Blockieren oder sabotieren?

Wie Telecom-Betreiber Internet-Telefonie stören können.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Steffan Heuer
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Die Telecom-Industrie hat ein neues Feindbild entdeckt: den Skype-Nutzer. Wer übers Internet gratis oder billig telefoniert, spart Gebühren, die sonst an Betreiber von Festnetz- und Mobilfunknetzen fließen würden. Vodafone Deutschland etwa preschte unlängst vor und kündigte an, ab Juli 2007 allen VoIP-Verkehr in seinem UMTS-Mobilnetz zu unterbinden. Die französische Gesellschaft SFR, an der Vodafone maßgeblich beteiligt ist, hat eine ähnliche Blockade angekündigt.

Im Kampf gegen "Voice over IP" (VoIP) stehen Softwarehersteller wie Narus aus dem Silicon Valley den Telecomfirmen gerne zu Diensten. Seine Programme erlauben einem Netzbetreiber, den Strom aus IP-Paketen beinahe in Echtzeit zu verfolgen, sowie nach Ursprungs- und Bestimmungsort, IP-Adresse, Server, Protokoll und Paket-Typ zu analysieren. Unerwünschte Datensorten lassen sich bremsen oder gar gänzlich stoppen -- so leicht wie ein Verkehrspolizist den Autoverkehr lenkt.

Die technische Abwehr einer Telecomfirma kann von der Blockade von VoIP-Paketen bis zur gezielten Entpriorisierung der Pakete reichen - das Gespräch wird unterbrochen oder kommt nur mit unangenehmen Unterbrechungen oder Verzögerungen an. Ebenso lässt sich die Nutzung nachträglich in Rechnung stellen.

Über die Überwachung und technischen Straßensperren für VoIP-Nutzer will allerdings niemand sprechen. Nach einem Artikel im amerikanischen Branchenblatt IEEE Spectrum, der unter Fachleuten und Bloggern für Aufsehen sorgte, rudert Narus nun zurück. Während sich das Unternehmen noch vor kurzem bereitwillig zu möglichen Eingriffen oder der Blockade von unerwünschten Paketen äußerte, stellt sich das Unternehmen im Gespräch mit Technology Review als unwissender, neutraler Händler dar. Derartige Blockadepraktiken sind nämlich zumindest anstößig, in vielen Ländern sogar verboten.

"Wir bieten Betreibern Lösungen an, um ihren Verkehr im Netzwerk zu analysieren, bestimmte Sorten Daten zu identifizieren und zu verringern, sowie die Informationen an ihre Rechnungsabteilung zu übermitteln”, beschreibt Jay Thomas, verantwortlich für Marketing, die Produktpalette des Unternehmens. Was "verringern” genau bedeutet, will er nicht definieren. "Das ist ein Ausdruck, den unsere Kunden verwenden. Wir fragen nicht, was ein Telekom-Unternehmen mit den Informationen anfängt. Ein Carrier kann Anrufe blockieren oder in der Priorität herunterstufen, und das passiert wohl sicher auch vielerorts."

Weder will Thomas europäische Telekom-Kunden nennen, noch für ein Gespräch darüber zur Verfügung stellen, wie sie seine Software einsetzen. Auf der Webseite des Unternehmens ist allerdings nachzulesen, dass T-Mobile bereits ein begeisterter Kunde von Narus ist. Im Gespräch mit IEEE Spectrum hatte der Marketing-Mann noch vom "Wunsch" der Telecomindustrie von Südamerika über Asien bis Europa berichtet, VoIP-Telefonate zu stoppen.

Jetzt besteht Thomas darauf, dass Narus' Software selber keine Datenpakete blockiere oder in eine Warteschlange schiebe, sondern die reine Überwachung und Analyse biete. Solche VoIP-Blockaden wären durch Zusatzprogramme einzurichten, so der Narus-Manager. Auch hier will er keine externen Partner nennen, mit denen sein Unternehmen nach eigenen Angaben zusammen arbeitet, um "aus allem IP-Verkehr Geld herauszuholen." Einer der Technikpartner ist die britische Firma Azure Solutions, ein Spin-Off der British Telecom.

Für Software-Anbieter wie Narus sind solche Datenschranken ein gutes Verkaufsargument, damit Betreiber "entgangenen Umsatz hereinholen" können. In einer Presseerklärung vom Sommer etwa spielt das Unternehmen die Angst vor Umsatzverlusten durch Internet-Telefonie hoch und berichtet von einem ungenannten Netzwerkbetreiber, dem 15 Prozent seines Umsatzes durch VoIP verloren gegangen seien. Dank Narus IP Management und Security habe man den unerlaubten Datenverkehr "verringert” und Abonnenten die Netzwerknutzung in Rechnung gestellt. Solche technischen Barrieren sind vor allem für Länder wie Saudi-Arabien interessant, in denen VoIP-Anrufe vorbei an den Gateways des staatlichen Anbieters verboten sind.

In den meisten Industrienationen hingegen sorgen sich Telecomfirmen wie Vodafone um drohende Umsatzeinbußen oder eine Überlastung ihrer modernen 3G-Mobilnetze, in die sie Milliarden investiert haben. So war Vodafones Ankündigung in der Fußnote einer Mitteilung zur neuen Tarifstruktur für Nutzer seiner UMTS-Netzkarten verborgen. "Die Einschränkung in den Tarifoptionen ist keine grundsätzliche Entscheidung gegen die VoIP-Technologie, sondern ein rechtlicher Vorbehalt”, erläutert Vodafone-Sprecherin Marion Stolzenwald. Wie die Sperre technisch umgesetzt werden soll und zur Frage, ob Vodafone bereits Narus-Software benutzt, will sie sich nicht äußern.

Aus gutem Grund. Die Sabotage von VoIP-Gesprächen ist eine gefährliche Strategie zur Umsatzmaximierung, warnt Mike Main vom Technologie-Berater Ovum in London. "Technisch ist es für Software-Anbieter wie Narus leicht möglich, bestimmte Arten von IP-Paketen zu identifizieren und so VoIP zu blockieren. Das passiert bestimmt auch irgendwo, nur zugeben wird das sicherlich keine Telekomfirma. Früher oder später kommt es allerdings heraus -- und wird für extrem negative Schlagzeilen sorgen.”

Main gelangt bei seiner Analyse des jungen, aber boomenden VoIP-Marktes zu keinem Horrorszenario wie Narus. "Skype hat ein sehr effizientes Codec entwickelt, bei dem ein Telefonat nur 10 bis 20 Kilobit pro Sekunde beansprucht. Das ist extrem niedrig, wenn man es mit dem international üblichen G.711 Standard vergleicht, bei dem ein Standard-Telefonat zwischen 80 und 100 Kilobit pro Sekunde benötigt.” Ein eifriger Filesharer, der Musik, Filme oder Programme hoch- und herunterlädt, kommt dagegen im Monat spielend auf 40 oder mehr Gigabyte Datendurchsatz - und kann in der Gruppe die Kapazitäten eines Netzbetreibers erschöpfen.