Sanfter Schock

Forscher arbeiten an neuen implantierbaren Defibrillatoren, die das berüchtigte Kammerflimmern im Herz mit minimalen Stromstößen in den Griff bekommen sollen.

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Von
  • Denis Dilba

"Wir verlieren ihn", brüllt einer der mit Kittel, Haube und Mundschutz Vermummten, die um den OP-Tisch stehen, als der gefürchtete Dauerpiepton des EKGs einsetzt. Herzstillstand. Seit einer zur Ewigkeit gedehnten Sekunde zeigt der Bildschirm schon die gefürchtete Nulllinie. Dann greift ein beherzter Arzt zum Defibrillator, setzt die beiden bügeleisenartigen Geräte auf die Brust des Sterbenden – und jagt ihm einen gewaltigen Stromstoß in die Brust. Augenblicklich bäumt sich der Patient auf. Stille. Dann piept es wieder im Takt.

Keine Arztserie kommt heutzutage ohne den spektakulär in Szene gesetzten technischen Lebensretter aus. "Bis zu 5000 Volt und 20 Ampere fließen bei der Entladung eines Defibrillator-Kondensators durch den Körper", sagt Stefan Luther vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen. Zusammen mit seinem Institutskollegen Eberhard Bodenschatz und dem Physiker Valentin Krinsky vom Institut für Nichtlinearitäten in Nizza entwickelt der Wissenschaftler zurzeit eine neue Defibrillator-Technik, die im Vergleich zu der beschriebenen Tortur geradezu grazil anmutet: Ihr neuer Ansatz soll Geräte möglich machen, die mindestens 100 Mal weniger Energie benötigen als bisherige Modelle. Ein entsprechender Artikel des Forscherteams wird in Kürze in den "Physical Review Letters" erscheinen. Basis für den Energie-Vergleich seien dabei implantierte Defibrillatoren, die ohnehin schon mit deutlich weniger Energie als ihre extern eingesetzten Gegenstücke auskommen, so die Wissenschaftler.

Die externe Variante mit ihrer hohen Energie ist vor allem nötig, um den elektrischen Widerstand von Haut, Gewebe und Rippen zu überwinden, sagt Krinsky. Der radikale Einsatz komme dann zum Zuge, wenn das Herz zu schnell und unregelmäßig schlägt. "Der Stromstoß unterbindet dabei die ungewollte und zu schnelle elektrische Anregung der Herzmuskulatur", sagt der Physiker. Dann hoffe man, dass sich das Herz im normalen Takt wiedermeldet – was es glücklicherweise in den allermeisten Fällen dann auch tue.

Eine unsanfte Methode, aber ohne sie führe das so genannte Kammerflimmern im Ernstfall in wenigen Minuten zum sicheren Tod, so Krinsky. Denn die elektrischen Erregungswellen, die in der Herzmuskulatur kreisen, führen zu Herzfrequenzen von bis zu 400 Schlägen in der Minute. Dabei können sich die Herzkammern nicht mehr vollständig zusammenziehen, das Herz hört auf zu pumpen. "Durch den riesigen Schock des externen Defibrillators werden allerdings nicht nur die gefährlichen Elektrowirbel abrupt unterbunden, sondern eben alle elektrischen Pulse im Körper", erklärt Krinsky. "Unsere Idee war daher, einen Defibrillator zu entwickeln, der nicht gleich alle Wellen eliminiert, sondern nur die gefährlichen rotierenden Wellen außer Gefecht setzt."

Die Wissenschaftler nutzen dabei Heterogenitäten im Herzmuskel aus, etwa vernarbtes Gewebe infolge eines vorhergehenden Infarktes oder größere Blutgefäße. Diese könnten unter bestimmten Voraussetzungen wie zusätzliche Elektroden wirken und so dabei helfen, den Impuls gezielter als bisher abzugeben. Rechtzeitig aktiviert, könnte der sanftere Schock auf diese Weise das Kammerflimmern unterdrücken, noch bevor es akut werden kann. "Dass der Impuls rechtzeitig einsetzt, ist heutzutage kein Problem mehr. Die Messtechnik ist ausgereift und wird bereits in den gängigen Defibrillator-Implantaten eingesetzt", sagt Alain Pumir, Mitentwickler der neuen Methode. Per Funk könne ein Arzt sogar schon ein integriertes EKG abrufen und so jede Sekunde überprüfen, welche Herzfrequenz sein Patient hätte.

"Mit diesem Ansatz könnte die Stärke des nötigen Stromstoßes auf ein Mindestmaß reduziert werden", sagt Luther. Zusammen mit dem Biomediziner Robert Gilmour von der Cornell University habe er bereits erste Tests der neuen Methode durchgeführt. "Unsere Versuche an Gewebe von Hundeherzen zeigen, dass mit Hilfe des neuen Verfahrens künstlich erzeugtes Herzflimmern mit nur einem Bruchteil der Energie herkömmlicher Defibrillatoren beendet werden kann", so Luther.

Tatsächlich hätte die Methode das Potenzial, den Komfort von implantierten Defibrillatoren zu erhöhen, sagt Martin Schönegg vom Institut für Biomedizinische Technik an der Universität Karlsruhe. Moderne implantierbare Defibrillatoren sind durchaus in der Lage, das lebensgefährliche Flimmern zu beenden, doch wird dies von den Patienten meist als ein kräftiger und unangenehmer Stoß in die Brust empfunden. Würden die Impulse so schwach sein, wie Luther und seine Kollegen ankündigen, käme das den Implantatsträgern ganz erheblich zugute. Denn trotz der schon heute im Vergleich zum klinischen Defibrillator niedrigeren Schock-Energien verlieren Träger von Implantaten in zehn Prozent der Fälle vorübergehend das Bewusstsein. Daher sei es in den ersten sechs Monaten nach Erhalt des Defibrillators unter anderem verboten, Auto zu fahren, so Schönegg. Nicht zuletzt können diese Geräte auch deutlich kleiner werden und längere Batterielaufzeiten erreichen.

Da die neue Technik jedoch ausschließlich in einem Implantat eingesetzt werden kann, wird sie nur wenige der rund 100.000 Todesfälle, die sich allein in Deutschland durch plötzlichen Herztod jedes Jahr ereignen, verhindern können, sagt Schönegg. In diesen Fällen helfe nur ein frühzeitiger Einsatz eines automatischen externen Defibrillators oder tatkräftige Mitmenschen, die mit wirkungsvoller Herz-Lungen-Wiederbelebung die Zeit bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes überbrücken. Der beste Ansatz sei jedoch immer noch, aktiv gegen die Ursachen von Herzflimmern anzugehen. "Ein gesunder Lebensstil, mit viel Bewegung, ausgewogener Ernährung, wenig Stress und ohne Rauch ist hierzu sicher am effektivsten", sagt Schönegg. (bsc)