Semantische Post für Dich

Ein experimentelles E-Mail-System findet selbst heraus, wo es Botschaften am besten hinschickt.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 4 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Erica Naone

Forscher an der Stanford University wollen demnächst ein neuartiges E-Mail-System testen, das die Art, wie elektronische Botschaften ausgeliefert werden, radikal ändern könnte. "SEAmail" steht dabei für "semantische E-Mail-Adressierung" und erlaubt es, Nachrichten an Menschen zu senden, die bestimmte Kriterien erfüllen, ohne dass man deren genaue E-Mail-Anschriften oder gar Namen kennt.

E-Mail-Adressen seien ein "künstlicher Weg, Botschaften an die richtigen Leute zu senden", meint Michael Genesereth, Dozent für Computerwissenschaften in Stanford, der an SEAmail arbeitet. "Man möchte Nachrichten an Personen oder Funktionen schicken, nicht an eine Ansammlung von Buchstaben", sagt er. Semantische Technologien könnten dies künftig möglich machen. Die Idee dabei ist, Programme zu schaffen, die den Kontext einer Nachricht verstehen, so dass der Nutzer mit seiner Software natürlicher umgehen kann. Technische Details wie etwa die Notwendigkeit, eine Adresse anzugeben, werden in diesem System versteckt, Nutzer müssen sich darauf also nicht mehr konzentrieren.

Genesereth zufolge kam ein früherer Prototyp seiner Lösung, der unter Semantik-Forschern verwendet wurde, bereits hervorragend an. Beispielsweise konnten dabei Nutzer, die ihm eine Mail schicken wollten, einfach "Michael Genesereth" eingeben und seine jüngste Adresse wurde automatisch selektiert. Möglich waren auch Botschaften an Gruppen wie "alle Professoren, die seit 1960 Harvard abgeschlossen haben". SEAmail beherrscht beide Formen. Sein Adressbuch aktuell halten oder Zeit mit Namensrecherchen verbringen muss man dabei laut Genesereth nicht mehr.

Bei SEAmail selektiert ein Nutzer die Empfänger seiner Botschaft so, wie er eine Suchanfrage gestalten würde. Die Parameter können so einfach wie der Name einer Person sein oder so komplex wie eine Anzahl logischer Bedingungen. Doch das System ist zunächst darauf beschränkt, wie viel Material es über die möglichen Empfänger hat: "Um das volle Potenzial auszuschöpfen, brauchen wir einen reichen Datenbestand über die Personen, denen wir Mails schicken, über ihre Interessen und so weiter", sagt Genesereth. In einer Organisation gibt es normalerweise viele solcher Informationen. Die technische Herausforderung liegt nun darin, eine integrierte Version der Daten bereitzustellen, die SEAmail leicht nutzen kann. Die Informationen, aus denen sich die Professoren mit Harvard-Abschluss ermitteln lassen, würden beispielsweise aus mehreren Datenbanken stammen. Genesereth und sein Team suchen derzeit nach Wegen, bestehende Datenbanken zusammenzuführen, ohne dass sich an deren aktueller Struktur etwas ändert.

Im weiteren Internet dürfte es allerdings schwieriger sein, gute Daten für SEAmail zu finden – das räumt auch Genesereth ein. Obwohl es semantische Standards gibt, die dem System erlauben, Informationen aus Websites zu extrahieren, fürchtet er, dass veraltete Daten die Qualität beinträchtigen könnten.

"Diese Technologie hat klare Vorteile, sie kann aber auch missbraucht werden", meint Oren Etzioni, Direktor des Turing Center an der University of Washington. "Die technischen Probleme sind lösbar. Schwerer sind die sozialen: Wie kann man ein funktionierendes System schaffen, das die Launen der menschlichen Natur einbezieht?" Insbesondere fürchtet er, dass bestimmte Menschen mit dem Werkzeug womöglich sehr viele Mails erhalten würden, ohne Möglichkeit, diese wieder zu beschränken. Zwar könnten semantische Werkzeuge dabei zum Filtern verwendet werden, doch einen klaren Weg, den E-Mail-Fluss zu kontrollieren, ohne die Botschaften zu verlieren, die ein solches System nützlich machten, gebe es nicht.

Luke McDowell glaubt, dass semantische E-Mail-Adresslösungen in Verbindung mit anderen semantischen Technologien erst dann sinnvoll sind, sobald das Spamproblem gelöst ist. Der Computerforscher an der United States Naval Academy arbeitete selbst an einem System, das Informationen aus dem Körper von E-Mails extrahierte, um das Planen von Meetings zu vereinfachen. Mit Kontextinformationen sei es möglich, Aufgaben leichter zu automatisieren.

SEAmail soll noch in diesem Jahr innerhalb des Projektes einer "digitalen Abteilung" an der Stanford University getestet werden. Die Informatiker werden das System dabei als erste nutzen, bis dann die ganze Universität versorgt wird. Genesereth glaubt, dass die Technologie besonders bei großen Firmen ein hohes Potenzial habe. Hier sei das Missbrauchspotenzial auch am geringsten. "Mit etwas mehr Feinarbeit könnte es aber auch ein Werkzeug für das normale Internet werden." (bsc)