c't-Labs: Leistung messen, aber bitte genau

Die elektrische Leistung kann man mit dem Stromkostenzähler aus dem Baumarkt messen, doch wenn es präzise sein soll, ist viel mehr Aufwand nötig. Doch auch unsere Profigeräte haben ihre Tücken.

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Von
  • Benjamin Benz

Das Leistungsmessgerät LMG95 misst mit einer enormen Genauigkeit und ist damit das Arbeitspferd in den c't-Laboren.

Vom dicken Server über PC, Notebook, Drucker und Beamer bis zum MP3-Player oder Smartphone: Bei praktisch jedem Stück Hardware messen wir, wie viel elektrische Leistung es aufnimmt. Denn die bestimmt die Stromkosten. Vor allem bei ständig durchlaufenden Verbrauchern wie DSL-Routern oder Powerline-Adaptern und stetig steigenden Kilowattpreisen macht sich jedes einzelne Watt auf der Stromrechnung bemerkbar. Unser Arbeitspferd dafür ist das "Präzisions-Leistungsmessgerät" LMG95 von ZES Zimmer Electronic Systems.

Benjamin Benz

hat einen Job als Ingenieur aufgegeben, um bei c't immer mal wieder über den Tellerrand zu schauen und nicht zum Fachidioten zu werden. In den c't-Laboren gibt es aber erfreulicherweise so viel Messtechnik, dass bislang wenig Heimweh aufkam.

Der Blick in die Preislisten der Firma Zimmer treibt Budget-Verantwortlichen den Angstschweiß auf die Stirn – insbesondere dann, wenn man für ein große Redaktion nicht nur eines, sondern gleich sechs Exemplare haben will. Dagegen bekommt man in jedem Baumarkt ein Leistungsmessgerät für eine handvoll Euro praktisch hinterher geworfen. Auch wenn einige davon im c't-Test ganz passabel abgeschnitten haben, spielt das LMG95 in einer völlig anderen Liga. Handmultimeter können zwar ebenfalls Leistung messen, die Genauigkeit lässt jedoch zu wünschen übrig. So darf etwa das 180 Euro teure Voltcraft VC940 laut Handbuch bei einer 5-Watt-Last irgendwas zwischen 2,9 und 7,1 Watt anzeigen, ohne seine Spezifikation zu verlassen.

Für uns sind drei Eigenschaften des LMG95 besonders wichtig:

  1. Wir können viele verschiedene Geräte vermessen, ganz egal ob sie mit Wechsel- oder Gleichspannung versorgt werden, ob sie sich wie eine ohmsche Last verhalten oder stark nichtlinear sind. Für die einzelnen Messungen haben wir diverse Adapter gekauft und gebaut – etwa für SATA-Platten, USB-Geräte, Smartphone-Akkus oder PCs mit Kaltgeräteanschluss.

  2. Das LMG95 bietet eine enorme Grundgenauigkeit. So beziffert Zimmer die Messunsicherheit der Standardversion für die Messungen der Wirkleistung bei 230 Volt Wechselspannung (50 Hz) mit 0,015 Prozent vom Messwert zuzüglich 0,01 Prozent vom Messbereich. Es stehen sowohl für Spannung als auch Strom jeweils acht Messbereiche zur Verfügung, die Messbereichswahl erfolgt normalerweise automatisch, manuelle Eingriffe sind aber möglich. Reicht der Messbereich doch nicht aus – etwa für sehr kleine Ströme –, können wir auf externe Messwiderstände (Shunts) ausweichen.

  3. Außer der Watt-Zahl oder der aufgenommenen Energie in Watt-Stunden zeigt das LMG95 auf Wunsch auch Strom, Spannung und weitere Kenngrößen an. Auf Knopfdruck mittelt das Gerät über ein zuvor eingestelltes Intervall.

Der grafische Plot zeigt sehr schön an, ob und wie ein PC die unterschiedlichen Stromsparmodi handhabt.

Das LMG95 kann mit einer einfachen Oszilloskop-Funktion sogar den zeitlichen Verlauf von Messgrößen darstellen und so beim Aufspüren von Problemen helfen – etwa PCs die gelegentlich drosseln oder den Turbo-Modus nicht dauerhaft halten können. Für Langzeitbeobachtungen – etwa im Rahmen der SPECpower-Messungen haben einige unserer LMGs auch Datenschnittstellen (RS-232, RS-485, IEEE 488). Dank einer Abtastrate von 500 kHz können wir nicht nur bei nichtlinearen Verbrauchern genau messen, sondern auch den Oberwellenanteil des Verbraucherstroms bis 2,5 kHz sicher erfassen.

Die hohe Genauigkeit liefert das LMG95 freilich nur unter ganz bestimmten Bedingungen:

  • Das Gerät muss mindestens eine Stunde vorwärmen (Im Laboralltag läuft es ohnehin fast den ganzen Tag).
  • Die Umgebungstemperatur muss zwischen 20 und 26~~°C liegen. Warum das nicht immer ganz einfach ist, lesen Sie im Blog-Beitrag Genau messen dank Gewitter.
  • Das LMG95 muss regelmäßig zur Kalibrierung zurück zum Hersteller.
  • Zusätzlich gelten die Datenblattwerte nur für sinusförmige Ströme und Spannungen.

Um Ihnen einen Eindruck von der für uns tatsächlich erreichbaren Genauigkeit zu geben, hat ein Kollege den Messfehler für einen nichtlineare Last von 2,8 Watt am 230-Volt-Netz berechnet: ±0,04 Watt. Das ist um mehrere Klassen besser als bei 10-Euro-Baumarktgeräten. Dennoch hüten wir uns davor, Messwerte mit der maximalen Anzahl an Nachkommastellen zu veröffentlichen. Ein paar davon in der Hinterhand zu haben, lässt uns aber ruhiger schlafen – und stärkt unsere Position, falls es doch mal zum Streit mit einem Gerätehersteller kommt ...

Um das "Signal" für einen grafischen Plot auszuwählen muss man per Drehrad dessen genaue Bezeichnung eingeben, Buchstaben für Buchstaben.

Kurzum: Das LMG95 ist eines unserer wichtigsten Werkzeuge, aber es gibt auch eine Schattenseite: Sollte es irgendwo einen Wettbewerb für die "Bastard GUI of Hell" geben, dann möchte ich hiermit die Bedienoberfläche des LMG95 nominieren. Auf meiner persönlichen Hassliste ganz weit oben steht die Auswahl einer Messgröße für den grafischen Plot: Dazu muss man nicht nur wissen, wie diese intern bezeichnet wird (etwa Itrms), sondern diese Zeichenkette auch Buchstabe für Buchstabe per Drehrad im Alphabet ansteuern und dann per Tastendruck bestätigen – fein unterschieden nach Groß- und Kleinbuchstaben, versteht sich.

Ein Kollege, der das LMG95 noch öfter benutzt als ich, wandte beim Lesen dieser Zeilen ein, dass er für diese Aufgabe irgendwo auch mal ein spezielles Dropdown-Menü entdeckt hätte. Wie man das allerdings herbeizaubert, müsste er aber auch wieder im Handbuch nachlesen. Ok, ok, auch für c't-Redakteure gilt RTFM, aber ein dickes Handbuch rechtfertigt trotzdem keine miese Benutzerführung.

LMG95 (9 Bilder)

Das LMG95 misst Strom und Spannung auf einer Phase mit 500 kHz Abtatsrate. So können wir die elektrische Leistung sehr genau erfassen.

(bbe)