Das Universum in der Röhre

Der Large Hadron Collider geht voraussichtlich Ende nächsten Jahres in Betrieb. Er wird auf Jahre hinaus die leistungsstärkste Experimentiermaschine der Teilchenphysik sein.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 21 Kommentare lesen
Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Gerhard Samulat
Inhaltsverzeichnis

Noch wird überall geschraubt, gebohrt oder geschweißt; manchmal riecht es nach Werft. Doch spätestens in einem Jahr soll der Large Hadron Collider LHC, der leistungsstärkste Teilchenbeschleuniger aller Zeiten am Cern in der Nähe von Genf startbereit sein. „Die Atmosphäre ist wie in einem Unterseeboot“, sagt Christoph Rembser von der Universität Erlangen-Nürnberg. Er hat recht: Für Unbeteiligte sieht es momentan so aus, als würden die Arbeiter gerade eine Art U-Boot montieren.

Christoph Rembser ist Mitglied der so genannten Atlas-Kollaboration: Eine rund 1800 Forscher umfassende Arbeitsgruppe von 150 Universitäten aus 34 Ländern, die gemeinsam das riesige, zylinderförmige Nachweisgerät geplant haben, das jetzt am Boden einer gut 85 Meter tief in der Erde liegenden Kaverne zusammengebaut wird. In dieser Höhle fände eine Kathedrale Platz – mit 46 Meter Länge, 25 Meter Höhe und ebensolcher Breite wird Atlas das größte Experiment am LHC. Es wiegt so viel wie der Eifelturm in Paris.

Weil bei den Arbeiten auf der riesigen Baustelle Gase austreten können – Stickstoff, Argon oder Helium, die zur Kühlung einiger Komponenten benutzt werden – tragen alle Sauerstoffmasken griffbereit um die Schultern. Eine rasche Flucht irgendwo aus dem gut 27 Kilometer langen Tunnel des Beschleunigers oder den tief unter der Erde liegenden Kavernen: unmöglich! Jetzt, wo die Geräte im Entstehen sind, kann man sie noch begutachten – wenn auch eingeschränkt: Wenn "die Maschine", wie der Beschleuniger genannt wird, erst einmal läuft, steckt alles hermetisch abgeriegelt hinter Meter dicken Betonmauern.

Der Tunnel des LHC sieht aus wie ein zu klein geratener U-Bahnschacht. In dem tief unter der Erde liegenden Rund sollen spätestens Ende nächsten Jahres atomare Teilchen fast mit Lichtgeschwindigkeit gegenläufig herumflitzen: wahlweise Protonen oder Blei-Ionen. In den Nachweisgeräten lassen die Experimentatoren die Teilchen dann aufeinanderprallen. Aus der Analyse dieser Kollisionen erhoffen sie sich Antworten auf einige der letzten Rätsel der Natur: Woher kommt Materie? Wie setzt sie sich zusammen? Wie entstand sie?

„Falls wir hier mit unserer Anlage nichts finden, würde sich die gesamte Teilchenphysik davon nicht mehr erholen“, prophezeit Robert Aymar. Er ist der oberste Cern-Chef. Ähnlich drastisch formuliert es Michael Kobel von der Technischen Universität Dresden: „Wenn wir beispielsweise die supersymmetrischen Teilchen nicht entdecken, bräche unsere gesamte physikalische Vorstellung zusammen.“ Falls sich jedoch eine Spur dieser ominösen Partikel erhaschen ließe, hätten sie zugleich einen aussichtsreichen Kandidaten für die merkwürdige Dunkle Materie, die den Astrophysikern seit einiger Zeit Kopfzerbrechen bereitet: hält sie doch unsere Galaxien zusammen, obgleich niemand weiß, woraus sie besteht.

Optimistischer ist da schon Jürgen Schukraft: „Die Möglichkeiten für Entdeckungen, die Nobelpreis-Kaliber haben, sind beim LHC enorm“, meint der 53-jährige Sprecher der Alice Kollaboration – einer ebenfalls über eintausend Köpfe starken Forschergruppe, zu der sich 90 Institute aus 27 Ländern zusammengeschlossen haben. Auch Alice ist ein monströses Gebilde: Unter 8000 Tonnen Eisen verbergen sich Millionen hochsensibler Sensoren und fragiler Messfühler. Sie nehmen alle Bruchstücke der mikroskopischen Explosion auf und rekonstruieren sie mit Hilfe von Computern zu einem Gesamtbild. Schukraft und seine Kollegen wollen einen exotischen Materiezustand untersuchen: das Quark-Gluon-Plasma. Nur wenige Millionstel Sekunden nach dem kosmischen Urknall vor knapp 14 Milliarden Jahren muss unser Universum aus einer solche Zusammenballung entstand sein. Schukraft träumt davon, eine Art Zustandsgleichungen für diese ungewöhnliche Materiezusammenballung aufstellen zu können.

Die anderen beiden Experimente, die ebenfalls spätestens ab 2008 am LHC Messungen beginnen wollen, haben ebenso anspruchsvolle Ziele. So sucht LHC-b beispielsweise Antworten auf die Frage nach der fehlenden Antimaterie im Universum. Und CMS ist wie Atlas ein Universal-Detektor. Beide fahnden nach so genannten Higgs-Bosonen. Nach den Vorstellungen der Wissenschaftler sollen sie allen Teilchen ihre spezifische Masse verleihen. Denn nach dem heute gültigen und mit höchster Präzision bestätigten Standardmodell, dürften die elementaren Partikel, die Elektronen oder die Quarks aus den Kernbausteinen, eigentlich gar keine Masse besitzen.