"Gefühle entwickeln immer nur wir"

Hiroshi Ishiguro, Professor am Labor für intelligente Roboter- und Kommunikationssysteme der Universität von Osaka im TR-Interview.

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Von
  • Martin Kölling

TR: Herr Professor Ishiguro, der Brite David Levy geht davon aus, dass bereits Mitte des Jahrhunderts Liebe und Sex mit Robotern nicht nur möglich, sondern auch sehr populär sein werden. Halten Sie das für Science Fiction?

Hiroshi Ishiguro: Ehrlich gesagt halte ich das sogar für sehr wahrscheinlich. Nehmen Sie einmal das Internet. Wir nutzen es zu vielen Zwecken, jedoch sind 70 Prozent Sex oder Dingen gewidmet, die sexy sind. Wenn es erst einmal überall Roboter gibt, werden Menschen sie auch für diese Zwecke verwenden. Aber wir sollten diese Entwicklung nicht fördern. Wir sollten überlegen, wie wir Roboter für andere, kreativere Aufgaben nutzen können.

TR: Glauben Sie, dass es bis 2050 dauern wird, bis die Menschen Sex mit Robotern haben? Oder wird das sogar noch früher geschehen?

Ishiguro: Es passiert doch schon heute. Ich weiss nicht viel darüber, aber in der Sexindustrie gibt es schon jetzt roboterähnliche Instrumente. Bereits vor einigen Jahren habe ich ein interessantes Gerät gesehen: Es ließ sich an einen USB-Port des Computers anschließen. Wenn der Kunde eine bestimmte Internetseite ansteuerte, erschienen hübsche Frauen und das Gerät synchronisierte seine Bewegung mit denen der Frau.

Das ist noch eine sehr einfache Technologie. Aber sobald eine Massenproduktion von Robotern entsteht, werden die Kosten für die einzelnen Bauteile sinken. Und die Menschen werden aus diesen Teilen höher entwickelte Sexspielzeuge entwickeln.

TR: Dies betrifft ja nur die technische Seite von Sex. Aber werden Menschen für die Maschinen auch Gefühle wie Liebe entwickeln können?

Ishiguro: Ja, ich bin mir sicher. Allerdings ist die Definition dieses Gefühls schwierig. Wenn wir eine weite Definition nehmen, dann lieben wir als Kinder auch Stofftiere und Puppen. Das passiert manchmal auch noch bei Erwachsenen. Einige Menschen sind verrückt nach Puppen oder besonders in Japan nach Zeichentrickfilmfiguren. Sie fühlen eine Art Liebe.

Ich denke, Robotertechnologien werden dieses Gefühl noch verstärken. Anime-Charaktere würden dann zum Leben erweckt. Daher wäre es wohl einfach, Liebe für diese Art von Robotern zu empfinden.

TR: Mit ihrem Roboterzwilling "Geminoid" studieren Sie, was es braucht, damit wir einen humanoiden Automaten akzeptieren. Wie hoch sind nach Ihrer Erfahrung die Minimalanforderungen, damit Menschen Gefühle gegenüber den Maschinen empfinden können?

Ishiguro: Das hängt von der Situation und der Definition von Liebe ab. Grundsätzlich sind die Minimalanforderungen sehr gering. Eine menschenähnliche Gestalt dürfte genug sein. Wenn der Roboter zudem noch menschenähnliche Bewegungen und Reaktionen aufweist, hilft das zusätzlich.

TR: Aber werden die Menschen nicht vor diesen Robotern zurückschrecken? Nehmen wir einmal die am Markt recht erfolgreiche Robotertier "Paro". Dessen Entwickler Shibata hat ja mit Bedacht ein Seehundebaby als Vorlage gewählt, weil die Menschen das Tier zwar kennen, aber nicht wirklich wissen, wie es sich im Alltag verhält. Seine These lautet, dass die Menschen es daher eher als einen akzeptieren. Denn bei einem Roboterhund würden sie automatisch ein bekanntes, tierähnliches Verhalten erwarten und die Maschine ablehnen, falls sie das nicht liefert.

Ishiguro: Das ist eine wirkliche Herausforderung. Wir nennen es in meinem Labor das "unheimliche Tal". Dabei geht es um ein Gleichgewicht zwischen Form und Verhalten. Wenn ein Roboter sehr menschlich aussieht, erwarten wir menschenähnliche Bewegungen und Verhaltensweisen. Erfüllt er die Erwartungen nicht, finden wir ihn unheimlich. Weil wir eine Robbe nicht wirklich kennen, hat Paro auch Erfolg - zum Beispiel bei Senioren in Altenheimen. Wir erwarten nichts Spezielles von Paro und akzeptieren ihn daher leichter.

TR: Kann man diese gelernte Lektion für die Entwicklung von humanoiden Robotern nutzen?

Ishiguro: Ich denke nicht. Wenn wir einem Roboter eine menschliche Gestalt geben, sollte er sich auch menschenähnlich bewegen. Es wäre uns sehr unheimlich, wenn er sich nicht menschlich bewegt. Aber wir können das Design ändern. Falls wir menschliches Verhalten nicht gut nachahmen können, müsste der Roboter eben mechanischer, abstrakter aussehen.

TR: Wie "Asimo" von Honda? Der ist zwar süß, aber niemand erwartet perfektes Verhalten von ihm. Reicht das schon aus, um ihn zu einem Liebling der Menschen zu machen?

Ishiguro: Das ist eine schwierige Frage. Asimo hat seine eigenen charakteristischen Bewegungsmuster. Er ist klar als Roboter zu erkennen.

Aber vielleicht würden die Menschen ihm gegenüber eher Gefühle wie für einen Mitmenschen und nicht wie für ein Spielzeug entwickeln. Ein wichtiger Grund dafür ist die Größe. Partnerroboter wie Asimo oder unser eigener "Wakamaru" haben eine ganz bestimmt Größe, zwischen 110 und 130 Zentimetern, die wir nicht als bedrohlich empfinden. Außerdem kann Asimo laufen und viele Dinge erledigen wie etwa Fußball spielen oder Kaffee servieren.

TR: Aber wird man bei seiner Größe nicht eher ein Gefühl wie für ein Kind entwickeln?

Ishiguro: Möglicherweise ja.

TR: Brauchen Roboter nicht auch eigene Emotionen, damit die Menschen Beziehungen zu ihnen eingehen?

Ishiguro: Eine Gegenfrage: Glauben Sie, dass ich Emotionen habe oder nicht?

TR: Ich glaube fest daran, dass Menschen Gefühle haben. Ich schließe dabei von mir auf andere.

Ishiguro: Aber Sie glauben es nur, Sie können nicht beweisen, dass ich Emotionen habe. Sie sehen vielleicht bestimmte Zustände. Mein Punkt ist: Wenn sich ein Automat wie Asimo oder ein Führungsroboter wie unser "Robovie" recht komplex bewegt und reagiert, können Sie Emotionen spüren. Das heißt, Gefühle sind subjektiv, nicht objektiv.

Das Gleiche gilt für Intelligenz und Bewusstsein. Wir glauben nur, dass jemand sie besitzt. Nehmen wir noch einmal Paro als Beispiel. Die Tests in Altenheimen haben gezeigt, dass die Menschen glauben, dass Paro intelligent ist und sie versteht. Dabei reagiert er nur mit einprogrammierten Bewegungsmustern auf Berührungen.

TR: Sie halten es also nicht wichtig, ob ein Roboter Gefühle hat, sondern ob die Menschen glauben, dass er Gefühle hat?

Ishiguro: Richtig. Nehmen Sie mich. Wegen meines grimmigen Gesichtsausdrück fürchten sich viele Studenten vor mir, Sie denken, ich sei wütend. Aber ich bin nicht wütend. Es ist wirklich schwer, mich wütend zu machen. Das stärkt mich in der Annahme, dass Gefühle im Auge des Betrachters entstehen.

Das Geheimnis für mich ist jedoch, warum die Menschen an die Existenz von Gefühlen und Intelligenz glauben können, obwohl es keinen Beweis dafür gibt: Wir sind uns noch nicht sicher über den Mechanismus von Gefühlen, wir glauben nur. Das ist ein Grund dafür, warum ich meinen Doppelgänger-Roboter entwickelt habe. Ich will dieses grundsätzliche Phänomen untersuchen.

TR: Wie nutzen Sie diese Erkenntnisse für die Herstellung weiterer Automaten?

Ishiguro: Wir messen sorgfältig die menschlichen Bewegungen, studieren die Ergebnisse der Hirnforschung und der kognitiven Forschung und versuchen, die Erkenntnisse am Roboter umzusetzen. Manche Leute unterhalten sich bereits lieber mit meinem Roboter als mit mir, weil sie ihn als weniger bedrohlich empfinden.

Meine Familie fand ihn erst komisch, hat sich inzwischen jedoch an ihn gewöhnt. Aber wenn wir kompliziertere Roboter entwickeln, können wir Gefühle erleben. Mein Hypothese ist, dass ab einer bestimmten Grenze des Roboterverhaltens jeder Mensch Gefühle, Bewusstsein und Intelligenz bei der Maschine empfinden kann. Wo die Grenze ist, weiss ich nicht. Nur mit der Hirnforschung oder der kognitiven Wissenschaften können wir dieses Problem nicht lösen. Aber wir versuchen, an diesen Punkt zu gelangen, in dem wir ganz einfach die Roboter weiterentwickeln und verbessern.

TR: In Japan gibt es bereits Partnerroboter. Glauben Sie, dass die bereits marktreif sind und die Welt verändern werden?

Ishiguro: Partnerroboter sind bisher vor allem eine Art Informationsmedium. Wir wissen allerdings nicht, was als nächstes passieren wird. Als der PC und später das Handy aufkam, hat auch kaum jemand vorausgesehen, wie sehr diese Geräte unsere Gesellschaft verändern würden. Auch die genauen Geschäftsmodelle waren unbekannt.

Mit Robotern stehen wir heute an einem ähnlichen Punkt der Entwicklung wie bei der Einführung von Computern. Wir entwickeln die Technologie und suchen nach Umsetzungsmöglichkeiten. Aber irgendwann wird es etwas geben, das unseren Lebensstil komplett ändern wird. Das ist der neue Weg technischer Entwicklung.

TR: Haben Sie bereits eine Ahnung davon, was die erste Massenanwendung für Partneroboter sein wird?

Ishiguro: Nein, niemand ist sich da sicher. Deswegen entwickeln alle Unternehmen weiter. Auch wir führen Feldversuche mit Robovie und Wakamura in Einkaufszentren durch. Wichtig ist, dass wir viele Möglichkeiten austesten. Dann wird vielleicht irgendjemand die Killeranwendung finden, die unser Leben verändert. Es ist ähnlich wie im Silicon Valley. Da gab es auch viele Unternehmen, aber nur wenige wurden ein Hit. Doch genau die veränderten allerdings unser Leben.

TR: Warum scheint Japan besonders für die Entwicklung von Partnerobotern geeignet zu sein?

Ishiguro: Wir besitzen viele wichtige Technologien. Außerdem haben wir kein wirkliches Militär und damit anders als die USA oder Europa nur eine geringe Nachfrage nach Kampfrobotern. Wir müssen einen Markt im Alltag entwickeln. Und wir haben keine religiöse Grenzen, die uns an der Entwicklung menschenähnlicher Maschinen hindern.

TR: Das scheint ein interessanter Widerspruch im christlichen Kulturkreis zu sein. Einerseits gibt es Vorbehalte gegenüber humanoiden Robotern. Anderseits werden Killermaschinen akzeptiert, obwohl die zehn Gebote doch besagen, dass der Mensch nicht töten soll.

Ishiguro: Aber das hat nicht die oberste Priorität, nicht wahr? Zu Anfang geht es darum, wer der Boss ist. Im Westen schaut man immer in die Bibel und versucht zwischen gut und böse zu unterscheiden. In Japan urteilen wir weniger, wir sind offener.

TR: Die MIT-Wissenschaftlerin Sherry Turkle befürchtet, dass gerade Kinder und Jugendliche Schaden nehmen, wenn sie emotionale Beziehungen mit Robotern eingehen, weil sie nicht mehr lernen, mit dem komplexen Spektrum "echter" Emotionen umzugehen. Wie stehen Sie zu dieser Befürchtung?

Ishiguro: Ich kenne Sherry gut und kann ihre Befürchtungen verstehen. Aber das gleiche passiert heute, wenn jemand zu viel im Internet unterwegs ist oder Videospiele überkonsumiert. Oder nehmen sie Handy-Emails in Japan: Viele Jugendliche kommunizieren sehr viel über dieses Medium und scheuen sich, von Angesicht zu Angesicht mit anderen Menschen zu sprechen. Ein Roboter ist da keine Besonderheit mehr. Wichtiger ist, die Balance zu halten. Ganz offensichtlich gibt es gute Nutzungsmöglichkeiten für Roboter.

TR: Zum Beispiel?

Ishiguro: Eine ist zum Beispiel die Verwendung von Robotern auf Bahnhöfen. Viele Bahnhöfe sind bereits weitgehend automatisiert, da können Sie niemanden um Rat fragen. Ein Roboter könnte aushelfen.

TR: Aber glauben Sie nicht, dass der Roboter wegen seiner komplexen Struktur weit mehr Menschen dazu verleiten wird, den Kontakt mit den Mitmenschen zu seinen Gunsten einzuschränken?

Ishiguro: Hmm, ich denke nicht. [schaut leicht gequält] Bisher haben wir mit dem Internet eine virtuelle Welt, der die reale Welt gegenüber steht. Ein Roboter steht dazwischen, er ist etwas virtuelles und reales zugleich. Daher glaube ich, dass ein Roboter die Kluft zwischen virtueller und realer Welt überbrücken kann. Nehmen wir mal ein Kind, das die ganze Zeit Videospiele spielt. Dabei handelt es sich um eine einfache Grafiksoftware. Die Kommunikationsmöglichkeiten sind sehr beschränkt. Ein Roboter bietet mehr und ist damit vielleicht ein bisschen besser. Er könnte sogar als Instrument in der Rehabilitation eingesetzt werden.

Wir haben bereits Erfahrungen mit Robotern bei Langzeitpatienten in Krankenhäusern und bei geistig behinderten Kindern gemacht. Wir haben Robovie in einem Spital getestet. Viele Langzeitpatienten mochten nicht mehr mit Menschen sprechen, weil sie ihr Vertrauen in Menschen verloren haben. Sie sagten den Schwestern nicht mehr Bescheid, wenn sie auf Klo mussten, und mussten daher Windeln tragen. Oder sie mussten in Rollstühlen umhergeschoben werden. Aber wenn Robovie zu ihnen rollte und ihnen sagte: "Umarme mich" - dann sind viele Patienten zur Überraschung der Krankenschwestern und Ärzte wirklich aufgestanden und haben Robovie umarmt. Der Roboter war in diesem Fall besser als ein Mensch.

Das Gleiche passierte in einem Kinderkrankenhaus. Viele Kinder, die lange Zeit im Hospital sein mussten, sprachen nicht gerne mit Menschen, sehr wohl aber mit dem Roboter. Der Roboter kann als Mediator dienen, der die Menschen mit Kommunikationsproblemen wieder an den Kontakt mit Menschen heranführt.

TR: Etwas ähnliches scheint bei Paro zu passieren. Als ich einmal ein Altenheim besucht habe, sah ich, wie die Alten sofort auflebten, wenn der Roboter kam. Sie sprachen allerdings weniger mit ihm als gemeinsam über ihn.

Ishiguro: Paro hat in dieser Hinsicht einen ähnlichen Effekt wie die Tiertherapie. Bei der ist ja auch nicht der Sinn, dass der Mensch mit dem Tier spricht, sondern mit anderen Menschen über das Tier. Aber unser Ansatz mit Robovie ist ein bisschen anders gelagert, weil er selbst kommunizieren kann.

TR: Kennen Sie andere Maschinen, die so gestaltet werden, dass sie Gefühle auslösen?

Ishiguro: Wir können zu jeder Maschine, ja jedem Objekt, selbst Steinen oder Stühlen, eine gefühlsmässige Bindung aufnehmen. Besonders für uns in Japan ist das Konzept nicht fremd, weil wir von unseren Religionen her auch in Gegenständen eine Seele sehen. Aber der Roboter ist wegen seiner Menschenähnlichkeit einzigartig.

Wir entwickeln jetzt zusammen mit Kollegen an neuen, komplexeren humanoiden Robotern. Die Hardware ist dabei inzwischen nicht das Problem. Aber es ist sehr schwierig, die Software für menschenähnliche Bewegungsmuster zu entwickeln. Es ist wie bei einem Baby. Das braucht auch seine Zeit, um das Gehen zu lernen. Die Schlüsselfrage dabei ist, wie wir eine babyähnliche Software entwickeln können. (bsc)