"Einfach neue Software hochladen"

Das "Interplanetary Internet" soll 2009 erstmals an Bord der internationalen Raumstation ISS getestet werden. Netzwerk-Pionier Vint Cerf hofft, dass bereits 2010 erste Weltraummissionen das neue Protokoll nutzen könnte.

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Von
  • Brittany Sauser

Vint Cerf hat in seinem Leben schon einiges geleistet. Zusammen mit Bob Kahn erschuf er das Netzwerkprotokoll TCP/IP, das auch heute noch die Grundlage des Internet bildet. Der Computerwissenschaftler, der inzwischen als "Chief Internet Evangelist" beim Suchmaschinenkonzern Google arbeitet, will seine robuste Kommunikationstechnologie nun auch in den Weltraum bringen. Ihr Einsatz dort wäre sehr sinnvoll, findet Cerf: Aktuell setzen Astronauten und Raumfahrzeuge noch auf Punkt-zu-Punkt-Funkverbindungen und spezielle Kommunikationssysteme, die für jede neue Mission angepasst werden müssen. Das sorgt dafür, dass es den einzelnen Projekten an Interoperabilität fehlt und sich die Technologie nur selten wiederverwenden lässt.

Cerf arbeitet deshalb zusammen mit einem Team am Jet Propulsion Laboratory der NASA (JPL) und der MITRE Corporation an der Gestaltung und Implementierung einer revolutionären neuen Weltraumkommunikationstechnologie. Das Projekt mit dem Namen "Interplanetary Internet", interplanetares Netz, soll 2009 nun erstmals an Bord der internationalen Raumstation ISS getestet werden. Cerf hofft, dass bereits 2010 erste Weltraummissionen die neuen Protokolle nutzen können. Ultimativ soll das Netzwerk dann bemannte und unbemannte Raumfahrzeuge miteinander verbinden und das Rückgrad eines Kommunikationssystems bilden, das durch das ganze Solarsystem reicht. Technology Review sprach mit Cerf über die Details seines Vorhabens.

Technology Review: Herr Cerf, was ist der genaue Zweck des Interplanetary Internet?

Vint Cerf: Das Projekt startete vor zehn Jahren als ein Versuch, herauszufinden, welche technischen Netwerkstandards für die interplanetare Kommunikation nützlich sein könnten. Man muss sich dabei vor Augen führen, dass wir unbemannte Raumfahrzeuge bereits seit den Sechzigerjahren zu den inneren und äußeren Planeten, zu Astroiden und Kometen geschickt haben. Kommuniziert wurde mit ihnen jeweils mit Hilfe von Funkverbindungen auf Punkt-zu-Punkt-Basis. Viele dieser Missionen nutzten ein speziell dafür entwickeltes Kommunikationssystem namens "Deep Space Network", das am JPL 1964 erfunden wurde.

Eines der Probleme dabei war stets, dass kaum Standards eingesetzt werden. Wenn wir also ein neues Raumfahrzeug mit einzigartigen Sensoren an Bord in den Weltraum schicken, müssen wir dafür jedes Mal eine spezielle Kommunikations- und Anwendungssoftware schreiben, die auf sein Steuersysteme ausgerichtet ist. In der Internet-Welt verwenden wir hingegen den TCP/IP-Standard mit seiner Paketvermittelung, um zahlreiche verschiedene Geräte und Anwendungen miteinander sprechen zu lassen. Unser Team begann deshalb damit, eine Protokoll-Suite zu erstellen, die eine ähnliche Netzwerkflexibilität im Weltraum ermöglicht, wie wir sie schon auf der Erde kennen. Beim Interplanetary Internet geht es also primär darum, eine Anzahl von Kommunikationsstandards und technischer Spezifikationen zu entwickeln, um unter Raumbedingungen reichhaltige Netzwerkanwendungen zu fahren.

TR: Wo liegen die Herausforderungen, ein solches Netzwerk im Weltraum aufzubauen?

Cerf: Wir begannen mit dem Design einer Anzahl von Protokollen, die mit zwei wichtigen Eigenschaften der Weltraumkommunikation umgehen können. Die erste ist die Verzögerung. Die Entfernungen zwischen den Planeten sind sehr groß. Wenn Erde und Mars sich am nächsten sind, benötigt ein Funksignal trotzdem noch 3,5 Minuten, um sich mit Lichtgeschwindigkeit auszudehnen. Wenn ich auf dem Mars wäre und Sie auf der Erde, würde es also bestenfalls sieben Minuten dauern, bis sie eine Antwort erhalten. Wenn Erde und Mars hingegen am weitesten voneinander entfernt sind, würde die Rundreise sogar 40 Minuten benötigen! Der Grund, warum wir auf der Erde so gut über größere Distanzen miteinander kommunizieren können, liegt daran, dass die Laufzeiten vergleichsweise sehr kurz sind.

Das zweite Problem, dass wir im All haben, ist die Tatsache, dass die Planeten und ihre Satelliten sich ständig in Bewegung befinden, die meisten rotieren. Diese Rotation der Planeten bedeutet, dass man bei der Kommunikation mit einer Station, die sich auf der Oberfläche befindet, plötzlich ohne Sichtverbindung dasteht. Dann muss man warten, bis der Planet sich weiter dreht. Das gleiche gilt für Satelliten im Orbit. Man muss also Protokolle entwickeln, die mit der Tatsache umgehen können, dass man nicht immer mit der Gegenstelle kommunizieren kann, dass die Kommunikation also sowohl verzögert als auch potenziell unterbrochen wird. Und genau das haben wir nun entwickelt: Ein Netzwerksystem, das tolerant auf beides reagiert, ein so genanntes "Delay- and Disruption-Tolerant Networking System", kurz DTN. Es wird uns erlauben, die Kommunikation im All effizienter aufrecht zu erhalten und wesentlich mehr Daten auszuliefern, weil wir nicht ständig eine Sichtverbindung zum endgültigen Empfänger einer Nachricht brauchen, um Informationen zu übertragen. Die neuen Protokolle werden als internationaler Standard für die Weltraumvernetzung vorgeschlagen.

TR: Wie arbeitet dieses neue DTN-System genau?

Cerf: Wir nutzen so genannte "Store and Forward"-Methoden, bei denen Informationen durch einzelne Stationen weitergeleitet werden, die Daten so lange vorhalten können, bis eine Kommunikationsverbindung zur nächsten Station hergestellt werden kann. Das entspricht der Grundidee von TCP/IP, nur eben auf Weltraumbedingungen optimiert. Die DTN-Prinzipien bedeuten, dass wir mit einem hohen Potenzial an Verzögerungen und Unterbrechungen arbeiten können. Beispielsweise ist Pluto sehr weit von der Erde entfernt – zwischen drei und fünf Milliarden Meilen und damit 12 Stunden für die Signalreise hin und zurück. Mit dem DTN-Protokoll können wir komplexere Missionen planen, die zahlreiche Geräte umfassen – auf der Oberfläche des Planeten, aber auch in seinem Orbit. Wenn man sich den Mars betrachtet, gibt es dort es beispielsweise derzeit vier Orbiter und drei Landemodule. Wir werden dann also Standard-TCP/IP-Protokolle auf der Planetenoberfläche und in den Weltraumfahrzeugen selbst nutzen, für die interplanetare Kommunikation dann aber auf DTN setzen.

TR: Bedeutet das auch, dass wir eine neue Infrastruktur im Weltraum brauchen?

Cerf: Die Antwort ist ja und nein. Beispielsweise ist die Sonde "Deep Impact" (jetzt EPOXI genannt) bereits in einer Umlaufbahn um die Sonne. Sie wurde einst verwendet, um eine Untersuchungskapsel auf einem Kometen zu schießen, um sein Innerstes zu untersuchen. EPOXI wird temporär zu einer Forschungsstation für die DTN-Protokolle umgewandelt. Das Raumfahrzeug besitzt bereits die notwendige Prozessorleistung, den Speicher, die Funktechnik und die Solarpanel für die Stromversorgung, so dass wir gar keine neue Hardware brauchen. Wir müssen einfach neue Software hochladen. Entsprechend glücklich sind wir darüber, nicht erst neue Technik ins All schießen zu müssen.

Auf längere Sicht müssen die DTN-Protokolle allerdings in einer größeren Anzahl von Geräten untergebracht werden, um ein großes Netzwerk zu bilden. Dazu werden wir spezielle Raumfahrzeuge als Router verwenden. Jedes Mal, wenn eine neue Mission gestartet wird, die diese neuen Standardprotokolle bereits eingebaut hat, lässt sich die Technik aus früheren Missionen dann weiter verwenden. Auf diese Art hoffen wir, Schritt für Schritt ein interplanetares Backbone-Netzwerk aufzubauen.

TR: Wir soll die Sicherheitsseite geregelt werden?

Cerf: Natürlich gibt es mögliche Sicherheitsbedenken bei einer solcher Technik. Wir sind deshalb entsprechend vorsichtig vorgegangen und haben Verteidigungsstrukturen direkt in unser Design implementiert. Jeder Knoten wird die Identität jedes anderen Knotens, mit dem er kommuniziert, vorher verifizieren und die Weiterleitung von Daten verweigern, wenn er ihn nicht zweifelsfrei erkennt. Wir werden dazu starke Authentifizierunsmethoden und kryptographische Verfahren nutzen, um sicherzustellen, dass nur jene Parteien die Ressourcen nutzen, die das auch wirklich dürfen.

TR: Was ist der größte Vorteil eines neuen Protokolls für die Weltraumkommunikation?

Cerf: Der wichtige Teil dabei ist, dass wir dann endlich standardisierte Protokolle haben werden, die uns erlauben, zahlreiche Weltraumfahrzeuge miteinander zu vernetzen - und zwar egal, welche Weltraumnation sie letztlich ins All schickt. Mit der Zeit werden neue Missionen gestartet und der Aufbau der Backbone-Fähigkeiten unseres Netzes beginnt. Mit jeder neuen Mission kommt dann ein weiterer Knoten hinzu. Unsere Hoffnung ist es, dass wir in naher Zeit DTN-Protokoll-Anwendungen terrestrisch in das Internet einfügen können und diese zu Testzwecken auch auf die internationale Raumstation holen. Letztlich soll dieses Netz dann ständig laufen und später, wenn neue Deep Space-Missionen mit dieser Technologie gestartet werden, Teil eines interplanetaren Kommunikationssystems werden. (wst)