Liegt Suizid in den Genen?

Forscher versuchen, das genetische Risiko zu bestimmen, dass sich ein Mensch irgendwann umbringt. Ein Start-up will sogar einen Gentest anbieten, um das erblich bedingte Suizid-Risiko beziffern zu können.

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Von
  • Antonio Regalado

Forscher versuchen, das genetische Risiko zu bestimmen, dass sich ein Mensch irgendwann umbringt. Ein Start-up will sogar einen Gentest anbieten, um das erblich bedingte Suizid-Risiko beziffern zu können.

Kaum etwas wühlt Menschen mehr auf als der unerwartete Suizid eines Freundes, ja selbst eines Stars, den man verehrt hatte. Warum nur? Dann beginnt die Suche nach den Vorzeichen, die übersehen wurden. Waren da Depressionen? Gab es bereits Andeutungen, sich selbst umzubringen? Ein Start-up und eine Forschungsgruppe wollen das Mutmaßen auf eine biologische Grundlage stellen: Indem sie die Gehirne von Suizidopfern analysieren und Menschen untersuchen, die sich mit Selbsttötungs-Gedanken tragen, wollen sie einen DNA-Test entwickeln, der die Anfälligkeit für einen Suizid enthüllt.

Tatsächlich ist die Rede vom „Selbsttötungs-Gen“ nicht ganz abwegig. Der Hang dazu, sich das Leben zu nehmen, scheint vererbbar zu sein, zahlreiche Wissenschaftler gehen dieser Spur bereits nach.

Das Start-up Sundance Diagnostics in Boulder, Colorado will nun gar einen Suizid-Risikotest anbieten. Er ist zunächst nur auf Patienten ausgelegt, die bereits Antidepressiva wie Prozac nehmen. Sundance Diagnostics baut auf einer Studie des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München auf. Dort hatten Wissenschaftler 2012 die Gene von 898 Antidepressiva-Konsumenten analysiert und dabei 79 genetische Marker identifiziert. Die würden zusammengenommen eine 91-prozentige Wahrscheinlichkeit für „Suizid-Gedanken“ ergeben, schlossen die Forscher.

Dass die Einnahme von Antidepressiva Gedanken an Suizid nach sich ziehen, ist lange bekannt. Schon vor mehr als zehn Jahren verfügte die US-Arzneimittel-Zulassung FDA, dass auf Antidepressiva-Packungen entsprechende Warnhinweise aufgebracht wurden.

„Die Zahl derer, die sich tatsächlich das Leben nehmen, ist nicht groß, aber wer wollte schon das Leben seiner Nächsten riskieren?“, sagt Sundance-CEO Kim Bechthold. „Sie möchten doch nicht Roulette mit dem Leben etwa Ihres Kindes spielen.“ Die Sundance-Gentests für ein Suizidrisiko sollen anhand von Speichelproben vorgenommen werden. Der US-Markt könnte jedenfalls groß genug sein: Nach einer Schätzung der U.S. Centers for Disease Control (CDC) von 2011 nehmen elf Prozent aller US-Bürger über zwölf Jahren Antidepressiva.

Fachleute beurteilen die Idee mit dem Test jedoch skeptisch. Immer wieder werden in Genom-Analysen mögliche Verbindungen von Genen und Krankheiten entdeckt, die sich später als nicht haltbar herausstellen. So wurden auch Dutzende Gene mit Selbsttötung in Verbindung gebracht, jedoch konnte nie ein harter Nachweis geliefert werden.

„Ich glaube nicht, dass es glaubhafte Gentests auf ein Suizidrisiko geben kann“, sagt etwa Muin Khoury, der an den CDC das Office of Public Health Genomics leitet. Immerhin rangiert der Suizid nach Statistiken der CDC bei den Todesursachen von US-Bürgern an zehnter Stelle. 2011 gab es 39.518 Selbsttötungen.

Sicher sei, dass die Suizidanfälligkeit sich durch Familien zieht, sagt Khoury. Die Familiengeschichte ist auf der CDC-Liste der Indizien für ein Selbsttötungsrisiko auf Platz 1, danach kommen Misshandlung im Kindesalter, frühere Suizidversuche und Depression.

Die Bedeutung der Familiengeschichte brachte Wissenschaftler auch auf den Gedanken, nach einer genetischen Ursache zu suchen. Eine dänische Studie von 2013 durchleuchtete 221 Adoptivkinder, die sich im Erwachsenenalter das Leben genommen hatten. Dann begutachteten sie deren Geschwister, die in anderen Haushalten aufgewachsen waren. Die Forscher fanden heraus, dass deren Suizidrisiko dennoch fünf Mal höher war als bei anderen Menschen.

Epidemiologen glauben, dass das Suizidrisiko zu einem Drittel bis zur Hälfte ererbt ist, jedoch nichts mit speziellen Geisteskrankheiten zu tun hat. Das deute auf genetische Ursachen hin, sagt Stella Dracheva, Pathologin an der Icahn School of Medicine am Mount Sinai Hospital in New York. „Es gibt eine Menge Hinweise darauf, dass Selbsttötungen eine biologische Ursache haben.“

Dracheva hält die Entwicklung eines Suizid-Gentests für plausibel. Er könnte gerade für Kriegsveteranen und andere bekannte Risikogruppen nützlich sein.

Virginia Willour, Genetikerin an der University of Iowa, weist aber darauf hin, dass auch Faktoren in der Umgebung, wie religiöse Ansichten oder das Familienleben, eine Rolle spielten. Sie studiert Patienten mit bipolarer Störung. An der hatte auch ihr Großvater gelitten, der sich das Leben nahm. „Weil ich wusste, was Selbsttötungen für Auswirkungen haben, habe ich ihn schließlich zu meinem Forschungsgegenstand gemacht“, sagt Willour.

Forscher der Johns Hopkins University veröffentlichten im Juli eine Studie, laut der Veränderungen an einem einzelnen Gen die Prognose eines Suizids bei einer Person um 80 Prozent genauer machen. Die Universität hat bereits ein Patent auf einen Test angemeldet, den sie lizenzieren will.

Grundlage dieser Studie war nicht einfach die DNA der Suizidopfer, deren Gehirne von den National Institutes of Health aufbewahrt werden. Johns-Hopkins-Forscher Zachary Kaminsky schaute auch auf die sogenannte Methylierung von Genen: Im Laufe des Lebens lagern sich an bestimmten Genen Methylgruppen an, die die Gene dann blockieren. Dabei entdeckte Kaminsky, dass das SKA2-Gen bei den Opfern besonders häufig blockiert war. Bei späteren Untersuchungen von Menschen mit Suizid-Gedanken fand er das blockierte SKA2-Gen ebenfalls häufiger.

„Anhand solcher epigenetischen Veränderungen im Blut könnten wir Suizidabsichten erkennen“, sagt Kaminsky. Allerdings habe man bislang erst eine kleine Anzahl von infrage kommenden Personen untersucht, deshalb sei bei dieser Schlussfolgerung noch Vorsicht angebracht.

Nach der Veröffentlichung sei sein Email-Postfach übergequollen, berichtet Kaminsky. „Viele Menschen fragten mich: ‚Wenn sich mein Vater umgebracht hat, wie groß ist das Risiko bei meinem Sohn?’.“ Sie hatten übersehen, dass die von Kaminsky entdeckte DNA-Veränderung gerade keine vererbbare ist.

„Die Entdeckung ist interessant, aber wie immer muss sie repliziert werden“, gibt Willour zu bedenken. Es gebe allerdings nicht genug aufgebewahrte Gehirne von Suizid-Opfern, um eine ausreichende Datenbasis zu gewinnen, sagt Stella Dracheva. Zudem gebe es einfache keine direkte Linie von Selbsttötungs-Gedanken zu einem vollbrachten Suizid. „Und wer hat nicht schon einmal daran gedacht, sich umzubringen?“, fügt Dracheva hinzu.

(nbo)