"Zwei Drittel unserer Volkswirtschaft hängen von produzierenden Unternehmen ab"

Ingward Bey vom Forschungszentrum Karlsruhe über die Bedeutung des seit 1999 laufenden BMBF-Förderprogramms zur "Produktionsforschung", Innovationen hinter den Kulissen und internationale Wettbewerbsvorteile der deutschen Industrie.

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Von
  • Niels Boeing
Inhaltsverzeichnis

Wenn in Deutschland Innovationen angemahnt werden, sind meist vor allem Biotechnik oder Halbleitertechnik gemeint. Das Rückgrat der hiesigen Forschung, die produzierende Industrie, wird nur erwähnt, wenn wieder eine Exportweltmeisterschaft zu feiern ist. Dabei trägt sie mit einem Umsatz von 500 Milliarden Euro pro Jahr ein Viertel zum deutschen Bruttoinlandsprodukt und etwa ein Drittel des gesamten in Deutschland erwirtschafteten Produktionswertes bei.

Auch in der produzierenden Industrie werden Innovationen vorangetrieben – und zwar ganz systematisch mit Hilfe des 1999 vom Bundesforschungsministerium (BMBF) aufgelegten Rahmenprogramms „Forschung für die Produktion von morgen“. 317 Millionen Euro Fördergelder sind bis 2005 in das Programm geflossen, und bis 2009 will das BMBF weitere 60 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung stellen. Technology Review sprach mit Ingward Bey, der die Programmkoordination beim Projektträger am Forschungszentrum Karlsruhe leitet, darüber, wie diese Produktionsforschung organisiert ist, welche Ergebnisse sie hervorbringt und wie die Wirtschaft von ihnen profitiert.

Technology Review: Herr Bey, was ist eigentlich "Produktionsforschung"?

Ingward Bey: Das ist ein Begriff, den ich irgendwann eingeführt habe, weil er das, was wir tun in einem Wort ausdrückt: „Produktionsforschung“ ist eine angewandte Forschung, die praktische Probleme lösen will, die in der produzierenden Industrie auftauchen. Worauf konzentriert sich die Produktionsforschung? Auf die produzierenden Unternehmen mit ihren Prozessen, Einrichtungen, Menschen und ihrer Organisation. Im Fokus steht alles, was diesen Unternehmen hilft, wettbewerbsfähig zu bleiben oder zu werden.

TR: Was sind die Ziele des Programms?

Bey: Es gibt drei wichtige Ziele. Erstens: die führende Position deutscher Unternehmen als Ausrüster für die Welt auszubauen. Deutschland ist ja ein starkes Maschinenbauland und liefert zum Teil ganze Fabriken.

Zweitens: die Marktdynamik über Produktionswertschöpfungsnetze zu beherrschen. Heute kann man nicht mehr von der Schraube bis zum fertigen Auto alles in einer Fabrik machen. Uns geht es darum, schnell und immer vorneweg zu sein.

Drittens: die Attraktivität der Produktion zu steigern – wir wollen es für junge Menschen interessanter machen, zum Beispiel Ingenieur zu werden und dann in die Produktion zu gehen. Es ist sicher schön, ein Handy in der Hand zu halten oder ein Auto zu fahren. Aber da steckt viel mehr drin, das muss auch produziert werden. Wir wollen deshalb auch kommunizieren, dass zwei Drittel unserer Volkswirtschaft von produzierenden Unternehmen abhängen.

TR: Inwiefern hat das Programm, das ja bereits seit 1999 läuft, geholfen, diese Ziele schneller und umfassender zu erreichen?

Bey: Zurzeit läuft eine Evaluierung des Programms durch ein internationales Konsortium. Vorläufig kann man festhalten: Unsere Forschung wird hauptsächlich in Verbundprojekten durchgeführt, an denen unterschiedliche Unternehmen und Institute beteiligt sind. Damit können wir Kompetenzen zusammenbringen, die sonst nicht zusammenfänden. Wir sorgen außerdem für eine Umsetzung der Ergebnisse, die ohne ein solches Programm in der Regel kaum stattfindet.

Das ZEW in Mannheim hat bereits 2003 in einer Befragung von 400 geförderten Unternehmen festgestellt: Zu jedem Euro an Fördergeld haben diese nicht nur denselben Betrag aus Eigenmitteln investiert – die Förderung beträgt 50 Prozent -, sondern darüber hinaus noch einmal bis zu 70 Cent extra. Das Programm hat die Forschung also beschleunigt und intensiviert. Das unterstützt auch das Ziel der EU-Länder, bis 2010 jährlich drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Forschung auszugeben.

TR: Warum übernimmt der Staat – über das BMBF – hier eine so aktive Rolle in Zeiten, in denen allenthalben der Rückzug des Staates gefordert wird?

Bey: Forschung ist wie Bildung eine Zukunftsinvestition. Beide werfen ihren Nutzen erst nach Jahren ab. Vieles andere dagegen ist eher „Vergangenheitsbewältigung“, eine Finanzierung von Dingen, die wir uns geleistet haben, als es uns noch besser ging. Ein Unternehmen, das nicht in Forschung und in seine Mitarbeiter investiert, ist in kurzer Zeit weg vom Fenster. Die Bundesrepublik Deutschland ist in gewissem Sinne ein sehr großes Unternehmen, dass es sich auch nicht leisten kann, auf diese Zukunftsinvestionen zu verzichten. Das hat mit Subventionen nichts zu tun. Wir dürfen dabei allerdings nur die vorwettbewerbliche Forschung in Angriff nehmen. Die beteiligten Unternehmen müssen dann selbst aus den Ergebnissen vermarktbare Produkte und Dienstleistungen machen.

TR: Welche Innovationen sind aus dem Programm bislang hervorgegangen?

Bey: Innovationen wie der Laser oder das Internet sind von unserem Programm nicht unbedingt zu erwarten. Eher „Inventionen“ oder Innovationen in stetigen Schritten. Wenn es zum Beispiel ein neues Material gibt, vielleicht einen Verbundwerkstoff, stellen wir plötzlich fest, dass wir dieses mit den üblichen Verfahren gar nicht bearbeiten können. Was kann man da machen? Muss man die Werkzeuggeometrien ändern, müssen die Maschinen anders gesteuert werden? Muss eine ganz neue Maschine entwickelt werden? Oder man möchte eine Stanzmaschine, die mit 100 Dezibel in der Werkhalle ordentlich Lärm macht, flüsterleise bekommen. Auch das sind Innovationen.

Solche kleinen Verbesserungen helfen am Ende etwa, Auto- oder Flugzeugteile leichter zu machen. Sie als Endnutzer können nicht alle Innovationen immer direkt bemerken. Aber wir schieben den Stand der Technik mit jedem Verbundprojekt um ein wichtiges Delta nach vorne. Noch ein Beispiel aus der Holzbearbeitung: Da haben wir in einem unserer Projekte die doppelte Leistung aus einer Maschine herausgeholt bei nur 20 Prozent Mehrkosten. Das bringt einen entscheidenden Marktvorteil im weltweiten Wettbewerb.

TR: Seit das Programm 1999 begann, hat sich die Dynamik und der Wettbewerb in der Weltwirtschaft mit dem Aufstieg Chinas und Indiens verschärft. Ist das Programm genau zur rechten Zeit aufgelegt worden, so dass die produzierende Wirtschaft in Deutschland immer um das entscheidende „Delta“, wie Sie es nennen, vorne bleiben konnte?

Bey: Das ist wirklich ein sehr guter Schachzug gewesen. Es ist auch das erste Rahmenprogramm aus dem BMBF, das kein „Verfallsdatum“ hat. Wir können damit laufend neue Probleme identifizieren und anpacken. Nehmen Sie die Produktpiraterie, die im Verhältnis zu China gerade akut ist. Wir haben mit Vertretern aus Wirtschaft und Forschung diskutiert, was man dagegen tun könnte. Das BMBF prüft derzeit, ob wir einen Wettbewerb dazu auflegen. Damit könnten wir unser Knowhow wieder um einen wichtigen Schritt erweitern.

Solche Themen zu finden, ist eine der Aufgaben des Forschungszentrums Karlsruhe als Projektträger. So kann dieses Programm immer aktuell gehalten werden.

TR: Entstehen dabei aber nicht auch Wettbewerbsnachteile, wenn neues Knowhow an internationale Unternehmen geht, die gar nicht mehr in dem nationalen Rahmen operieren, auf den das Programm zugeschnitten ist?