Internetvermarkter auf der Suche nach der "digitalen Aura"

"Targeted Marketing" lautet das Zauberwort, mit dem die Online-Werber den klassischen Reklamemarkt auf ganzer Breite angreifen wollen. Doch Grenzgänger wie Phorm haben die Branche mit Kundenbespitzelungen in Verruf gebracht.

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"Targeted Marketing" lautet das Zauberwort, mit dem die Online-Werber den klassischen Reklamemarkt auf ganzer Breite angreifen wollen. Doch Grenzgänger wie die Nutzer der umstrittenen Schnüffelsoftware des britischen Anbieters Phorm haben die Branche rund um die gezielte Verbreitung von Werbebotschaften mit umfassenden Kundenbespitzelungen in Verruf gebracht.

Derlei Fälle, bei denen Provider per "Deep Packet"-Inspektion den gesamten Netzverkehr ihrer Nutzer durchleuchtet haben, bezeichnete Matthias Ehrlich, Geschäftsführer der United Internet Media AG, als "besonders perfide". Zum einen werde dabei direkt in die Nutzung von Applikationen geschaut, monierte der Vermarkter von Portalen wie Web.de oder GMX am Mittwoch auf dem Deutschen Multimedia-Kongress 2008 (DMMK) in Berlin. Zum anderen würden die entsprechenden Internetanbieter anonyme Dienstleister wie Phorm einspannen, die nicht mit einer bestimmten Providermarke verbunden seien. So sei die Chance geringer, über Medienberichte rasch "abgestraft" zu werden. Er kenne aber keinen Fall, wo vergleichbare Methoden der "gezielten Werbung" in Deutschland angewendet worden seien.

"Wir sollten die Grenzen besser nicht austesten", betonte Ehrlich. "Wir graben damit nur unser aller Geschäftsmodell ab." Es seien zwar maximal fünf Prozent der Nutzer für das Thema Datenschutz überhaupt sensibel. Diese würden sich dann aber etwa in Blogs "ausblöken". Nach der anschließenden "Hinrichtung" in Online-Medien würde die Öffentlichkeit hart reagieren. Es sei daher besser, wenn sich die Internetvermarkter an eine gewisse Ethik halten würden. "Wir plädieren für den Respekt vor der Privatsphäre", erklärte der ehemalige Volkszählungsgegner. Besondere Schutzvorkehrungen seien bei Kindern und Jugendlichen einzuhalten. United Internet Media sehe Datenschutz zudem als Standortvorteil: "Wir verstehen auf jeden Fall mehr davon als Google, wo sogar E-Mails gescannt werden", meinte Ehrlich in Anspielung auf die kontextbezogene Werbeschaltung bei Google Mail.

Bei United Internet hat Targeting zwar auch bereits seit 2002 Einzug gehalten. Derzeit liegt der Anteil der "gezielten" Werbeansprache bei dem Vermarkter bei 80 Prozent. Ehrlich definierte die Werbeform aber nicht nur als direkte Ansprache der Nutzer, sondern auch als anonyme. Schlüsselfaktor beim Targeting seien natürlich Daten. Diese müssten aber nicht personenbezogen sein. Wichtig sei allein, "die richtige Botschaft zum richtigen Zeitpunkt an die richtigen Zielpunkte" zu bringen.

Unbekannt soll der Surfer bei der datenschutzfreundlicheren Variante der Online-Werbung freilich auch nicht bleiben. Die für ein wiederholtes Erkennen der Nutzer nötigen Daten würden daher auf einem Cookie auf dem Rechner des Anwenders gespeichert, erläuterte Ehrlich. Dieser Infobaustein im Browser steuere die gesamte Werbeanwendung. Dabei gehe es im Prinzip darum, die "digitale Aura" eines Nutzers einzufangen. Es solle derselbe "Komfort und Kommunikationslevel" im Netz aufgebaut werden, wie er einem etwa beim Einkaufen in einem Kaufhaus in der physischen Welt geboten werde. Auch dort gebe man ständig Informationen über sich ab, was aber auch dringend geboten sei im sozialen Leben.

Um eine bessere Vorstellung vom unbekannten Wesen hinter dem Bildschirm zu bekommen, fahren die Target-Marketer auch hierzulande inzwischen eine ganze Reihe mehr oder weniger ausgefeilter Techniken auf. Ehrlich spricht vom "Re-Targeting", bei dem jemand bei einem Nutzungsvorgang "markiert" werde und so leichter wiedergefunden werden könne. Einen weiteren Qualitätssprung bedeute das "Behavioural Targeting". Dabei würden Verhaltensformen aufgezeichnet und auf spezielle Merkmale verdichtet. Es sei an Beispielen wie der werblichen Erschließung sozialer Netzwerke wie Facebook aber bereits deutlich geworden, dass dort Rückschlüsse auf das tatsächliche Verhalten nur schwer zu beziehen seien. In einem weiteren Schritt komme es daher darauf an, die "mageren Daten" mit Hilfe von Data Mining und Voraussagen über Datenstrukturen anzureichern. Dabei würden "immer mehr Quellen" angezapft, was etwa den Wert von DoubleClick als Vermarkter zahlreicher großer Webseiten für Google verständlicher mache.

Dank derlei kombinierter Verfahren beim "Behavioural Targeting" sieht Ehrlich den alten Traum der Online-Vermarkter zum Greifen nahe, in die bislang noch deutlich größeren Budgets der klassischen Werbung in Printprodukten oder im Rundfunk einzudringen. Die meisten in der Online-Werbebranche würden zwar noch an "One-to-One"-Marketing und die direkte, in einzelnen Klicks messbare Kundenansprache denken. Die meisten Kaufentscheidungen würden aber lange vorbereitet, sodass vor allem die Wahrnehmung der Werbebotschaften an sich bereits höher gewichtet werden müsse. Mit entsprechenden Zielgruppenkonstruktionen und Abgrenzungen der Nutzer in Segmente oder Milieus "können wir in die klassische Werbung eindringen", zeigte sich Ehrlich optimistisch, wobei er auch "an die Schokoriegel" rankommen will. "Wir können in großem Maße das simulieren, was den riesigen Markt draußen antreibt." (Stefan Krempl) / (jk)