Zehn Jahre World of Warcraft: Die zweite Heimat

Vor zehn Jahren erreichte World of Warcraft (WoW) als erstes MMORPG in Europa den Massenmarkt und prägte wie kaum ein anderes Digitalspiel die internationale Popkultur.

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Zehn Jahre World of WarCraft: Die zweite Heimat

Die Bewohner von Azeroth haben etwas zu feiern.

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Peter Kusenberg
Inhaltsverzeichnis

Am 11. Februar 2005 veröffentlichte der US-Hersteller Blizzard in Europa das MMORPG World of Warcraft. Drei Monate zuvor hatte der renommierte Entwickler (Diablo, StarCraft) WoW an den nordamerikanischen Handel ausgeliefert, was eine unerwartet starke Nachfrage nach diesem MMO-Rollenspiel-Ableger der bewährten Strategieserie Warcraft ausgelöst hatte. Blizzard verkaufte binnen weniger Tage Hunderttausende Exemplare und musste alle verfügbaren Server sofort zum Einsatz bringen, um den enormen Spieler-Ansturm aufzufangen.

WoW entwickelte sich schnell zum globalen Phänomen, nicht allein Hardcore-Rollenspieler brachen auf zu digitalen Abenteuern in der weitläufigen Spielwelt, vielmehr tummelten sich Computerspielneulinge, Frauen, Senioren und ganze Familien aus Europa, Amerika, Australien, Japan und China in der Fantasy-Welt namens Azeroth. Zu Spitzenzeiten, im Herbst 2010, zahlten rund zwölf Millionen Menschen für ein WoW-Abonnenment, je nach Abo-Modell zwischen 10 und 13 Euro pro Monat. Im April 2008 betrug der Marktanteil von WoW rund drei Fünftel des gesamten Abo-basierten MMO-Marktes; aktuell spielen laut Blizzard rund zehn Millionen aktive Nutzer das weiterhin mit Add-ons und Patches versorgte Spiel.

Rund fünf Jahre lang hatte Blizzard an WoW gearbeitet, bevor es veröffentlicht wurde. Dabei ließen sich die Produzenten von MMORPGs wie Ultima Online und Everquest inspirieren, wobei die Entwickler frühzeitig darauf achteten, das Spiel für eine möglichst breite Gruppe von Spielern attraktiv zu machen. Dazu trugen die moderaten System-Anforderungen ebenso bei wie die interaktive Erklärung der Spielweise.

10 Jahre World of Warcraft (26 Bilder)

2005 ging es los in der quietschbunten Fantasywelt, am Anfang noch etwas pixelig.

Die Spieler-Bindung gewährleistete Blizzard durch eine clevere Veröffentlichung von Patches und Add-ons sowie durch die Implementierung besonderer Ereignisse. So kann man wegen des dynamischen Zeit-Systems einen Sonnenaufgang im Spiel nur dann erleben, wenn man zeitig aufsteht – oder bis in die frühen Morgenstunden in der Fantasy-Welt verweilt. Einmalige Ereignisse wie die Öffnung der Tore von Ahn'Qiraj brachten die Server zum Absturz, weil Millionen Spieler dem Ereignis live beiwohnen wollten. Der US-Journalist Seth Schiesel erklärte, WoW habe wesentlich dazu beigetragen, das Fantasy-Genre im Mainstream zu verankern, zusammen mit den "Herr der Ringe"-Filmen und den Harry-Potter-Büchern.

Für den Konzern Activision-Blizzard bedeutet der WoW-Erfolg einen durchschnittlichen Jahresumsatz von etwa einer Milliarde US-Dollar. Für einen großen Teil der Spieler indes hat die Faszination fürs Looten und Questen in Azeroth negative Konsequenzen. Zahlreiche Spieler vernachlässigten Arbeit, Studium, Schule und Familie, während sie sich stunden- und tagelang in den digitalen Welten der Kontinente Kalimdor und der östlichen Königreiche verloren. Beratungsstellen für Online-Süchtige nennen WoW häufig als das vornehmliche Sucht-Spiel. Für Medien-Kritiker wie den Kriminologen Christian Pfeiffer gilt WoW als schädliches Freizeit-Produkt, im Jahre 2009 empfahl er ein Jugendverbot des Spiels.

Blizzard unterstützt durch Kontrollmechanismen in der Client-Software Jugendschutzmaßnahmen wie Begrenzungen der Spielzeit und berät Angehörige im Spieler-Forum. Mittlerweile haben Online-Spiele wie "League of Legends" WoW von der Spitze der Suchtspiele-Liste verdrängt, doch der Blizzard-Longseller birgt laut dem Drogen- und Suchtbericht 2013 der Bundesregierung weiterhin eine Gefahr, ein asoziales Verhalten zu fördern.

Insbesondere der Sucht-Charakter des Spiels stand im Fokus der zahlreichen Satiren zum WoW-Phänomen. In der TV-Serie "South Park" werden die WoW-spielenden Jungs als bewegungsarme Fettsäcke porträtiert, in einer Folge der "Simpsons" vernachlässigt Simpsons-Mutter Marge ihre Pflichten, während sie das WoW-ähnliche "Earthland Realms" spielt. Bereichert wurde die Popkultur mit unzähligen Machinima-Filmen auf Basis der WoW-Engine, mit einem WoW-Musical sowie einer Hardcore-Porno-Serie namens Whorecraft, deren Protagonisten zunächst in entsprechenden Fantasy-Kostümen auftreten. Blizzard verstärkte den popkulturellen Impetus der Serie, indem die Firma TV-Werbespots produzierte, die auf Mainstream-Sendern zur besten Sendezeit ausgestrahlt wurden, teils unter Mitwirkung bekannter Komödianten wie der Schauspielerin Aubrey Plaza.

Die anhaltende Popularität von World of Warcraft rückte das Spiel in den Blick der Geheimdienste. So soll der US-Auslandsdienst NSA das WoW-Netzwerk nach verdächtigen Personen durchstöbert haben. Un die Verbraucherschützer wiederum kritisieren Blizzards Preispolitik und Kündigungsbestimmungen. Im Gegensatz zu den meisten Konkurrenz-MMORPGs nimmt sich der Hersteller das Recht heraus, die Nutzungsbedingungen und Preise nach Belieben zu ändern.

In den ersten Jahren nach der Veröffentlichung von WoW geriet das Gold-Farming in die Kritik. Studenten, vor allem in China, spielten WoW zum Zwecke des Nebenerwerbs, indem sie im Auftrag von Firmen die in WoW erworbenen Gegenstände auf Auktionsbörsen an Spieler mit Geld und wenig Freizeit verkauften. Das chinesische Handelsministerium schränkte im Jahre 2009 diese Praxis ein, um die Schattenwirtschaft zu bekämpfen. Denn World of Warcraft bildet wie kaum ein anderes Spiel "die Strukturen des Kapitalismus ab“, einerseits qua Tausch virtueller Güter gegen echte Geldbeträge, andererseits durch den Güterverkehr innerhalb des Spiels mit integriertem Auktionshaus.

Das Prinzip kopierten zahlreiche Mitbewerber, etwa die für ihre epigonalen Spiele bekannte Firma Gameloft, die im Jahre 2011 das Mobil-MMO Order and Chaos Online startete, das Quest-Struktur, Design und Spielwelt von WoW imitierte. Blizzard entschied sich, keine Mobil-Version von WoW anzubieten, vielmehr veröffentlichte der Hersteller im Frühjahr 2014 das Kartenspiel Hearthstone: Heroes of Warcraft, das laut Hersteller rund 25 Millionen aktive Nutzer zählt. Den Umsatz von WoW wird Hearthstone nicht erreichen: Das Kartenspiel wird als Freemium-Titel vertrieben, was einen durchschnittlichen WoW-Umsatz von 100 Euro pro Nutzer und Jahr äußerst unrealistisch erscheinen lässt.

Der MMO-Klassiker immerhin hält die Nutzer weiterhin bei der Stange. Das jüngste Add-on "Warlords of Draenor" verkaufte sich millionenfach, und mitunter überrascht der Hersteller die Spieler mit einer völligen Neuauflage des Spiels. So wurde für das dritte Add-on "Cataclysm" die komplette Spielwelt neu gestaltet, so dass sich Spieler neu orientieren mussten. Für Blizzard-Mitgründer Allen Adham ist die Spielwelt der wichtigste Aspekt von WoW. Der Spieler finde hier eine zweite Heimat, deren Gestaltung tatsächlich den größten Teil der Arbeitszeit des WoW-Teams beanspruchte. Zahlreiche Spieler beschreiben in Foren das Betreten einer ihnen vertrauten Region wie der prächtigen Burganlage von Sturmwind als die Rückkehr in eine Region, die ihnen vertraut ist, in der sie sich wohlfühlen wie in keinem anderen Digitalspiel. (vbr)