Aufruf gegen Internet-Wahlen

Namhafte US-Wissenschaftler warnen vor der schleichenden Einführung von Internet-Wahlsystemen in Form von "Pilotprojekten". So sollen etwa Bürger in Alabama und Florida ihre Stimme bei der Präsidentenwahl im November online abgeben.

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Von
  • Richard Sietmann

Mit einem Aufruf sind jetzt namhafte US-Wissenschaftler an die Öffentlichkeit getreten, die vor der schleichenden Einführung von Internet-Wahlsystemen in "Pilotprojekten" warnen. Stattdessen fordern sie Aufklärung und eine breite öffentliche Debatte über die Risiken "dieser radikal neuen Form" der Stimmabgabe. "Wahlergebnisse müssen verifizierbar korrekt sein – das heißt, nachprüfbar mit einem vom Wähler bestätigten, dauerhaften Beleg, der von der Hardware und Software unabhängig ist", heißt es in dem Aufruf (PDF-Datei). Es seien jedoch "etliche ernsthafte, möglicherweise unüberwindliche technische Herausforderungen" zu erfüllen, "damit Wahlen, bei denen Stimmen über das Internet übermittelt werden, verifizierbar bleiben".

Zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs gehören unter anderem Professoren der Informatik wie David Dill (Stanford University), Edward Felten (Princeton University), Douglas Jones (University of Iowa), Avi Rubin (John Hopkins University), Dan Wallach (Rice University) sowie der renommierte Kryptografie-Experte und IT-Sicherheitschef von BT Global Services, Bruce Schneier. Sie wenden sich damit gegen etliche Projekte, etwa das der Demokratischen Partei, die bei den Vorwahlen Mitgliedern, die sich im Ausland aufhielten, die Stimmabgabe über das Internet einräumte, sowie Initiativen in Alabama und dem Okaloosa County in Florida, die solche Systeme bei der Präsidentenwahl im November einsetzen wollen. Die Wissenschaftler fordern die Fachöffentlichkeit auf, sich dem Aufruf anzuschließen und setzen auf die Unterstützung "durch Einzelpersonen mit dem technischen Hintergrund, sich zu diesem Thema mit fachlicher Autorität zu äußern".

Als "Herausforderungen" nennen die Unterzeichner explizit das Problem der verifizierbaren Korrektheit, weil es keine Garantie geben könne, dass die Clientsysteme frei von Trojanern oder anderer Malware sind, sowie die Entwicklung hinreichend starker Schutzmechanismen gegen Stimmenmanipulationen durch Insider. Darüber hinaus führen sie die Schwierigkeit an, die Ergebnisse zuverlässig anhand unveränderbarer und vom Wähler bestätigter Belege ebenso wirksam wie mit traditionellen Papierstimmzetteln und unter Wahrung des Wahlgeheimnisses nachprüfen zu können. "Eine solche Überprüfbarkeit herzustellen – papierlos und mit einem geheimen Stimmzettel, der über das Internet übertragen wird – ist ein ungelöstes Problem".

Eine weitere Herausforderung sei die Gefahr der Sabotage des Wahlgangs durch verteilte Denial-of-Service-Attacken. Obwohl jedermann von überall aus internetbasierte Angriffe starten könne, müsse das gesamte System zuverlässig und verifizierbar bleiben. "Potenzielle Angreifer können einzelne Hacker, politische Parteien, internationale kriminelle Organisationen, feindliche ausländische Regierungen oder sogar Terroristen sein", weisen die Wissenschaftler auf die Risiken hin. "Die Quellen solcher Angriffe sind in der derzeitigen Architektur des Internets nur schwierig oder überhaupt nicht zu ermitteln".

Deshalb fordern sie, die Funktionsweise jedes in Betracht gezogenen Internet-Wahlsystems müsse erst "hinreichend detailliert" in einer Weise veröffentlicht werden, "sodass jeder mit den erforderlichen Befähigungen und Kenntnissen überprüfen kann, ob den Wahlergebnissen des Systems vernünftigerweise zu trauen ist". Bevor diese Bedingung nicht erfüllt ist, "sollten 'Pilotprojekte' mit dem Internet in politischen Wahlen unterbleiben, weil der angebliche 'Erfolg' solcher Projekte absolut nicht die Abwesenheit von Problemen demonstrieren kann, welche ihrer Natur nach unentdeckt bleiben sollen". (Richard Sietmann) / (pmz)