Kommentar: Alles für die Tonne?

Recycling scheitert nicht an technischen Problemen, sondern an politischen Fehlentscheidungen.

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Recycling scheitert nicht an technischen Problemen, sondern an politischen Fehlentscheidungen.

Christian Wölbert ist Redakteur beim Computer-Magazin c't.

Wir Verbraucher trennen unseren Müll gründlich. Oft sogar zu gründlich: Wir entsorgen Spielzeugautos, Nudelsiebe und Stifte im gelben Sack. Laut Gesetz ist das falsch. Denn auf diesen Dingen klebt kein grüner Punkt. Die Hersteller haben keine Recyclinggebühr bezahlt.

Doch ökologisch gesehen ist es richtig, das Sieb in den gelben Sack oder die gelbe Tonne zu werfen. Denn es besteht aus Kunststoff oder Metall und lässt sich problemlos gemeinsam mit Verpackungen wiederverwerten. Es wäre Verschwendung, es zum Restmüll zu schmeißen. Abfallexperten bezeichnen das Nudelsieb im Sack deshalb als "intelligenten Fehlwurf".

Diese Absurdität zeigt stellvertretend, wie sich gesetzliche Recyclingregularien über den gesunden Menschenverstand ebenso wie über wirtschaftliche Zusammenhänge hinwegsetzen. So entsteht aus der gelobten Abfallverwertung ein System, das nicht funktioniert – obwohl es technologisch funktionieren könnte. Zugegeben: Die "intelligenten Fehlwürfe" sind wohl bald Geschichte. Nach jahrelangen Beratungen will die Bundesregierung dieses Jahr ein Gesetz verabschieden, das die gelbe Tonne zur "Wertstofftonne" macht. Dann gehören Plastik- und Metallprodukte ganz offiziell dort hinein.

Das eigentliche Problem aber bleibt bestehen: Die mühsam eingesammelten Ressourcen landen zum großen Teil in einer Verbrennungsanlage. Den jüngsten Zahlen zufolge sind das immerhin 56 Prozent aller Plastikabfälle – und damit auch ein großer Teil der Kunststoffe aus dem gelben Sack. Denn mit der Verbrennung – im Branchenjargon "energetische Verwertung" genannt – lässt sich oft mehr verdienen als mit der "stofflichen Verwertung", also mit Recycling.

Zudem haben die Kommunen Überkapazitäten für die Verbrennung aufgebaut, die genutzt werden wollen. Die Industrie versucht, die Plastikverbrennung als umweltfreundlich darzustellen, weil auf diesem Weg Strom, Wärme oder Energie für die Zementproduktion entsteht. Den geringen Wirkungsgrad erwähnen die Unternehmen allerdings nicht. Laut einer Studie des Öko-Instituts werden selbst unter optimistischen Annahmen nur 20 bis 40 Prozent der im Kunststoff enthaltenen Energie zurückgewonnen. Das Recycling kostet zwar auch Energie, aber deutlich weniger als die Herstellung der entsprechenden Menge Neu-Plastik. Zudem führt nur Recycling das Plastik zurück in den Stoffkreislauf, spart also Ressourcen.

Auch beim Elektroschrott werden Ressourcen verschwendet. Wir lassen zurzeit rund 2,7 Tonnen Gold, 16,5 Tonnen Silber sowie Unmengen weitere Edelmetalle plus Kobalt und Kupfer ungenutzt herumliegen. Die Metalle stecken in den rund 110 Millionen ausgemusterten Handys, die sich in deutschen Schubladen stapeln. Selbst uralte, kaputte Geräte haben für Recycler noch einen Wert von ein bis zwei Euro.

Aber wenn sie dann tatsächlich die Reise in die Wiederverwertung antreten, landen sie oft bei kriminellen Exporteuren. Sie schippern jährlich rund 150000 Tonnen aus Deutschland in Länder wie Ghana, Indien und China. Dort können nur Stahl, Aluminium und Kupfer mit hoher Ausbeute recycelt werden, Gold bestenfalls zu 30 Prozent. Die Arbeitsbedingungen dabei sind lebensgefährlich. Silber, Palladium und weitere Metalle, die man in Europa zurückgewinnen könnte, gehen komplett verloren. Die Politik muss diese offenkundigen Fehlentwicklungen korrigieren.

Das allein reicht aber nicht. Kluges Ressourcenmanagement beginnt nicht erst beim Sammeln und Recyceln. Sondern schon bei der Entwicklung und beim Verkauf von Verpackungen und Produkten. Hier hat die Politik bisher nur zaghaft versucht einzugreifen. Und diese Versuche sind gescheitert.

Ein Beleg dafür ist, dass das Elektroschrott-Recycling immer aufwendiger wird. Aus vielen Smartphones und fast allen Tablets lässt sich nicht einmal der Akku ohne Spezialwerkzeug entnehmen. Oft ist er nicht nur verschraubt, sondern obendrein verklebt. Landet der Akku aber in derselben Recyclinganlage wie Leiterplatte oder Gehäuse, gehen wertvolle Metalle verloren.

Wie wichtig recyclingfreundliches Design ist, haben die EU-Staaten zwar schon vor Jahrzehnten erkannt. Sie präsentierten eine Lösung – die allerdings auf einer falschen Annahme beruhte. Sie lautete: Die Hersteller müssen das Recycling ihrer Produkte bezahlen, also werden sie diese so konstruieren, dass sie sich effizient auseinandernehmen lassen. Doch da alle Hersteller gemeinsam die Kosten für das Recycling ihrer Geräte tragen, fehlt der Anreiz für den Einzelnen, recyclingfreundlich zu designen. Schließlich zahlt er genauso viel wie jene, die sich nicht um Wiederverwertung scheren.

Wirksam wäre der Ansatz nur, wenn jeder einzelne Anbieter seine eigenen Produkte recycelt. Doch das Sortieren von Altgeräten nach Herstellern ist viel zu aufwendig.

Die Politik muss einsehen, dass der Markt nicht alles regeln kann. Beim Elektroschrott wäre ein erster Schritt, dass die Akkus schnell und sicher zu entnehmen sein müssen. Im Prinzip steht das längst in der Elektroschrott-Richtlinie der EU und den entsprechenden nationalen Gesetzen. Doch die Regel ist erstens zu schwammig formuliert. Zweitens muss keiner Strafen fürchten, der sie bricht. Aus der freundlichen Aufforderung muss endlich eine Pflicht werden.

Bei Verpackungen muss sich der Ansatz durchsetzen, Produkte nach ihrer Recycling-Freundlichkeit zu bepreisen. Auch hier zahlen die Hersteller zwar schon Recyclinggebühren. Die Abgaben richten sich jedoch nach Material und Gewicht – damit bleiben die entscheidenden Merkmale für die Wiederverwendbarkeit außen vor: Bestehen Verpackungen aus mehreren unterschiedlichen Materialien, lassen sie sich schlecht wiederverwerten. Einfacher ist es, wenn nur ein Material zum Einsatz kommt. Noch umweltfreundlicher ist die Verwendung eines Materials, das bereits einmal oder mehrmals recycelt wurde.

Daran sollten sich die Gebühren orientieren. Dieses einfach umzusetzende Prinzip ließe sich sogar auf alle Produkte ausdehnen, die bald in der neuen Wertstofftonne landen. Unternehmen werden die Methoden nicht mögen. Sie bedeuten Aufwand und im Zweifel auch eine Einschränkung für das Design der Produkte. Aber was ist die Alternative, wenn alle anderen Versuche gescheitert sind? (bsc)