Make-up, politisch korrekt aufgetragen

Ab März 2009 sollen Tierversuche, mit denen Kosmetika auf Hautreizungen getestet werden, durch künstliche Hautmodelle ersetzt werden. Die Kosmetik- und Biotechindustrie rüstet zum Kampf um die beste Alternative.

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Von
  • Edda Grabar
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Die Europäische Union macht ernst: Sie sagt den Tierversuchen der Kosmetikindustrie den Kampf an. Ab März 2009 dürfen all die Verschönerungsmittelchen, die Cremes, Lotionen, Make-ups, Gels, Peelings, Masken, Shampoos, Conditioner, Tröpfchen und Suspensionen, die Parfüms und Deos nicht länger an unglücksseligen Kaninchen getestet werden. Die Entscheidung ist nicht neu, doch das Datum rückt unversöhnlich näher. Und die in der Erfindung mehr oder weniger nützlicher Produkte einfallsreiche Kosmetikindustrie steht unter Druck, ihre Kreativität auch in weiteren Forschungsfeldern einzusetzen.

„Das haben wir getan“, sagt Jacques Leclaire, Direktor für Life-Science-Forschung bei L’Oreal, selbstbewusst. Anfang Juli stellte er in Lyon das erste von der Zulassungsbehörde European Center for Validation of Alternative Methods (ECVAM) abgesegnete Testverfahren vor, das Tierversuche wenigstens bei Hautirritationen ersetzen soll. „Rund 20.000 Kaninchen kann das System pro Jahr ersetzen“, sagt Leclaire – bezogen auf die Länder, die ihre Tierversuche melden. Die Akademie für Tierschutz rechnet für Hautreizungstests in Europa mit etwa 30.000 Tierversuchen jährlich, die Dunkelziffer sei allerdings erheblich höher. Ein erquicklicher Markt erwartet also die Hersteller alternativer Verfahren. Kein Wunder, dass nicht nur L’Oreal daran arbeitet.

Die französische Variante heißt Episkin und sieht weniger kosmetisch als vielmehr hoch molekular aus. In Einbuchtungen von etwa einem Zentimeter Durchmesser schwimmen, eingespannt in einen Ring, kleine Hautfetzen in einem roten Medium, das den Ingredienzen nach etwa einer physiologischen Kochsalzlösung ähnelt, einer Art kurzfristigem Blutersatz, mit dem auch Patienten im Krankenhaus stabilisiert werden. Das runde Hautstück stammt jedoch nicht von einem Tier oder Menschen. Es hat sich selbst aus einzelnen menschlichen Zellen geformt. Tissue Engineering, Gewebezüchtung nach allerbester Manier: Man lässt Hautzellen auf einer dünnen Oberfläche wachsen. Das Produkt macht einen strapazierfähigen Eindruck: Es fühlt sich an wie eine dünne Gummischicht und gibt elastisch dem Fingerdruck nach, ohne aber seine Spannung zu verlieren. Wie Haut eben ist.

Estelle Tinois-Tessonneaud, die Leiterin des Episkin-Forschungszentrums, demonstriert, wie das ganze funktioniert. Im Lyoner Labor versetzt eine Laborantin das synthetisierte Hautstück in einem Gummiring von etwa fünf Millimeter Durchmesser mit Suspensionen und Cremes aus der Kosmetikindustrie. Über 18 Stunden, je nach Anforderung auch mehr, wirken die zu untersuchenden Substanzen ein. Anschließend ermittelt ein Farbtest, wie viele Hautzellen die Tortur überstanden haben. „Unsere Maßeinheit ist sehr einfach: Über die Farbintensität der Flüssigkeit ermitteln wir, wie viele Zellen abgestorben sind. Sind es weniger als die Hälfte, ist nichts an der Substanz auszusetzen. Sind es mehr, ist sie für eine weitere Verwendung ungeeignet“, sagt Tinois-Tessoneaud. So einfach hört sich das an.

„So einfach ist es aber nicht“, gibt Jacques Leclaire freimütig zu. Bereits Ende der Siebzigerjahre ist es den beiden französischen Forschern Michel Prunieras und Marcel Régenier gelungen, Epidermis aus lebenden Hautzellen zu gewinnen. „Bis zum zulassungsfähigen Produkt hat es nun aber fast 30 Jahre gedauert“, konstatiert der Biochemiker, der ursprünglich der Pharmaforschung bei Höchst-Rouchel, dem heutigen Sanofi-Aventis, entstammt.

Drei Lagen bilden die Schicht aus, die den Menschen umgibt: Ganz außen liegt die bekannte Epidermis mit ihrer Hornhaut, die übrigens nicht nur aus den bekannten Beulen unterhalb der Finger und an den Fersen besteht. Dort bringt es die Epidermis insgesamt auf eine Dicke von 1,5 Zentimetern, aber selbst die zarten Augenlider umgibt sie mit einer Dicke von 0,05 Millimetern. Sie hält ab, was der darunterliegenden „echten Haut“, der Dermis, schaden könnte, etwa Erreger oder Hitze. In der dritten Schicht, der Hypodermis, liegen die Energiereserven in Form von Fettzellen.