Al Gores interaktiver TV-Sender plant weitere Expansion in Europa

Auf der Medienwoche Berlin-Brandenburg bestimmte das US-Sendenetzwerk "Current TV" die Debatte über das Internet als neues Leitmedium und digitaler Vertriebsweg für die klassischen Medien.

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Die Zukunft des Fernsehens gehört einem Mix aus teils nutzergenerierten Bewegtbildern und sozialen Netzwerken. Diese Meinung vertrat auf dem Kongress der Medienwoche Berlin-Brandenburg im Rahmen der IFA zumindest Mark Goldman, Chief Operating Officer von Current Media in San Francisco. Die von Al Gore und Joel Hyatt gegründete Firma betreibt seit August 2005 das Fernsehnetzwerk Current TV als "Open-Source-TV-Plattform". "Fernsehen ist kein Einwegkanal mehr", betonte Goldmann. Wichtig sei es vielmehr, Beteiligungsmöglichkeiten fürs Publikum zu bieten und das "Wissen der Masse zu erschließen".

Bei Current TV können die Nutzer nicht nur Beiträge bewerten und so auf der Plattform in der Nachrichtenliste nach oben rücken beziehungsweise ins Fernsehprogramm bringen, sondern auch eigene Videobotschaften in Form von "Pods" erstellen. Gore habe das Konzept aufgrund seiner leidigen Erfahrungen mit den Massenmedien mitentwickelt, erklärte Goldman. Dem ehemaligen US-Vizepräsidenten und jetzigen Umweltaktivisten sei die einseitige Berichterstattung mancher TV-Stationen sauer aufgestoßen. Er habe daher den Prozess der Fernsehproduktion genauso öffnen wollen, wie dies die Druckerpresse für die Printwelt getan habe. Zugute gekomen sei dem ausgearbeiteten Modell die Entwicklung der Technik in eine Richtung, in der immer mehr "Bürgerjournalisten" mit Kamera und Laptop ausgerüstet seien.

Die gezeigten kurzen Videobeiträge des Senders stammen laut Goldman inzwischen zu einem Drittel von den Nutzern selbst. Derlei Viewer Created Content (VCC) sei "authentisch" und "relevant". Das Publikum wisse schließlich selbst am besten, was für es von Interesse sei. Gemeinsames Zeil sei es etwas zu schaffen, "was alle stärker anspricht" und die "Macht" der Nutzer freizusetzen. Das geht soweit, dass auch die Werbung zum Teil in Form von "Viewer Created Ad Messages" von den "Zuschauern" gemacht wird. Da sitzt dann etwa der Student neben seinem Auto und lobt dessen Vorzüge. "Das hat eine ganz andere Glaubwürdigkeit", ist sich der Medienmanager sicher.

Über die offene Plattform kann im Prinzip jeder Interessierte eigenes Material hochladen. "Um die Medien wirklich zu demokratisieren, sollte jeder seine Geschichte in drei bis fünf Minuten erzählen können", meint Goldman. Es gehe darum, andere Perspektiven auf ein Geschehen zu erhalten und gleichzeitig die "kurze Aufmerksamkeitsspanne" des vor allem jungen Zielpublikums nicht überzustrapazieren. Eine "reine Videoseite" wie YouTube betreibe man aber nicht. "Es handelt sich um einen kontrollierten Schaffensprozess", erläuterte Goldman. So würden zum einen mit die Mittel zur Produktion von Beiträgen zur Verfügung gestellt. Zum anderen werde "jedes Nachrichtenstück" in einem "sehr strikten Prozess" mit einer Redaktion von 200 Mitarbeitern auf Fakten gecheckt.

Verfügbar ist Current TV mit seinem "Peer-2-Peer"-Nachrichtennetzwerk inzwischen in 58 Millionen Haushalten in den USA, Großbritannien, Irland und Italien. Die internationale Webseite verzeichnet über fünf Millionen Besucher im Monat. "Wir wollen einen globalen Sender aufbauen", unterstrich Goldman die Ambitionen. Dabei sei die in San Francisco beheimatete Firma auch "ehr interessiert am deutschen Markt". Schon heute würden Surfer aus Deutschland die "viert- oder fünftgrößte Nutzergruppe auf unserer Webseite" darstellen. Einen definitiven Plan für den deutschen Start gebe es zwar noch nicht. Es würden aber entsprechende Gespräche mit möglichen Partnern geführt. Die Erfahrungen in Italien bestärken das Unternehmen laut Goldman in dieser Richtung. Generell sei der "professionelle Journalismus", für den bei Current TV eigene "Vanguard-Reporterteams" verantwortlich zeichnen, nach wie vor gefragt. "Aber die Nutzer wollen sich stärker einbringen."

Die auf dem Podium versammelte Runde deutscher Medienmanager kam überein, das Internet mit Wolf Bauer, Chef der UFA Film & TV Produktion, als "digital überlegenes Vertriebssystem" zu bezeichnen. Entscheidend bleibe dabei der inhaltliche Aspekt gemäß dem Motto "Content is King". Die UFA selbst beschreite dabei neue Wege, ging Bauer auf eine neue Kooperation mit StudiVZ für die Produktion einer Websoap ein. Dabei handle es sich um ein "experimentelles Labor". Herausstellen müsse sich noch, wo dort die zusätzliche Wertschöpfung und die Geschäftsmodelle liegen könnten.

Christiane zu Salm, die ehemalige Neun-Live-Chefin und nun für "Cross Media" zuständige Managerin bei Hubert Burda Media, bezeichnete das Netz als "allumfassenden Vertriebsweg für alle Medien". Da die jungen Leute dort aber nicht für Inhalte bezahlen würden, müsse man Transaktionsgeschäften und E-Commerce in den Vordergrund rücken. Zukäufe von Internetfirmen seien der richtige Weg, bestärkte sie die Ausrichtung Burdas. Technologische Entwicklungen würden schließlich exponentiell verlaufen: Eines Tages werde "der Schalter komplett umgelegt". Optimismus verbreitete Marcus Englert aus dem Vorstand von ProSiebenSat.1: Mit Netzunternehmungen wie Maxdome, den Lokalisten oder MyVideo mache der Sender inzwischen 15 Prozent seines Umsatzes. Insgesamt "geht's uns gut. Wir machen weit über 20 Prozent Rendite in diesem Jahr".

Auch ZDF-Chef Markus Schächter sieht sein Haus gut aufgestellt: "Was in die Zukunft weist, ist das Bewegbild". Dieses sei das Leitprinzip des Fernsehens, die Einbindung des Zuschauers käme Schritt für Schritt hinzu. Das Internet böte die historische Chance, dem Auftrag zum Erreichen der gesamten Gesellschaft wieder gerecht zu werden. Auch hier setzt Schächter aber darauf, dass sich "eine verlässliche Darstellung dessen, was sich in der Welt bewegt", durchsetzt. Dabei hätten die öffentlich-rechtlichen Sender anderen Medienanbietern etwa eine "Professionalisierung in der Außenpolitik" voraus. Lutz Marmor vom NDR riet, nicht nur auf das "gehypte Geschäft im Internet" zu schielen. Hierzulande stünden 226 Minuten Fernsehkonsum einer knappen im Netz verbrachten Stunde gegenüber. Zudem könnten erst 40 Prozent der Haushalte Fernsehen digital empfangen, was die Voraussetzung ist für interaktive Formate. (Stefan Krempl) / (jk)