Das schmelzfeste Atomkraftwerk

Ein kanadisches Start-up will mit einem neuartigen Reaktortyp Kernkraft sicherer und billiger machen. Die verwendete Idee ist allerdings schon alt.

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Von
  • Kevin Bullis

Ein kanadisches Start-up will mit einem neuartigen Reaktortyp Kernkraft sicherer und billiger machen. Die verwendete Idee ist allerdings schon alt.

Schon in den 70er Jahren arbeiteten Forscher am Oak Ridge National Laboratory (ORNL) in Tennessee an Atomkraftwerken, die sauberer und sicherer sein sollten als reguläre Meiler. Ihr Verfahren basierte auf Schmelzsalzen als Kühlmittel, die das sonst übliche Wasser ersetzen.

Bislang konnte sich der Ansatz aber noch nicht durchsetzen, da die Technik zu komplex war. Terrestrial Energy, ein Start-up aus dem kanadischen Ontario, will das nun ändern und arbeitet an einer Kommerzialisierung. Das Design soll noch in diesem Jahr in Kanada lizenziert werden.

Am ORNL wurde der Schmelzsalzreaktor in den vergangenen Jahrzehnten in unterschiedlichen Varianten getestet. Terrestrial hat einen dieser Ansätze nun so verändert, dass er günstig genug sein könnte, um ihn wirtschaftlich zu nutzen.

Konventionelle Kernreaktoren sind bekanntermaßen deutlich teurer als Kraftwerke für fossile Energieträger. Das liegt insbesondere an den Sicherheitsvorgaben, die beispielsweise redundante Pumpen, ein Containment und andere Schutzvorrichtungen verlangen. Terrestrial-Chef Simon Irish glaubt, dass Reaktoren auf Schmelzsalzbasis hier zu einer Vereinfachung samt Kostenreduktionen führen könnten.

Bei Schmelzsalzanlagen kühlt sich das System bei Stromausfällen oder Beschädigungen des Reaktorbehälters automatisch ab, ohne dass Radioaktivität leicht entweichen kann – so zumindest die Idee. Konventionelle Reaktoren müssen dagegen aktiv und kontinuierlich mit Wasser gekühlt werden – auch im Notfall. Funktionieren die Pumpen nicht mehr, überhitzt der Nuklearbrennstoff, was dann wiederum zu schwerwiegenden Unfällen führen kann.

Terrestrial ist nicht die einzige Firma, die an Schmelzsalzreaktoren arbeitet, auch Transatomic Power mischt hier mit. In China gibt es zudem diverse Forschungsbemühungen.

Der Terrestrial-Reaktor ist einfacher als der von Transatomic, da man dort die gleichen Materialien einsetzen will wie am ORNL. Transatomic setzt dagegen auf verschiedene neue Grundstoffe.

Im Reaktor von Terrestrial wird Uran mit einem flüssigen Schmelzsalzkühlmittel vermischt. Wird der Brennstoff zu heiß, dehnt sich die Mischung aus, was die Spaltprozesse verlangsamt und die Wärmeentwicklung reduziert. Somit wird die Temperatur automatisch reguliert und eine Überhitzung verhindert. Zum Kochen gebracht werden kann das Kühlmittel nur bei sehr hohen Temperaturen. Ein Verdampfen wie bei Wasserreaktoren gilt als nahezu ausgeschlossen.

Hinzu kommt: Wird der Reaktor beschädigt und die Mischung aus Kernbrennstoff und Kühlflüssigkeit tritt aus, würde die Kernspaltung verlangsamt und das Schmelzsalz verfestigt. Radioaktives Material soll so nur schwer an die Umwelt gelangen können.

Irish zufolge kann ein solcher Reaktor zudem den anfallenden Atommüll um zwei Drittel reduzieren, weil der Reaktor mit einer doppelt so hohen Temperatur wie konventionelle Atomkraftwerke arbeitet. Dies erhöhe die Effizienz und verringere die notwendige Brennstoffmenge. Auch die Wiederaufarbeitung soll einfacher sein.

Um die ORNL-Technik praktikabler zu machen, veränderte Terrestrial sie so, dass sich ein Reaktor in einer Fabrik vormontieren lässt, um ihn dann per Lastwagen zum Montageort zu bringen. Hinzu kommt, dass wichtige Bereiche der Anlage austauschbar konzipiert sind. Ein Problem des ORNL-Designs war stets, dass das im Reaktor enthaltene Graphit nur wenige Jahre hält. Bei Terrestrial sitzen die Hauptkomponenten inklusive des Graphits nun in einer versiegelten Einheit, die sich alle sieben Jahre herausnehmen und ersetzen lässt. Das soll den Betrieb vereinfachen.

Terrestrial hat von seinem Reaktor allerdings bislang nur ein vorläufiges Design erstellt und arbeitet zusammen mit dem ORNL nun an Detailplänen. Bis zum Bau einer ersten kommerziellen Anlage wird es aber noch eine Weile dauern: Terrestrial rechnet nicht vor Anfang des nächsten Jahrzehnts mit einer Inbetriebnahme.

(bsc)