Ökostrom für Manhattan

Turbinen im East River, die von den Gezeiten angetrieben werden, sollen künftig dabei helfen, New York zu erleuchten.

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Von
  • Peter Fairley

Während der "Nor'easter"-Sturm über die Küste fegt, versuchen Ingenieure des Spezialherstellers Verdant Power von Boten aus das erste Gezeiten-Turbinen-Projekt der USA fertig zu stellen. Installiert wird die Technik in der Nähe von Roosevelt Island in New York City. Insgesamt sechs Turbinen werden versenkt, um Energie aus dem Ebbe- und Flut-Verhalten des East River zu gewinnen. Die Systeme mit ihren drei Rotorblättern erinnern an Windräder und haben einen Durchmesser von jeweils fünf Metern.

Das Projekt soll schnell mindestens so wettbewerbsfähig wie Windkraftanlagen sein – hier konnten sich die Ingenieure ohnehin viel abschauen. Der große Vorteil der Strömungskraft gegenüber den anderen erneuerbaren Energiequellen: Der Output ist genau berechenbar. Aus diesem Grund haben Projektentwickler bereits jetzt die besten Claims an Ost- und Westküste der USA abgesteckt. Laut der US-Energie-Regulierungsbehörde wurden bereits 25 vorläufige Genehmigungen erteilt – 31 weitere Anträge laufen noch.

Die Nutzung der Gezeiten zur Stromgewinnung ist nicht ganz neu: So werden so genannte hydroelektrische Dämme bereits seit längerem genutzt, um in Buchten und Meeresarmen Energie zu erzeugen. Dabei wird ein Reservoir zweimal täglich von der Flut mit Wasser befüllt. Der La-Rance-Damm in der Normandie produziert seit 1966 bis zu 240 Megawatt Strom – so viel wie ein leistungsfähiges Erdgaskraftwerk. Im kanadischen Halifax produziert Nova Scotia Power mit einer ähnlichen Anlage seit 1984 bis zu 20 Megawatt. An der so genannten Bay of Fundy treten die größten Gezeitenunterschiede der Welt auf – bis zu 16 Meter.

Doch diese Systeme gelten inzwischen als veraltet, weil sie das Ökosystem Meer negativ beeinflussen können. James Taylor, leitender Umweltmanager bei Nova Scotia Power, erinnert sich an Pläne für große kommerzielle Anlagen in den achtziger Jahren, die die Flut bis hinunter nach Boston beeinflusst hätten: "Das ist eine Technik, für die man heute wohl kaum mehr eine Genehmigung bekäme."

Auch deshalb sind so genannte "In-Flow"-Turbinen wie die von Verdant in New York so attraktiv. "Der große Vorteil ist, dass sie kaum Auswirkungen auf die Umwelt haben", erklärt Dean Corren, der Leiter der Technologieentwicklung bei der Firma. Er selbst entwarf die Turbinen in den frühen Achtzigern, als er noch an der New York University forschte.

Correns Team installierte die ersten zwei Turbinen im East River bereits im Dezember. Eine liefert maximal 35 Kilowatt Energie an die Stadt – sie dreht sich mit Flut und Ebbe, wenn der Fluss anschwillt und sich dann zurückzieht. Die zweite Turbine wird zur Generierung von Messdaten verwendet, um Rotorblätter, Getriebe, Generator und Kontrollsystem zu optimieren.

Im vergangenen Monat hat Verdant nun vier weitere 35-Kilowatt-Turbinen installiert. Gleichzeitig arbeitet man bereits an der nächsten Generation, die sich deutlich billiger produzieren lassen soll. Dann will die Firma insgesamt 100 Turbinen im East River versenken.

Bevor Verdant allerdings dieses Großprojekt in Angriff nehmen kann, muss das Unternehmen die sechs Test-Turbinen mindestens 18 Monate laufen lassen, um letzte Bedenken der Umweltbehörden auszuräumen, dass die Anlage die Fischpopulation schädigen könnte. Immerhin bewegen sich die Turbinen an der Spitze mit einer Geschwindigkeit von 9 Metern pro Sekunde. Umweltbedenken hatten das Gesamtprojekt zuvor bereits um mehrere Jahre verzögert. Corren kann bislang zuversichtlich bleiben: Die ersten gewonnenen Daten zeigen, dass sich nur wenige Fische in die starken Strömungen begeben, die an den Turbinen anliegen. Dies will man nun in einer längerfristigen Studie bestätigen – erst dann sind größere Projekte möglich.

Spezialfirmen in Kanada und Europa arbeiten bereits an leistungsfähigeren Anlagen. Marine Current Turbines aus dem englischen Bristol betreibt bereits seit vier Jahren eine 11-Meter-Turbine mit 300 Kilowatt in Devon und plant nun eine 1-Megawatt-Turbine in Nordirland (Strangford Lough). Dabei setzt man auf einen ähnlichen Aufbau wie Verdant – aber mit zwei Rotoren.

Andere Konkurrenten verwenden einen anderen Ansatz: Sie nutzen Abdeckplatten, die den Wasserfluss leiten. Nova Scotia Power hat eine entsprechende Anlage bei OpenHydro in Dublin bestellt. Eine Einzelturbine leistet dabei ein Megawatt. Clean Current Power Systems arbeitet in Vancouver sogar an einer 2-Megawatt-Version einer bestehenden 65-Kilowatt-Turbine, die bereits seit Dezember an der Küste von British Columbia läuft.

Obwohl die Massenproduktion auf Dauer Kosten senkt, dürfte die noch junge Industrie ihre Zeit brauchen, bis die letzten mechanischen und elektrischen Probleme behoben sind – immerhin laufen die Anlagen ständig unter dem Meer. "Salzwasser ist heimtückisch. Man kann die Technik so viel versiegeln, wie man möchte, aber es kommt irgendwann doch durch", meint Glen Darou, Präsident von Clean Current. Aber das gleiche Problem hat ja auch die Schifffahrt. (bsc)