Unter Strom - Vattenfall muss um Netze bangen

Für Vattenfall steht einiges auf dem Spiel: Wenn es nach dem Willen vieler Bürger geht, sollen die Schweden die Stromnetze in den größten deutschen Städten verlieren. Bläst Stockholm dann zum Rückzug?

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Von
  • Theresa Münch
  • dpa

"Tschüss Vattenfall" titeln sie im Norden, "Vattenfall den Stecker zieh'n" in der Hauptstadt – der schwedische Energieriese hat in Deutschland gerade längst nicht nur Freunde. In Berlin und Hamburg, den beiden größten Städten, wollen die Bürger ihm die Herrschaft über die Stromnetze entreißen. Für Vattenfall steht einiges auf dem Spiel.

"Beim Volksentscheid geht es gar nicht um Vattenfall", sagt der Berliner Unternehmenssprecher Hannes Hönemann. Damit hat er eigentlich recht, denn die Berliner stimmen am 3. November – ähnlich wie Hamburg bereits im September – nur darüber ab, ob die Hauptstadt einen schlagkräftigen Bewerber ins Rennen um die Konzession für das Stromnetz schickt. Doch irgendwie geht es doch um Vattenfall. Denn ein Landesunternehmen wäre womöglich starke Konkurrenz. Und die Bürgerinitiative "Energietisch" schießt scharf: "Vattenfall den Stecker zieh'n" fordert sie.

Vattenfall-Kraftwerk Jänschwalde in der Lausitz

(Bild: Uwe Dobrig)

Viel Freude hat der Energieriese in Deutschland derzeit ohnehin nicht. Der Atomausstieg kostet, denn die Pannen-Kernkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel im Norden liegen still. Umweltschützer machen Front gegen die Erweiterung von Braunkohletagebauten. Dazu kommen niedrige Strompreise bei zurückgehender Nachfrage. Und zum Ausbau von Solaranlagen sagte Vattenfall-Deutschlandchef Tuomo Hatakka kürzlich: "Wir haben ein Monster auf die Beine gebracht."

Operativ rutschte Vattenfall in Deutschland im zweiten Quartal 2013 sogar mit 2,871 Millionen Schwedischen Kronen (etwa 330.000 Euro) ins Minus. Zum Halbjahr lag der Gewinn vor Zinsen und Steuern mehr als zwei Drittel unter dem des Vorjahres. Freude bereiten den Skandinaviern hier neben der Fernwärme wohl nur noch der Vertrieb und das staatlich regulierte Geschäft mit den Netzen.

"Die Netze in Berlin und Hamburg sind ein wesentlicher Bestandteil", sagt Sprecher Hönemann. Mit ihnen mache Vattenfall im Schnitt jährlich 80 bis 100 Millionen Euro – etwa genauso viel wie mit dem Verkauf. Dabei sind die Gewinne durch die Netze verlässlicher als Strompreise und -erzeugung. Denn die Bundesnetzagentur gesteht den Betreibern Eigenkapitalrenditen von 7,6 bis 9,1 Prozent zu.

Sollte Vattenfall die Netze als sichere Geldgeber verlieren, könnte Stockholm zum Rückzug aus Deutschland blasen, wird spekuliert. "Lange werden die es hier wohl nicht mehr aushalten", zitierte das Manager Magazin kürzlich einen Brancheninsider. Es müsse nur ein Interessent genügend Geld auf den Tisch legen. Hönemann widerspricht: "Das ist nichts, was Vattenfall gerade beschäftigt." Doch er sagt auch, die Situation müsse neu betrachtet werden, wenn die Netze verloren gehen.

Im August hatte Deutschlandchef Hatakka versprochen, Vattenfall bleibe "auf absehbare Zeit Eigentümer seiner kontinentaleuropäischen Aktivitäten". Eine Standortgarantie ist das nicht.

Auch die Energie-Expertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Claudia Kemfert, wäre von einem Rückzug nicht überrascht. Vattenfall habe unmissverständlich erklärt, dass man überlege, ob sich das Geschäft in Deutschland noch lohnt, sagt sie. Das habe aber nichts mit dem möglichen Verlust der Netze zu tun, sondern mit dem schwerpunktmäßig auf Kohle gestützten Geschäft. "Die schwedische Führung sieht im Zuge der Energiewende in Deutschland wenig Zukunft mit diesem Modell."

Weil der Konzern an Atom- und Kohlestrom festhält, ist Vattenfall bei vielen in Deutschland ohnehin schon unten durch. Die Hamburger Initiative "Tschüss Vattenfall" nennt das Unternehmen einen "Atom-, Kohle- und Lügenkonzern". "Vattenfall hat in Deutschland Image und Vertrauen verloren", sagt auch Kemfert. Der Energieriese habe "offenbar nicht verstanden, dass die Menschen in Deutschland die Energiewende wollen." (mho)