Firechat braucht kein Funknetz

Mit einer neuen App sollen Nutzer künftig ganz ohne direkte Netzverbindung miteinander kommunizieren können.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 14 Kommentare lesen
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Tom Simonite

Mit einer neuen App sollen Nutzer künftig ganz ohne direkte Netzverbindung miteinander kommunizieren können.

Messaging Apps gibt es viele, doch sie alle brauchten bisher ein funktionierendes Funknetz. Die kürzlich veröffentlichte App "FireChat" des US-Start-ups Open Garden kommt nun ohne aus. Sie verschickt Nachrichten und Fotos per Bluetooth und WLAN direkt an andere FireChat-Nutzer, ohne Umweg über Basisstationen oder Server. Sie erzeugt so ein Parallelnetzwerk mit einigen interessanten Vorteilen – die allerdings mit Einschränkungen erkauft sind.

Die Vorteile: Ist man zum Beispiel mit Freunden bei einem Freiluftkonzert und hat sich gerade aus den Augen verloren, kann man sich auch ohne Handyempfang wieder zusammen- finden. Dafür nutzt man den sogenannten "Nearby"-Chatroom der App, in der man die Nachrichten aller Nutzer in der Umgebung sieht. Android-Besitzer sind dabei nicht auf die 10 bis 30 Meter Reichweite von Bluetooth und WLAN beschränkt, sondern profitieren von Open Gardens "Multi-Hop"-Funktion: Wenn FireChat-Nutzer in Reichweite sind, können Nachrichten von Gerät zu Gerät weiterhüpfen, bis sie den Empfänger erreichen.

Das Multihopping funktioniert derzeit allerdings nur mit Android, an einer Version für Apple-Geräte arbeiten die Entwickler noch. Im Nearby-Modus laufen die Nachrichten nicht über einen zentralen Server, sodass Hacker und Geheimdienste sie auch nicht von diesem abgreifen können. "Zudem ist dieser Kommunikationsweg auch immun gegenüber Firewalls, wie es sie in China und Nordkorea gibt", schreibt Matt Thompson, Autor des Entwickler-Blogs NSHipster. Dazu passt, dass sich FireChat-Nutzer nicht mit ihrer E-Mail-Adresse und einem Passwort registrieren müssen. Ein anonymer Nutzername reicht.

Der Erfolg von FireChat steht und fällt natürlich auch mit der Verbreitung. "Solange die App nur von wenigen Leuten genutzt wird, ist es unwahrscheinlich, dass Sie mit Ihren Freunden chatten können, wenn sie nicht nahe bei Ihnen sind", gibt Open-Garden-Marketingleiter Christophe Daligault zu. Umso mehr waren die Entwickler überrascht, als sie im März die iOS-Variante veröffentlichten: Im iTunes- Shop war FireChat in der Kategorie "Soziale Netzwerke" zwischenzeitlich in Australien, Taiwan und Lateinamerika die meistheruntergeladene App. "In 105 Ländern ist sie in den Top Ten der Social-Media-Apps und hat zeitweise Facebook und WhatsApp überflügelt", sagt Daligault.

Der Vergleich mit WhatsApp offenbart allerdings auch die Nachteile von FireChat: Es gibt keine direkte Kommunikation mit einer Person oder einer ausgewählten Gruppe. Alle Nutzer in der Nähe können die Nachrichten mitlesen. Noch befremdlicher ist FireChats zweiter Chatroom "Everyone", der über das Internet läuft: Hier fließt alles Mögliche zusammen, unter anderem auch Spam und Sexting. Da tröstet es wenig, dass sich wenigstens hier iOS- und Android-Nutzer plattform- übergreifend austauschen können.

Die Jedermann-Zone dürfte aber gar nicht der Hauptfokus von Open Garden zu sein. Mitgründer und Geschäftsführer Micha Benoliel will ein Software-Kit für Entwickler anbieten, mit dem weitere Apps im FireChat-Stil gebaut werden können: "Dieser Ansatz ist sehr interessant für Multiplayer-Gaming und Kommunikations-Apps", sagt er. Außerdem ließen sich damit auch Netzwerke für Länder mit schlechter Kommunikations-Infrastruktur aufbauen. "Wir müssen kleine Internets schaffen, die für sich selbst funktionieren, und diese dann ans große Internet anbinden", sagt Benoliel. (bsc)