Vom Saulus zum Paulus

Die Idee klingt paradox: Mit Hilfe von Viren wollen Forscher Krebs bekämpfen. Denn die Krankmacher vermehren sich am liebsten in Tumoren – und zerstören diese dabei. Noch dieses Jahr soll eine Virotherapie in Großbritannien am Patienten getestet werden.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Edda Grabar

Viren machen krank. Schnupfen vom Adenovirus, Grippe von den vielfältigen Influenzavertretern, Leberentzündung von Hepatoviren, auch die gefährlichen Pocken haben ihre eigenen Viren. Ihre Strategie: Sie dringen in die Zellen ein und nutzen deren Maschinerie, um sich übermäßig zu vermehren, ihre Herberge zu zerstören und dann den Körper zu überschwemmen. Gewöhnlich schaltet sich dann das Immunsystem dazwischen und wehrt die meisten dieser unerwünschten Gäste erfolgreich ab.

Krebs aber ist noch schlimmer. Entartete Zellen, die nicht sterben können, deren Wachstum unbegrenzt scheint. Die Tumoren bilden und sich im schlimmsten Fall als nahezu unsichtbare Herde durch den Körper verteilen. Das Abwehrsystem kümmert sich so gut wie gar nicht um den Fehlgriff – zählt es sie doch zum Körper. Zudem unterdrücken die Tumoren die zelluläre Verteidigung.

Was liegt also näher, als Viren zu den Tumoren zu schicken? Ungestört von jeden Abwehrversuchen „vermehren sie sich bis zu eine Millionen mal pro Zelle, bis die Zelle platzt und sie angrenzende Tumorzellen infizieren“, sagt Leonard Seymour. Der Pharmakologe der University of Oxford stellte letzte Woche sein Konzept einer Krebstherapie mit Hilfe von Viren der Öffentlichkeit vor.

„Im Prinzip ist die Virotherapie nicht neu“, sagt Dirk Nettelbeck, Nachwuchsgruppenleiter für onkolytische Adenoviren am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. Es gäbe bereits etliche Versuche, Viren gezielt gegen den Krebs einzusetzen. „Nur war die Methode bislang einfach nicht effizient genug“, so Nettelbeck. „Ein Grund dafür liegt bei der körpereigene Immunantwort, die die Viren mit der Zeit zerstört.“

Dieses Problem hat Seymour geschickt umgangen. Er umwickelte die Viren mit einem Mantel aus langkettigen Molekülen, so genannten Polymeren. Derart getarnt können sie vom Immunsystem unerkannt zu den Krebszellen wandern und sich dort ungestört vermehren. Sein Ziel ist es, auf diese Art auch kleinste Tumorherde wie Metastasen im Körper aufzuspüren und zu vernichten. Die Nachfahren der getarnten Viren tragen die Hülle allerdings nicht mehr. Gelangen sie in die Blutbahn oder versuchen gesunde Zellen zu infizieren, macht ihnen die Körperabwehr schnell den Garaus – und, so die große Hoffnung der Experten, lösen sie einen zweiten Effekt aus: Einmal freigesetzt, sollen sie auch noch die Abwehrzellen aus der Umgebung anlocken, die dann auch den angefressenen Tumor bekämpfen.

Jean Rommelaere, Leiter der Abteilung Tumorvirologie am DKFZ, hält die Ankündigungen von Seymour für durchaus glaubhaft. Seymour, sagt er, sei ein seriöser Mann:.“ Der Brite erregte mit seinen Verpackungskünsten unter Experten bereits aufsehen. „Das ist eine ernste Sache“; sagt Rommelaere.

Aus mehreren Gründen lassen sich Viren gerne in Tumorzellen nieder: Sie benötigen Zellen, die schnell wachsen. Zudem unterdrücken die entarteten Zellen ihre eigene Abwehr. Die antiviralen Mechanismen sind außer Kraft gesetzt. Das macht es den Viren denkbar einfach. Doch es gibt auch solche Vertreter, die kleine Sensoren auf ihrer Oberfläche tragen, mit denen sie Krebszellen gezielt aufspüren. Rommelaere hält es sogar für möglich, dass Seymour der Tarnhülle der Viren solche Rezeptoren eingepflanzt hat. „Denn die schnupfenverursachenden Adeno- wie auch die Kuhpockenviren, die Seymour nutzt, dringen gewöhnlich in alle Zellen ein – nur leben sie dort nicht lange“, so Rommelaere. Der gebürtige Belgier arbeitet selbst an einer Virotherapie mit dem auf Ratten spezialisierten Parvovirus. Der tut dem Menschen zwar nichts, vermehrt sich aber in Tumorzellen besonders gut. Auch in Heidelberg will man möglichst bald mit klinischen Versuchen am Patienten starten. Zuerst aber versuchen die Heidelberger, das Virus völlig unschädlich machen. „Er ist zwar völlig harmlos für den Menschen, aber man verliert viel, wenn es dann doch zu Problemen kommt“, sagt der Krebsforscher.

Das weiß auch Michael Bergmann, Chirurg am Allgemeinen Krankenhaus (AKH) in Wien, der sich dem "Translational Research" verschrieben hat. In einer Kooperation mit dem Biotech-Unternehmen Green Hills Biotechnology (GHB) erforscht der Mediziner bereits seit über fünf Jahren, wie man die winzigen Schädlinge optimal gegen Krebs einsetzen kann. Die Wissenschaftler aus Industrie und Akademie versuchen, das Grippevirus zum Krebsvernichter umzuerziehen – nicht ins Blut, sondern direkt in den Tumor gespritzt. Biotechnologischer Partner und Ideengeber war damals Thomas Muster, der aus dem akademischen Setting GHB aufbaute und heute als CEO bei GHB sein „Baby“ in die Therapie bringen möchte.

„Der Influenzaerreger ist extrem gut charakterisiert. Das Virus bildet lediglich elf Proteine, deren Funktion man sehr gut kennt. Eines wendet sich gegen die Immunantwort “, sagt Bergmann. Genau dieses Gen haben die Forscher dem Influenzakeim geklaut. Gewöhnlich bildet es einen Faktor, der das Interferonsystem, eines der ersten Fronten des Abwehrsystems, blockiert. Es ist unter anderem auf die Abwehr von Viren spezialisiert. Durch den Genklau kann sich das Virus nur noch in solchen Zellen vermehren, in denen die Interferonantwort defekt ist“, sagt Bergman. Das ist bei einer ganzen Reihe von bösartigen Zellen der Fall. Sie bilden im Übermaß ein Regulatorprotein mit dem Namen Ras. Es bewirkt, dass Interferon nicht mehr gebildet werden kann. Sucht der Grippeerreger hingegen gesunde Zellen auf, wird er automatisch vernichtet, da die Wissenschaftler ihn entwaffnet haben.

„Diese Methode funktioniert jedoch nicht mit allen Virusformen“, erklärt Bergmann. Virus ist nicht gleich Virus. Und Krebs ist nicht gleich Krebs. Beide haben so ihre Eigenheit. Erst seit die Wissenschaftler das Zusammenwirken von Virus und Zelle besser verstehen, können sie zu solchen molekularbiologischen Tricks greifen. Zuvor fehlte es auch an Technologien. Schon heute unterscheiden einige Ärzte und Wissenschaftler Krebsformen nicht mehr nur nach dem Organ, von dem sie ausgehen. „Es gibt Lungentumore, die sind molekular eng verwandt mit solchen, die etwa in der Brust auftreten. Dafür haben sie mit anderen Lungenkrebsarten viel weniger gemein“, sagt Krebsforscher. Auf diesen Umstand wird man in Zukunft nicht nur die Virotherapie, sondern auch etablierte Therapieformen, wie Chemotherapie, abstimmen müssen.

Mit der Virotherapie hoffen die Forscher ein Trojanisches Pferd entwickelt zu haben, das den Tumor von innen zerstört. Noch befinden sich die Wiener im Tierversuch. „Wir möchten mit einem möglichst ausgereiften Produkt in die klinische Phase gehen“, sagt Bergmann. Und auch Leonard Seymour wird an Patienten zunächst eine abgespeckte Version seiner Virotherapie testen. Sowohl der Schnupfen- als auch der Kuhpockenvirus sollen zunächst von ihren krankmachenden Genen befreit werden, um mögliche Infektionen auszuschließen. Auch werden sie wohl erst einmal unbemantelt direkt in den Tumor gespritzt, um Dosierungen und mögliche Nebenwirkungen zu prüfen. Doch Jean Rommelaere ist überzeugt davon, dass die Virenbehandlung „ihren Platz in der Krebstherapie finden wird“. (wst)