Katharina Nocun: "Netzpolitik ist Machtpolitik"

Die enthüllte Überwachung des Handys von Angela Merkel hat die NSA-Affäre mit Wucht zurück ins Blickfeld der Öffentlichkeit gebracht. Im Interview mit heise online erklärt Katharina Nocun, die politische Geschäftsführerin der Piratenpartei, welche Konsequenzen sie fordert.

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Seit inzwischen fast fünf Monaten dauern die Enthüllungen über die totale Kommunikationsüberwachung durch NSA, GCHQ und andere Geheimdienste an, ein Ende ist nicht in Sicht. Zwar war das Thema nie wirklich aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschwunden, aber die Berichte über den US-Lauschangriff auf Bundeskanzlerin Merkel haben die Debatte wiederbelebt. Bereits davor war auffällig, wie wenig die Piratenpartei von den Meldungen über den weltweiten Überwachungswahn profitiert haben. Darüber und über die Frage, welche Konsequenzen die Partei angesichts der Enthüllungen fordert, haben wir mit der politischen Geschäftsführerin der Piraten, Katharina Nocun gesprochen.

heise online: Die Bundestagswahl liegt nun sechs Wochen zurück. Haben Sie schon eine Idee, warum die Piratenpartei dabei von der seit Monaten anhaltenden NSA-Affäre nicht profitieren konnte?

Katharina Nocun: Zunächst einmal gibt es unterschiedliche Faktoren, die da mit hineingespielt haben. Ein Problem ist, dass Bürgerrechte und Grundrechte im Kontext von digitalen Themen immer noch ein Nischenthema sind. Das heißt, für viele Menschen sind das zwar Themen, die sie empören und wo sie etwas ändern wollen. Aber wenn man nicht weiß, wovon man das Essen seiner Kinder bezahlen soll, dann stehen sie nicht ganz oben auf der Prioritätenliste. Wir sollten deswegen vermitteln, dass Grundrechte das Fundament der Demokratie sind. Und wenn man mit den sozialen Umständen nicht einverstanden ist, garantieren es uns Grundrechte, gegen Missstände auf die Straße gehen zu können. Ich glaube dieses Bindeglied ist noch sehr schwach präsent.

Katharina Nocun

(Bild: cc-by-sa, Miriam Juschkat)

Und ein Vergleich zu anderen Skandalen wie Fukushima zeigt ganz deutlich, dass immer noch die Visualisierung im Datenskandal fehlt. Wir haben keine starken Bilder, die auf einen Blick kommunizieren, warum Grundrechte wichtig sind, warum Datenschutz wichtig ist. Technik ist immer noch etwas abstraktes und für viele nicht positiv besetzt. Vor allem Menschen, die nicht so viel Erfahrung mit technischen Themen haben, können das nicht so sehr auf ihren Alltag beziehen.

Ich glaube viele Akteure in der Politik wissen auch nicht, was sie tun. Wobei die Menschen im Innenministerium das sehr wohl wissen werden. Wenn jemand sagte, "wir wollen den Überwachungsstaat aufbauen", dann hätten wir klare Fronten. So sieht es aber so aus, als würden alle nur das Beste für die Zukunft wollen und wir sehen nicht, dass diese kleinen Schritte des Abbaus der Grundrechte zu einem Überwachungsstaat hinführen könnten.

heise online: Jetzt, da die Bundestagswahl vorbei ist: Was planen die Piraten nun, um für dieses Bewusstsein zu sorgen?

Katharina Nocun: Wir müssen ganz klar Bildungsarbeit leisten. Wir haben während des Wahlkampfs bei vielen Aktionen wohl mehr Bildungsarbeit als Wahlkampf gemacht und Demonstrationen organisiert, bei denen wir die Parteifahne absichtlich nicht so hoch gehängt haben. Weil uns das gemeinsame Ziel, das Thema auf die Agenda zu heben und die Inhalte zu vermitteln, wichtiger war. Und der Meinung bin ich nach wie vor. Wir können auch außerparlamentarisch daran arbeiten, dass die Themen gehört werden. Gerade dabei ist es wichtig, sich näher zur Bürgerrechtsbewegung zu bewegen. Den Schulterschluss zu suchen, weil wir vor gemeinsamen Problemen stehen. Da ist es auch wichtig, das, was uns trennt, zurückzustellen und darauf zu gucken, was uns verbindet.

heise online: Die NSA-Affäre ist offenbar erst mit dem Angriff auf das Handy Angela Merkels richtig in das öffentliche Bewusstsein gerückt. Was muss anders gemacht werden, um zu schaffen, was im Wahlkampf nicht geklappt hat?

Katharina Nocun: Wir haben uns ja nicht als stimmenmaximierende Partei gegründet, die um jeden Preis Posten haben möchte, sondern wir wollen Themen umsetzen. Und wenn es noch nicht so weit ist, dass die für viele Menschen wahlausschlagebend sind, müssen wir weiter daran arbeiten. Das kann etwa durch Aufklärungskampagnen geschehen. Wir haben bundesweit Hunderte von Verschlüsselungsworkshops abgehalten. Ich glaube, so eine breite Kommunikation auch von technischen Basiswissen zur Selbsthilfe gab es nie zuvor. Das ist der erste Schritt, um viele Menschen aus dieser Ohnmacht herauszuholen – ihnen etwas an die Hand zu geben, um selbst aktiv zu werden. Notfalls ziehen wir nach wie vor gerne auch vor das Bundesverfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof.

heise online: Als die NSA-Affäre Anfang Juni begonnen hat: Waren Sie da überrascht, von dem was da über die Geheimdienste und das Ausmaß der Überwachung berichtet wurde?

Auf der Freiheit statt Angst 2013 vermählte sich Nocun symbolisch mit dem Grundgesetz.

(Bild: Stefan Krempl)

Katharina Nocun: Ich bin ja über die klassischen Bürgerrechtsthemen zu den Piraten gekommen, war ganz lange in Nichtregierungsorganisationen tätig, hauptsächlich im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. Da ist es natürlich so, dass man verfolgt, was es in diesem Bereich gibt. Und tatsächlich werden wir ja in ganz vielen Bereichen unseres Alltags gerastert und verdachtsunabhängig erfasst. Polizei und Geheimdienste in Deutschland sind nicht so unbedarft gegenüber ausländischen Geheimdiensten, wie sie jetzt gerne tun. Auch in Deutschland wurde nach dem 11. September die Unschuldsvermutung großflächig abgebaut und aufgehoben. Von daher war ich weniger überrascht.

Was mich dagegen sehr überrascht hat, war, wie wenig Empörung das ausgelöst hat und wie wenig sich seitdem verändert hat. Wir sind jetzt an einem Punkt angekommen, an dem sich in Großbritannien Regierungsvertreter ganz offen gegen Pressearbeit aussprechen und unverhohlen Drohungen an Zeitungen richten. Da zerstören Geheimdienste Festplatten von Journalisten vor deren Augen und halten Angehörige unter Terrorverdacht fest. Das zeigt doch, dass eine kritische Schwelle überschritten wurde. Und dann fordern deutsche Innenpolitiker noch mehr Kompetenzen für die Innenministerien. Es ist erschreckend, dass Hardliner unverhohlen versuchen, die Geschichte so zu drehen, dass sie am Ende mit mehr Befugnissen, weniger Grundrechten und mehr Ressourcen aus dem ganzen Skandal hinausgehen.

heise online: Was wäre denn die Alternative? Was sollten ihrer Meinung nach eigentlich die Konsequenzen aus den Enthüllungen sein?

Katharina Nocun: Wir als Piratenpartei haben einige gute Vorschläge: Zunächst einmal sollte man alle Gesetze, die seit dem 11. September im Bereich innere Sicherheit auf den Weg gebracht wurden, auf den Prüfstand stellen und großflächig kippen, da sie nicht grundrechtskonform sind. Wir brauchen Gesetze die es den Parteien im Bundestag ermöglichen, vom Bundesverfassungsgericht Rechtsgutachten noch vor Verabschiedung von Gesetzen einzuholen. Momentan läuft da eine Denial-of-Service-Attacke gegen das Gericht, da immer wieder verfassungswidrige Überwachungsgesetze verabschiedet werden.

Weiterhin wird immer wieder der Anschein erweckt, als hätte diese innenpolitische Aufrüstung im Bereich der Überwachung eine Eigendynamik entwickelt, die man nicht stoppen könnte. Und dem würde ich ganz stark widersprechen: Gerade auf EU-Ebene, aber auch in Deutschland werden Milliarden dafür ausgegeben, neue Überwachungstechnik zu entwickeln und die bei Bedarf vielleicht auch an Unrechtsregime zu exportieren oder gleich vor der eigenen Haustür einzusetzen. Wenn man das Geld konsequent in freie Software, Open Source, datenschutzfreundliche Technik, Datenschutz by default investieren würde, hätten wir viele Probleme nicht. Da besteht ganz klar eine Ungleichverteilung der Ressourcen, im Interesse von verschiedenen Akteuren aus der inneren Sicherheit, der Rüstungsindustrie, aber auch dem Bereich Data Mining. Und da muss der Staat einspringen. Wir brauchen außerdem einen Beweisverwertungsverbot. Das heißt, dass illegal abgeschnüffelte Daten nicht in Gerichtsverfahren verwertet werden dürfen. Wenn man diese Daten gar nicht erst benutzen darf, würden weniger Begehrlichkeiten entstehen.

Außerdem brauchen wir natürlich einen Datenbrief, nicht nur im Bereich der Privatwirtschaft. Das bedeutet, dass ich als Verbraucher mindestens einmal im Jahr informiert werde, wer welche Daten von mir hat, auch von den Polizeibehörden und den Geheimdiensten. Denn in den meisten Fällen wissen die Menschen nicht einmal, dass Daten von ihnen erfasst werden. Und wer nichts weiß, kann sich auch nicht richtig dagegen wehren. Stellen sie sich mal vor, sie würden eine SMS von der Polizei bekommen, wenn sie mal in Kiel zum Essen waren: "Wir haben jetzt mal eben gespeichert, wo sie wann wen angerufen haben und in welcher Funkzelle sie waren". Da würde die öffentliche Meinung ganz anders aussehen.

Und auf europäischer Ebene reicht es natürlich nicht, jetzt das SWIFT-Abkommen auszusetzen. Das ist nette Symbolpolitik. Aber wir haben ja in den letzten Monaten erfahren, das die Daten, die durch SWIFT erfasst und weitergegeben werden von der NSA an ganz anderer Stelle abgeschnüffelt werden. Eigentlich müsste Safe Harbor auf den Prüfstand. Das wäre eine wirtschaftliche Ansage. Man muss erkennen, dass Grundrechte, Datenschutz und Netzpolitik im Informationszeitalter Machtpolitik sind. Da muss man auch einmal mit harten Bandagen an den Verhandlungstisch gehen und kann nicht wie die Bundeskanzlerin sagen, das Freihandelsabkommen halten wir raus, das ist ein anderes Thema. Grundrechte sind das Thema, das über allem steht.

heise online: Eine Frage, die auch den Kollegen derzeit immer wieder gestellt wird und die ich gerne weitergebe: Was kann denn der Einzelne unternehmen?

Katharina Nocun: Der Einzelne kann anfangen, sich zu informieren und natürlich in seinem Umfeld Menschen dafür zu sensibilisieren, dass es eben nicht egal ist, wer wie mitliest. Dass es keinen Unterschied macht, ob ein Mensch mit Schlapphut E-Mails persönlich durchliest oder ob das ein automatisierter Algorithmus macht. Und dass es hier um Grundwerte einer freien Gesellschaft geht, denn wir entwickeln uns gerade von einem Rechtsstaat hin zu einem Unrechtsstaat, in dem Wahrscheinlichkeit statt Beweise über Schuld und Unschuld entscheiden können. Und in einem Staat, in dem die Unschuldsvermutung abgeschafft ist, möchte, glaube ich, keiner von uns leben – egal aus welcher politischen Ecke. Und das kann man ganz konkret tun. Natürlich kann man sich auch informieren, welche Partei wie abgestimmt hat und Abgeordneten die richtigen Fragen stellen. Wir als Bürger haben durch das Netz außerdem auch ganz neue Möglichkeiten, andere zu informieren.

heise online: Vielen Dank für das ausführliche Gespräch.

Katharina Nocun: Ich möchte noch ergänzen, dass ich persönlich für die Abschaffung der Geheimdienste bin. Ich habe mich, bevor ich zu den Piraten gekommen bin, auch beim Bildungsstreik gegen Studiengebühren engagiert. Der, wie sich später herausstellte, auch über einige Spitzel der Polizei überwacht wurde. Und wenn wir an einem Punkt angekommen sind, dass harmlose Studierendenproteste von verdeckt arbeitenden V-Männern ausgeschnüffelt werden, dann ist etwas faul und ein Verfassungsschutz, der die Verfassung nicht schützt, der gehört ganz klar abgeschafft. (mho)