"Eine Vorbereitung auf von Maschinen erstellte Kulturen"

Andrew Reinhard ist Archäologe, seine Leidenschaft sind Computerspiele. Als "Archäogamer" will er beide Welten miteinander verbinden.

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Andrew Reinhard ist studierter Archäologe, seine Leidenschaft sind Computerspiele. Als "Archäogamer" will er beide Welten miteinander verbinden.

Die Feld-Arbeit von Archäologen stellt man sich für gewöhnlich etwas dreckig vor: Zwischen Gestein, Sand oder auch in Baustellen arbeiten sie mit kleinen Bürstchen, legen mühsam Bruchstücke einer vergangenen Kultur frei. Doch eine kleine Gruppe an Wissenschaftlern haben ihr Untersuchungsfeld erweitert. Sie erkunden Landschaften in virtuellen Welten, genauer gesagt, die in Computerspielen. "Archäogamer" nennen sie sich, einer von ihnen ist Andrew Reinhard. Der Archäologe betreibt den Weblog Archaeogaming und ist fasziniert davon, was Codes und Spieleentwickler erschaffen können.

Technology Review: Wie sieht die Arbeit eines Archäogamers aus?

Archäogamer Andrew Reinhard

Andrew Reinhard: Der Archäogamer ist immer noch ein Wissenschaftler, aber er hat sein steiniges Feld gegen einen Platz vor einem Bildschirm eingetauscht. Obwohl man natürlich auch als moderner Archäologe viel Zeit vor dem Bildschirm verbringt. Ich habe Ausgrabungen in Griechenland, Italien, Kansas, Illinois und New Mexiko gemacht. Aber für meine Feld-Arbeit in Azeroth (Anmerk.d.Red.: virtuelle Welt von "World of Warcraft") und Tamriel (Anmerk.d.Red.: virtuelle Welt von "The Elder Scrolls") sitze ich auf meiner Couch vor einem oder mehreren Monitoren, habe Stift und Papier parat und nehme Aufnahmen und Videos der Landschaft auf. Die erfassten Daten sind und bleiben digital. Das ist wahrscheinlich bequemer und weniger staubig. Aber damit, unter widrigsten Umständen zu arbeiten, habe ich natürlich auch kein Problem.

Was wird denn untersucht?

Archäogaming untersucht die Schnittstelle zwischen Archäologie in (und von) Computerspielen. Das bedeutet: Wir können die Spiele und die Hardware erforschen, mit der sie gespielt werden, und sie selbst als Artefakte wahrnehmen. Das war beispielsweise der Fall bei der Atari-Ausgrabung, an der ich im vergangenen Jahr teilgenommen habe.

Was passierte da?

1983 kursierte das Gerücht, dass der Computerspiele-Hersteller Atari Millionen Exemplare seines Spiels "E.T. the Extra-Terrestrial" auf einer Müllhalde verschüttet haben soll. Das Spiel galt als das schlechteste Videospiel aller Zeiten. Wir beteiligten uns als Archäologen an der Ausgrabung im April 2013, um einerseits das Gerücht zu überprüfen und andererseits festzustellen, was passiert, wenn Videospiele 30 Jahre lang auf einer verlassenen Müllkippe vergraben sind. Wir fanden hunderte von Spielen, aber keines davon war mehr zu nutzbar. Trotzdem waren sie in relativ gutem Zustand, einige sogar noch komplett verpackt und in Folie eingeschweißt.

Reinhard (re.) bei der Ausgrabung der lange verschollenen "E.T"-Spiele von Atari.

(Bild: Andrew Reinhard)

Welche weiteren Untersuchungsfelder gibt es?

Gegenstand der Forschung ist außerdem das Bild, wie Archäologie und Archäologen in Computerspielen durch die Spiele-Entwickler dargestellt werden. Und wie das von den Spielern aufgegriffen wird. Es gibt außerdem das Studium von "erstellten" Kulturen in den virtuellen Welten und wie das damit verbundene Wissen sich entwickelt und von der millionenfachen Community verstanden wird.

Was fasziniert Sie besonders daran, die virtuellen Welten zu erkunden?

Was mich wirklich fesselt, sind die prozeduralen Spiele, in denen ein Code ganze Landschaften und mögliche Kulturen erschaffen kann. Einer der reizvollsten Aspekte ist es, neue Kulturen und die Gebrauchsgegenstände zu untersuchen. Genauso wie die Dinge, die sie hinterlassen. Zugegeben: Darin liegt für viele Leute, mich eingeschlossen, der Reiz in der Archäologie der realen Welt, sei es bei den Kelten oder den Azteken. Ich wollte diese Methoden und Forschungsfragen für erfundene Kulturen in Computerspielen einsetzen. Letztlich ist das eine Vorbereitung auf von Maschinen erstellte Kulturen, in denen noch nicht einmal die Entwickler wissen, wie die Dinge sich entstehen werden.

Gibt eine Computerspiel-Umgebung, die Sie besonders gern untersuchen?

Ich liebe das Elder Scrolls-Universum. Da gibt es viel zu entdecken, viele Bücher innerhalb des Spiels zu lesen und so viele Ruinen, Gräber, Tempel, wie säkulare Architektur und Alltagsgegenstände. Ich erhielt einen Bonus in Skyrim, da dort all das vorhanden war, plus einige fantastische (und ärgerliche) Bugs im ersten Release. Die "moddende" Community auf Steam (Anmerk.d.Red.: Online-Plattform des Spieleentwicklungsunternehmens Valve) für dieses Spiel ist enorm groß und ich genieße es zu sehen, was andere in diese Welt hineinbringen über ihre Kleidung, Waffen, Skins und andere Modifikationen. Ich beobachte es auch interessiert, wenn Objekte die Spielewelt verlassen und in die reale Welt gelangen. Sei es durch die Reproduktion von Münzen oder experimenteller Archäologie mit Kochrezepten im Spiel.

Welche Welt steht für Sie als nächstes an?

Es ist kein Geheimnis, dass ich es kaum abwarten kann, dass No Man's Sky von Hello Games veröffentlicht wird. Dieses Spiel ist das erste, das das Potenzial von Maschinen-gemachten Umgebungen zeigen kann, inklusive Elementen nicht-natürlichen Ursprungs, die in Milliarden von Welten verstreut sind, die alle durch Code generiert wurden. Nach No Man's Sky werde ich womöglich kein anderes Spiel mehr spielen. Aber das ähnelt auch Laufbahnen von Archäologen, die seit Jahrzehnten an derselben Ausgrabungsstätte arbeiten. Meine Stätte ist allerdings irgendwo in einer Cloud. (jle)