen Michel Onfray, der nach einem Interview mit Sarkozy bei diesem eine genetische Veranlagung zur Überwachung der Staatsbürger diagnostizierte. In dieser Logik wurde Sarkozy von der Preisverleihung ausgeschlossen, was wohl auch für zukünftige französische Big Brother Awards gelten dürfte.

Den Preis in der Kategorie Staat kann sich Sarkozy dennoch gutschreiben lassen. Diesen Preis bekam die Nationalversammlung für die Zustimmung zu einem von Sarkozys Experten ausgearbeiteten Sicherheitsgesetz, mit dem "Experten" Empfehlungen für Verhaftungen "potenzieller Gefährder" aussprechen können, ohne dass ein Staatsanwalt im gängigen Verfahrensablauf diese Verhaftung anordnet. In dieser Form würde die Gewaltenteilung im Staat zerstört, befanden die Jurymitglieder.

Den Preis in der Kategorie Wirtschaft bekam die französische Dependance von Taser International, allerdings nicht für die Elektroschock-Waffe Taser, sondern für den Bau und Vertrieb von Quadcopter-Drohnen namens "Quadri-France", für die Taser International France einen eigenen Betrieb mit 240 Angestellten gegründet hat. Diese Drohnen sollen als "Luftaugen" bei einem Polizeieinsatz gegen Demonstranten in Reims im Februar 2008 erstmals eingesetzt worden sein. Taser International gewann knapp vor den Lobbyistengruppen der französischen Medizinindustrie, die erweiterte Zugriffsmöglichkeiten auf die französische elektronische Patientenakte fordert.

Den Lokalpreis gewann der Präsident der Universität Lyon II für die Benutzung von "seinen" Studenten zu verschiedenen Untersuchungen über effiziente Methoden zur Videoüberwachung. Die von der Firma Foxstream durchgeführten Untersuchungen mündeten in das Überwachungssystem Foxvigi, dessen Effizienz der Präsident wiederum als Gutachter bescheinigt. Den Preis in der Kategorie Neusprech gewann eine Sendung des Fernsehsenders France 2 zum Umgang mit illegalen Immigranten. Ein "eingebetteter" Reporter erklärte das Aufspüren und Ausweisen von Flüchtlingen aus Afrika durch die französische Ausländerbehörde als "pädagogische Maßnahme".

Ähnlich wie etwa die Schweizer Big Brother Awards vergibt auch die französische Jury einen Positivpreis an Menschen oder Organisationen, die sich besonders für den Datenschutz engagieren. Dieser Prix Voltaire genannte Preis ging für das Jahr 2007 an das Collectif refus ADN, eine Organisation, die die willkürliche Abnahme von DNA-Daten und die Langzeitspreicherung dieser Daten für polizeiliche Zwecke bekämpft. Auf den zweiten Platz kam die Gewerkschaft der Krankenhausangestellten für ihre Weigerung, Patienten RFID-Armbänder zur einfacheren Identifizierung anzulegen. (Detlef Borchers) / (jk)