Digitale Agenda (2): Wirtschaft und Breitbandausbau

Digitale Themen sind für Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel nach der Energiewende die zweitwichtigsten. In der Digitalen Agenda schlägt sich das mehr oder weniger konkret nieder.

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Von
  • Falk Steiner
Inhaltsverzeichnis
Die Digitale Agenda der Bundesregierung

Die Digitale Agenda der Bundesregierung, vorgestellt von den drei "Internetministern" Innenminister Thomas de Maizière, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Infrastrukturminister Alexander Dobrindt, soll Leitlinien für den weiteren Weg Deutschlands in die digitale Welt aufstellen. Zu den Vorhaben und Absichtserklärungen der Digitalen Agenda im Einzelnen:

Bis zur Bildung der neuen Bundesregierung im Dezember 2013 lagen die Wirtschaftspolitik und der Breitbandausbau im selben Haus. Seitdem werden sie nun gerade einmal 200 Meter Luftlinie voneinander entfernt bearbeitet: Im Wirtschaftsministerium hat der Vize-Kanzler und SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel die digitalen Themen als – nach der Energiewende – zweitwichtigstes Thema dieser Legislaturperiode identifiziert. Für ihn im Zentrum: die "Industrie 4.0", das Bundesbuzzword für die stärkere Nutzung von IT in klassischen Industriebetrieben, die Frage, wie mit den großen nichteuropäischen Netzkonzernen umgegangen werden soll, und die Frage der IT-Gründungen.

Die Ordnung der sozialen Marktwirtschaft als oberstes Ziel im digitalen Zeitalter, sie müsse geschützt und gestärkt werden, lautet nun die Maßgabe in der Digitalen Agenda der Bundesregierung. Und was Sigmar Gabriel darunter versteht, machte er bereits vor einigen Monaten deutlich: Digitale Großkonzerne wie Google oder Amazon will Gabriel an die regulatorische Kette legen. Dazu soll geprüft werden, ob das Kartellrecht weiterentwickelt werden müsse, heißt es in der Digitalen Agenda. Dazu sollen Fachgutachten erstellt werden. Übersetzt dürfte das jedoch bedeuten: Auch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel ist sich bewusst, dass er derzeit gegen die großen IT-Konzerne wohl kaum eine rechtliche Handhabe besitzt.

Auch aus wirtschaftspolitischer Sicht interessant wird noch in dieser Legislaturperiode, dass im Datenschutz das Marktortprinzip gelten soll, wenn die europäische Datenschutzverordnung verabschiedet wurde. Wer also in der EU Geschäfte macht, muss sich dann nach hiesigen rechtlichen Standards richten. Deutsche Unternehmen befürchten immer wieder, dass sie bei zu strengen europäischen Anforderungen nicht mehr mit ihren außereuropäischen Konkurrenten mithalten könnten, gelten die Regeln jedoch für alle Marktteilnehmer, dürfte diese Befürchtung so nicht eintreten.

Ein Ziel der Bundesregierung ist es, die Zahl der Gründungen kontinuierlich von derzeit jährlich 10.000 um 50 Prozent auf 15.000 zu steigern. Dafür gibt es in der Digitalen Agenda vor allem viele Worte, aber wenig Konkretes. Der Beirat "Junge Digitale Wirtschaft" soll weiter ausgebaut werden und als Beratungsgremium dem Wirtschaftsministerium zur Seite stehen. Er besteht aus Unternehmern und weiteren Experten aus der digitalen Wirtschaft mit Erfahrungen zu Startups oder Venture Capital. Die Finanzierungsbedingungen für erfolgreiche Gründer sollen durch international wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen für Wagniskapital und Crowd-Investments verbessert werden.

Konkret wurde das Wirtschaftsministerium hier unter alter Führung im Frühjahr 2013 mit dem "Investitionszuschuss Wagniskapital", der unter Minister Sigmar Gabriel dann in "INVEST – Zuschuss für Wagniskapital" umbenannt wurde. Seit April 2014 nun können nicht nur natürliche Personen, sondern auch Business-Angel-GmbHs mit bis zu vier Gesellschaftern Zuschüsse aus dem Programm beantragen. Auch die Kriterien der Förderung wurden geändert, beispielsweise gelten Inhaber eines Patents nun grundsätzlich als innovativ. Aus dem "Invest"-Programm können Investoren, wenn sie bei mindestens 10.000 Euro in Eigenkapital eines jungen Unternehmens investieren, 20 Prozent der Beteiligungssumme als Zuschuss erstattet bekommen. Bis zum Frühjahr 2014 beliefen sich die Zuschüsse aus dem Programm auf bisher insgesamt 5,3 Millionen Euro – bei investiertem Kapital von über 25 Millionen Euro.

Doch viele Unternehmen kommen gar nicht erst so weit: Mit besseren Informations- und Beratungsangeboten für Gründer sollen Fehler vermieden und die Erfolgsquote verbessert werden. International sollen deutsche Startups besser mit internationalen Gründer-Hubs vernetzt werden, doch wie das ganz konkret durch das Wirtschaftsministerium geschehen soll, bleibt offen.

Gezielte Unterstützung von Gründerinnen ist ein weiteres Ziel der Digitalen Agenda. Wie das genau geschehen soll – zwei Drittel der Gründenden sind männlich – ist ebenfalls noch offen. Problematisiert wird konkret nur das Mutterschaftsgeld. Das können Selbstständige, anders als Angestellte, nicht in jedem Fall erhalten. Eine Arbeitsgruppe soll nun Regelungen erarbeiten, wie selbstständige Frauen in Schwangerschaft und Stillzeit besser unterstützt werden können.

Nicht beim Bundeswirtschaftsministerium, sondern beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur Alexander Dobrindt (CSU) soll eine andere Form der Wirtschaftsförderung stattfinden: Mit einem Modernitätsfonds, der 100 Millionen Euro umfasst, will Dobrindt "digitale Innovationen" fördern. Bis kurz vor Schluss war unklar, ob dieser Modernitätsfonds es in die "Digitale Agenda" schafft, am Ende ist er enthalten. Dass Dobrindt hier mit seinem Kabinettskollegen Sigmar Gabriel Doppelzuständigkeiten und mögliche Reibungspunkte schafft, ist offensichtlich. Vor allem aber scheint es eine der wenigen konkreten, neuen Maßnahmen der Digitalen Agenda zu sein.

Weitgehend schwammig bleibt die Digitale Agenda im Bereich der "Arbeit in der digitalen Welt". Geprüft werden soll dort, ob Rahmenbedingungen für Heimarbeit verändert werden müssen, zugleich sollen etablierte Arbeitsschutzstandards auch in der digitalen Welt weiter zur Geltung gebracht werden. Die IT-Ausbildung soll modernisiert werden, IT- und Ingenieurstudiengänge enger verzahnt – doch das dürfte weitgehend Aufgabe der Länder sein.

Die Formulierungen zur Netzneutralität sind in dem Regierungspapier vor allem eines: entschieden unentschieden. Die Bundesregierung sagt ja zur Netzneutralität, aber zu welcher Form genau, das wird offengelassen und soll in einer "sachlichen Debatte" im Fachdialog Netzneutralität, die "proaktiv alle Beteiligten einbindet", diskutiert werden. Neue, innovative Dienste und Geschäftsfelder sollen erschlossen werden, doch dies dürfe zugleich nicht zu Lasten des Best-Effort-Internets gehen. Weshalb "die Netzneutralität" auf EU- und Bundesebene gesetzlich verankert und der Markt weiter beobachtet werden soll.

Nur im ersten Moment klingt ambitioniert, was zum Dauerstreitthema Störerhaftung für WLAN-Betreiber in der Digitalen Agenda zu finden ist: "Rechtssicherheit für die Anbieter" soll es geben, für "WLANS im öffentlichen Bereich, beispielsweise Flughäfen, Hotels, Cafés". Doch was genau ein WLAN im öffentlichen Bereich ist, ist unklar. Der Streit darüber wurde durch den Bundesgerichtshof 2008 überhaupt erst ausgelöst. Dieser urteilte, dass auch WLAN-Betreiber unter Umständen für die Aktivitäten ihrer Nutzer haften, auch wenn sie eigentlich im Telemediengesetz als reiner Informationsvermittler von einer Haftung ausgenommen sind. Künftig sollen Anbieter "grundsätzlich nicht für Rechtsverletzungen ihrer Kunden haften" – doch das juristische "grundsätzlich" heißt: in der Regel – und öffnet damit Ausnahmen Tür und Tor. Zudem sind nur grundsätzlich heute schon ausgenommene, kommerzielle Anbieter, bei denen sich die Nutzer in aller Regel vorher registrieren müssen als Beispiele aufgeführt. Im Vergleich zur heutigen Rechtslage dürfte dieses Vorhaben daher kaum eine Veränderung mit sich bringen.

Datenverkehrsminister Alexander Dobrindt, CSU, spricht auf Veranstaltungen gerne davon, dass auf die Netze ein "Datentsunami" zurolle. Dieser müsse bewegt werden, so Dobrindt. Als ersten Schritt will er den Breitbandausbau bis zum Jahr 2018 verstanden wissen, dann sollen alle Deutschen mit 50Mbit/s aus dem Netz Inhalte erhalten können. Dieses Ziel ist nicht neu, doch die Kosten sind hoch: 20 Milliarden würde dies mindestens kosten, berechnete im vergangenen Jahr der TÜV Rheinland für das Bundeswirtschaftsministerium. Würden Mobilfunktechniken und DSL als nicht adäquate Techniken eingestuft, würden die Kosten schnell weiter steigen – bis auf etwa 80 Milliarden Euro, die ein kompletter Fibre-to-the-Home (FTTH)-Ausbau der Bundesrepublik kosten würde. Den Großteil der Kosten bei der Verlegung von Glasfaserkabeln verursachen Hoch- und Tiefbau. Hier will die Bundesregierung künftig besser koordinieren. Rechtlich handelt es sich jedoch oft um eine Gemengelage aus Bundes-, Landes- und Kommunalrecht. Ein weiterer Grund, warum aus dem "Fibre-to-the-Bauernhof"-Traum, den beispielsweise der Vorsitzende des Digitale Agenda-Ausschusses Jens Koeppen träumt, vorerst wohl nichts werden wird.

Stattdessen setzt die Bundesregierung auf einen Mix aller verfügbaren Technologien, um die Kosten gering zu halten. In erster Linie sollen weiter die am Markt agierenden Telekommunikationsunternehmen für den Erfolg sorgen, mit VDSL, Vectoring, G.Fast, LTE und Glasfaser – "technologieoffen". Erst wenn diese ein Gebiet nicht wirtschaftlich erschließen, will der Datenverkehrsminister Dobrindt mit Fördermitteln zur Hilfe eilen.

Geld ist theoretisch da – aber ab wann?

Um überhaupt in größerem Maß den Breitbandausbau fördern zu können, hat Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt Finanzminister Wolfgang Schäuble eine Zusage abringen können: Teile der Gelder, die bei den anstehenden Frequenzvergaben von den Mobilfunkunternehmen an den Staat gehen, sollen für den Breitbandausbau zur Verfügung stehen. Dabei geht es um mehrere Milliarden Euro, ob jedoch genug, das ist unklar. Denn noch ist nicht abzusehen, ob alle vorgesehenen Frequenzen tatsächlich rechtzeitig vor 2018 zur Verfügung stehen, um diese zu versteigern. So sollen neben neu zu vergebenden GSM-Frequenzen unter anderem auch Erlöse für solche Frequenzen genutzt werden, die durch die Umstellung auf den neuen digitalterrestrischen Standard DVB-T2 im Bereich 700 MHz verfügbar werden. Doch die Umstellung auf DVB-T2 beginnt nach aktuellem Zeitplan frühestens im Jahr 2016.

Ob Zeitplan und Ziele ohne zusätzliche Mittel aus dem Bundeshaushalt also zu halten sind, ist beim Breitbandausbau durchaus fraglich. Ein Glück für Alexander Dobrindt, dass zwischenzeitlich auch die Politiker in den Bundesländern – allen vorneweg sein bayrisches Mutterland – mit dem Breitbandausbau vorankommen wollen, dort Fördergelder in die Hand nehmen und so einen Teil der Gesamtkosten mittragen. (anw)