"Freiheit statt Angst": Gegen Vorratsdatenspeicherung im Gesundheitswesen und in der Sexarbeit

"Gefühlt 50.000 Leute" seien bei der Demo gegen den Überwachungswahn dabei gewesen, freute sich Netzaktivist padeluun nach dem Protestzug. An der Seite der Bürgerrechtler standen dieses Jahr erstmals auch Prostituierte.

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Demonstration "Freiheit statt Angst" in Berlin

(Bild: Stefan Krempl)

Von der großen Bühne am Brandenburger Tor aus wirkte die eingeschworene Truppe, die sich nach dem recht staatlichen Protestmarsch "Freiheit statt Angst" am Samstagabend in Berlin noch zur Abschlusskundgebung versammelte, durchaus überschaubar. Co-Organisator padeluun vom Bürgerrechtsverein Digitalcourage ermunterte die Gebliebenen mehrfach, näher an die Bühne heranzurücken, um die Lücken nach vorne zu schließen.

Für die Veranstalter war die gesamte Demo mit den insgesamt ausgemachten 6500 Mitstreitern trotzdem ein großer Erfolg. Die gezählte Teilnehmermenge sei "zwei- bis dreimal mehr" gewesen, "als ich befürchtet hatte", erklärte padeluun nach der letzten Rede vor dem Übergang zum musikalischen Rahmenprogramm mit mehreren Bands.

81 mehr oder weniger namhafte Organisationen hatten zur diesjährigen Veranstaltung aufgerufen. Ihr Mobilisierungspotenzial blieb aber hinter der Kundgebung im Vorjahr mit mehr als doppelt soviel Demonstranten und weit hinter den Hochzeiten der Bewegung mit vielen zehntausend Teilnehmern 2008 zurück, als es darum ging, neben Überwachungsmaßnahmen wie der Vorratsdatenspeicherung auch die damals zunächst vom Bundeskriminalamt geforderten Websperren zu verhindern.

Die nach wie vor anhaltende Welle der Enthüllungen aus dem Fundus des NSA-Whistleblowers Edward Snowden holt die ganz großen Massen nicht auf die Straße des 17. Juni, die als Fanmeile während der Fußball-WM vor wenigen Wochen noch aus allen Nähten platze. Dabei ist die von Geheimdiensten durchgeführte Massenüberwachung durchaus "ein Problem aller Leute, nicht nur der Netzaktivisten", betonte Sebastian Schweda von Amnesty International (AI) bei der Schlussrunde. Das unsaubere Spiel der Sicherheitsbehörden nebst Datenringtausch laute nicht "USA vs. Deutschland", sondern "Regierung vs. Bürger". Dabei gehe es "um die Kontrolle von Gesellschaften".

Dagegen gelte es, den Schnüfflern gemeinsam die rote Karte zu zeigen, führte der Menschenrechtler aus. Es sei aber klar, dass dies "ein langer Marsch" werde. Schweda kündigte an, dass AI dabei in Kürze etwa eine Petition veröffentlichen werde, "um die prekäre menschenrechtliche Situation Edward Snowdens zu verbessern".

"Es ist blöd, dass Ihr alle wieder hier sein müsst", ergänzte Matthias Spielkamp von "Reporter ohne Grenzen". Die Regierung verletze die Bürgerrechte und "lacht uns ins Gesicht", räumte er ein. "Doch wir sind nicht ohnmächtig: jeder von uns hat eine Stimme" bei den Wahlen und im Portemonnaie im Bezug auf die Wirtschaft. Zumindest "Nerds" könnten sich zudem wehren, indem sie "verschlüsseln, anonymisieren" und so die Kosten für die Überwacher erhöhten. Selbstschutz sei freilich nicht genug.

Vor einer Vorratsdatenspeicherung im Gesundheitswesen mit der elektronischen Gesundheitskarte warnte Wieland Dietrich von der Freien Ärzteschaft. Der Druck der Industrie und der Politik sei enorm. So dürften Patienten von Anfang nächsten Jahres an nicht mehr auf Kasse behandelt werden, wenn sie keine "e-Card" vorlegen. Die früher hochgehaltene Freiwilligkeit bei der Preisgabe von Medizindaten stehe dagegen nur noch auf dem Papier. IT-Konzerne wie Google, Microsoft oder Apple setzten auf den Handel mit Risikoeinschätzungen auf Basis von Gesundheitsdaten. Deren zentrale Sammlung sei angesichts schier täglicher Missbräuche aber unvereinbar mit dem informationellen Selbstbestimmungsrecht.

Emy Fem vom Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen will eine andere Form der Vorratsdatenspeicherung verhindern, nämlich in der Sexarbeit. Dort drohe mit jüngsten Plänen von Schwarz-Rot eine Zwangsregistrierung, berichtete die Lobbyistin. Eine solche Maßnahme böte aber keinen Schutz vor illegaler Prostitution; vielmehr öffne der geplante "Hurenausweis" Stalking und Nachstellungen "Tür und Tor". Zurecht gebe es hierzulande auch keine zentralen Verzeichnisse etwa für Journalisten, Musiker oder andere Künstler. "Solidarisiert Euch mit uns", appellierte Fem an den Zuhörerrest. "Unsere Rechte sind Menschenrechte." (axv)