Digitale Hundemarken

MIT-Forscher arbeiten an einem Ausweis für Konferenzen und Messen, der Daten über die Interaktionen der Besucher sammelt und sie dann in Form sozialer Netzwerke abbildet.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Kate Greene

In der Welt der Wirtschaft und der Wissenschaft sind Konferenzen und Networking-Veranstaltungen ein Muss. Doch nicht jeder tauscht souverän eine Visitenkarte nach der anderen - so mancher Besuch bleibt lieber bei seinen Firmenkollegen stehen, anstatt den Rückzugsraum des persönlichen Zirkels zu verlassen. Forscher am MIT Media Lab haben nun einen mit Sensoren ausgestatteten Ausweis für Messen und Kongresse entwickelt, der Profikommunikatoren wie eher Schüchternen helfen soll, neue Connections zu knüpfen. Gleichzeitig lernt das System, wie die Interaktionen der Menschen auf solchen Veranstaltungen wirklich ablaufen.

MIT-Forscher Ben Waber gab die "digitale Hundemarke" an 70 Teilnehmer einer Eigenveranstaltung des Media Lab aus. Die Technik setzt auf eingebaute Infrarot-Sensoren, die Daten bei Treffen von Mensch zu Mensch austauschen können, enthalten ist aber auch ein Funksender, um Entfernungsdaten zu sammeln. Ergänzt wird der Ausweis durch einen Bewegungssensor und ein Mikrofon, das Sprachmuster erfassen kann. Beim Feldversuch wurde die aufgezeichneten Informationen dann in Echtzeit an einen Zentralrechner übertragen und aufbereitet, so dass eine Live-Visualisierung des "sozialen Graphen" der Veranstaltung entstand - eine Darstellung des Beziehungsnetzwerkes unter den Teilnehmern.

Das Projekt zeigt, dass die so genannte Soziometrie als Forschungsdisziplin immer beliebter wird. Sensoren helfen dabei, detaillierte Daten über soziale Interaktionen zu sammeln, die dann von einer speziellen Software ausgewertet werden können. MIT-Mann Waber arbeitet mit dem MIT-Professor Sandy Pentland zusammen, der zu den Pionieren der Nutzung digital erfasster Informationen auf diesem Gebiet gehört und dafür den Begriff "Reality Mining" geprägt hat. Waber und Pentland sind jedoch nicht die einzigen Wissenschaftler in diesem Sektor. Forscher bei Intel nutzen Sensoren, um den Gesundheitszustand von Senioren zu überwachen. Und es gibt mehrere Projekte, bei denen Positionsdaten von Mobiltelefonen verwendet werden, um herauszufinden, wie sich Epidemien wirklich ausbreiten.

Ein Spinoff des MIT, nTag, hat einen digitalen Messeausweis ähnlich dem von Waber entwickelt, der automatisiert so genannte "E-Cards" verschicken und empfangen kann. Zwar werden hierbei keine Bewegungs- und Sprachinformationen erfasst, eine Echtzeitabbildung des sozialen Netzwerkes einer Konferenz ist aber möglich, sagt Rick Borovoy, Mitbegründer und Technikchef der Firma.

Die Offenlegung solcher versteckter Informationen könne die Dynamik einer Veranstaltung verändern. "Das schafft ein Gefühl der Gemeinschaft und der Identität und kann die konventionellen Networking-Muster sanft verändern oder gar umwerfen", meint er. Sein Unternehmen habe festgestellt, dass die Darstellung des sozialen Graphen für die Konferenzteilnehmer bereits ausreiche, um diesen zu verändern. "Man glaubt ja, dass die Menschen diese Muster bereits kennen, aber das ist oft gar nicht so."

Die im MIT-Experiment eingesetzten digitalen Ausweise sind nicht größer als ein Kartenspiel, wiegen aber weniger. Die Darstellung der Interaktionen zwischen einzelnen Personen und die Abbildung des sozialen Graphen ist jedoch nicht ihre einzige Funktion - die zusätzlich gewonnenen Daten will Waber jetzt auswerten und sehen, welche Muster sich ergeben. Durch die Erfassung von Abstands- und Sprachdaten lässt sich beispielsweise ableiten, ob eine Gruppendiskussion lief und wer darin den bestimmenden Experten gab.

Auch die Daten aus dem Beschleunigungsmesser helfen, die Aktivitäten auf der Konferenz zu beschreiben. "Wenn ein Konferenzorganisator die ganze Zeit herumlaufen muss, bedeutet das wahrscheinlich, dass er eigentlich Hilfe braucht." So könnte er dann später für bestimmte Zeiträume mehr Helfer engagieren.

Einige Experten glauben, dass die Technik in den nächsten Jahren nicht mehr nur auf Konferenzen beschränkt sein wird, sondern auf das gesamte Geschäftsleben. "Wir denken, dass eines Tages jeder einen solchen intelligenten Ausweis mit sich herumträgt - in Form seines Handys", meint Alex Kass, Forscher bei der Technologieberatung Accenture. "Mobiltelefone werden Daten zur Identifikation und andere interessante Informationen an die Menschen um uns herum übertragen." Man werde aber trotzdem selbst festlegen können, was man der Außenwelt über sich mitteilen möchte, glaubt er. (bsc)