Kraftvolle Chemie

Unter dem Einsatz mechanischer Kräfte lässt sich die Reaktionsfreudigkeit spezieller Moleküle genau dosieren. Ein völlig neuer Ansatz in der Chemie?

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Von
  • Prachi Patel-Predd

Chemikern an der University of Illinois in Urbana-Champaign ist es gelungen, die Reaktionsfreudigkeit eines Spezialmoleküls mit mechanischer Kraft zu kontrollieren. Die Ergebnisse der in "Nature" veröffentlichten Studie könnten beispielsweise für die Entwicklung sich selbst heilender Materialien genutzt werden, bei denen Moleküle, die unter physikalischen Belastungen stehen, ihre Form verändern. Eine andere Anwendungsmöglichkeit: Polymere, die reagieren und ihre Farbe verändern, wenn sie beschädigt sind. "Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Fallschirmspringer und wollen wissen, ob ihre Seile wirklich noch in Ordnung sind. Sind sie es nicht, könnten sie das dann ganz genau an ihnen ablesen", erklärt Jeffrey Moore, Professor für Chemie und Materialwissenschaften, der die Studie leitete.

Auch die gesamte Chemie könnte sich verändern: Krafteinsatz würden künftig Hitze, Licht und Katalysatoren ersetzen. "Das zentrale Element ist, dass wir erstmals mit mechanischer Kraft eine genau dosierte höhere Reaktionsfreudigkeit schaffen. Dadurch lässt sich eine besonders produktive Chemie schaffen", so Moore.

Die Idee, Kraft zur Erhöhung der Reaktionsfreudigkeit von Molekülen zu nutzen, geistert bereits seit den Vierzigerjahren durch die organische Chemie. Bis jetzt gelang es allerdings nur, längere Kunststoff-Polymer-Ketten in kleinere Teilstücke aufzubrechen. Besonders nützlich war das nicht – so ließen sich nicht einmal die Bruchstellen vorab definieren.

Moore und seine Kollegen war es nun allerdings möglich, die Strukturveränderung eines ringförmigen organischen Moleküls wirklich genau zu kontrollieren – und nicht nur einen Bruch zu erzeugen. Dazu wurden Polymerketten an beiden Seiten des Moleküls angebracht. Anschließend wurde eine Ultraschallfrequenz an die Lösung angelegt, in der die Moleküle saßen. Dadurch entstand eine mechanische Kraft an den Polymer-Ketten, die sie in gegenläufige Richtungen zog. Das Ergebnis: Die chemischen Verbindungen im Ring lösten sich, wodurch sich das Molekül intern veränderte und reaktionsfreudiger wurde.

Die Forscher fanden außerdem heraus, dass die mechanische Kraft das Molekül weitgehender verändern konnte, als durch andere Energieformen wie Licht oder Hitze. "Das Schöne und Unerwartete an dem Versuch war, dass die Reaktion ganz anders ablief, als man erwarten würde", kommentiert Stephen Craig, Chemieprofessor an der Duke University. "Da wird an einem Molekül gezogen und es sortiert sich so neu, dass etwas entsteht, das über Hitze und Licht nicht möglich wäre."

Befindet sich das Molekül in seiner neuen Form, reagiert es mit einem anderen Molekül, das sich mit ultraviolettem Licht wahrnehmen lässt. Genau hiermit ließe sich auch eine Farbveränderung vornehmen. Bei bisherigen Methoden wurden nur Polymere in kleinere Fragmente zerlegt. "Spannend ist, dass es den Forschern hier gelang, Moleküle mit mechanischer Kraft zu größeren Molekülen zu machen", meint Craig. Auf längere Sicht seien Materialien denkbar, die mit zunehmender Kraftaufwendung stärker und nicht schwächer wären – eine Art Umkehrung bestehender Logik.

Andere Forscher wie Virgil Percec von der University of Pennsylvania denken an eine ganz neue Chemie. "Das ist ein sehr elegantes und schönes Experiment", meint der Chemieprofessor mit Blick auf die Arbeit von University of Illinois-Mann Moore. Auch mit kleineren mechanischen Kräften ließen sich chemische Reaktionen künftig kontrollieren. "Dadurch könnten wir vielleicht eines Tages auf umweltschädliche Katalysatoren verzichten", so Percec. Als nächstes will Moore nun versuchen, sein Konzept auch bei Feststoffen anzuwenden – und nicht nur bei Polymeren. (bsc)