Virtualisierte Medizin soll Zeichen setzen

Hersteller von IT-Systemen für Krankenhaus und Praxis fordern verstärkte Investition des Staates in eine eHealth-Infrastruktur, da die Gesundheitswirtschaft der Wachstumsmotor des Wirtschaftsaufschwungs sein werde.

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Von
  • Detlef Borchers

Die Diskussion um die Abwrackprämie hat auch die Medizinmesse ConHIT erreicht. Hersteller von IT-Systemen für Krankenhaus und Praxis fordern verstärkte Investition des Staates in eine eHealth-Infrastruktur, da die Gesundheitswirtschaft und nicht der Automobilsektor der Wachstumsmotor des Wirtschaftsaufschwungs sein werde. Neue Kompetenznetze sollen überdies die medizinische Telematik weiter vorantreiben.

20 Milliarden Dollar beflügeln die Phantasie. Diese Summe will der US-Präsident Obama in den nächsten fünf Jahren in den Aufbau einer eHealth-Infrastruktur stecken. Auch deutsche Firmen wollen von diesem Anschub profitieren. So freut sich die Walldorfer Firma ICW über den Auftrag, gemeinsam mit der US-amerikanischen Firma Surescript ein Pilotprojekt zur Einführung des eRezeptes im US-Bundesstaat New York zu realisieren. ICW und Cisco liefern dabei die Konnektoren, mit denen die Ärzte im "Statewide Health Information Network" an die Surescript-Plattform angeschlossen werden. Ähnliche Perspektiven wie in den USA wünscht sich ICW-Vorstandsvorsitzender Peter Reuschel für Deutschland. Er fordert ein Konjunkturprogramm, das Impulse in der Gesundheitswirtschaft auslöst, die den nächsten Kondratieff-Zyklus bestimmt. Dieses Programm soll schnellstmöglich eine technikneutrale eHealth-Infrastruktur aufbauen und die Querelen um die elektronische Gesundheitskarte vergessen lassen. Sicherheitstechnisch soll die Infrastruktur zwar auf den Planungen zur elektronischen Gesundheitskarte (eGK) aufbauen, doch nicht mehr von der Einführung der Karte abhängen. Vielmehr sei es wichtig, schnell eine "kritische Masse" zu erreichen, nachdem die Ziele der eGK in den letzten 5 Jahren nicht verwirklicht werden konnten, meint Reuschel.

Wie skeptisch die Industrie die Entwicklung bei der eGK beurteilt, machte in Berlin die Gründung eines "Kompetenznetz eHealth-Standards" am Stand des deutschen Instituts für Normung (DIN) deutlich. 16 Experten aus unterschiedlichen Gremien sollen sich um die "semantische Interoperabilität" kümmern und Standards für das eRezept, die eOrganspendeerklärung und den elektronischen Pflegebericht entwickeln. Das eRezept war ursprünglich wichtigster Bestandteil der neuen Gesundheitskarte, wurde in den Planungen der Projektgesellschaft Gematik und des Bundesgesundheitsministeriums durch die Priorisierung des elektronischen Arztbriefes in den Hintergrund gerückt. Die elektronische Organspendeerklärung soll als Fach auf der Gesundheitskarte, aber auch auf einem eigenen Spendeausweis Platz finden können. Der elektronische Pflegebericht wiederum wurde von den verkammerten Heilberufen angemahnt, die mit der Pflege und Betreuung von Langzeit-Patienten betraut sind.

Technisches Highlight der ConHIT war für viele Besucher der kleine Stand von Microsoft, an dem die elektronische Gesundheitsakte Healthvault gezeigt wurde. Dies vor allem darum, weil der Umgang mit der Akte an einem Surface-Terminal gezeigt wurde. Wie Microsoft-Manager Jens Dommel gegenüber heise online betonte, ist ein Start dieser patientengeführten, doch bei Microsoft gehosteten Akte in Deutschland derzeit nicht in der Planung.

Ein ganzes Bündel von Microsoft-Technologie fuhr die Asklepios-Gruppe auf der Messe auf, die unter dem Motto "Virtualisierung der medizinischen Kompetenz" mehrere Neuigkeiten vorstellte. IT-technisch betreibt Asklepios 1000 Server in 100 Einrichtungen und versorgt 25.000 Nutzer mit "OneIT", einem "Office Communicator" für Mediziner. Wie IT-Chef Uwe Pöttgen ausführte, konnte OneIT zunächst vor allem den Ärzten nicht vermittelt werden. "Das Projekt war schwer verkaufbar, weil die Ärzte die Einheitsumgebung als Gängelei verstanden." Über 10.000 Änderungswünsche trudelten ein und mussten größtenteils abgelehnt werden. Der Durchbruch kam, als OneIT nicht als Kommunikationssystem, sondern als "Knowledge Guide" gepriesen wurde, über den die Ärzte Zugriff auf eine Online-Bibliothek mit 1000 Fachzeitschriften und mehr als einer Million weiterer Artikel haben. Mit der neu vorgestellten OneIT@home können die Ärzte nun von zu Hause aus auf ihren kompletten Arbeitsplatz inkl. der Labor- und Bildarchive zugreifen, wenn dies ein Notfall bei einem Patienten erfordert. Für Asklepios rechnet sich der Aufwand, externe Rechner mit Lesegerät (für den Arztausweis und PIN) sowie einer biometrischen Erkennung (mit Palmsecure von Fujitsu) auszustatten: Ärzte, die in Notfällen in die Klinik müssen, um auf Befunde zuzugreifen, können dies als Überstunden geltend machen. Mit IT@home entfallen diese Zusatzkosten. Als weitere Neuerung in dieser Richtung demonstrierte die Asklepios-Gruppe zusammen mit T-Systems als trustcenter-Dienstleister "Alster", die Online-Sprechstunde von Arzt und Patient.

Auch die von Fraunhofer-Instituten entwickelte elektronische Fallakte (eFA) macht Fortschritte: Unter dem Namen "Galileo" zeigte Noemalife eine aus den Spezifikationen entwickelte Fallakte samt Zuweiserportal, über das niedergelassene Ärzte die Daten ihrer Patienten einsehen können. Bei der Compugroup wurde die entsprechende Fallakten- und Portaltechnik unter dem Namen "Jesaja.net" demonstriert.

Insgesamt zeigte die ConHIT, dass Ärzte durchaus IT-affin arbeiten. So ist laut Jens Naumann, Vorsitzender des VHitG der Tod der Diktierkassette eingetreten, weil das digitale Diktat (z.T. mit automatischer Spracherkennung) Standard beim Workflow in Klinik wie Praxis geworden ist. Dabei nutzen Ärzte nicht nur Diktiergeräte, sondern zunehmend ihre Mobiltelefone, wie die Berliner Brainworks demonstrierte, die die nötige Verschlüsselung der Diktate entwickelt hat.

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(Detlef Borchers) / (jk)