Die Blogoschmiere

Sind Blogs die bevorzugte Plattform des "Online-Lynch-Mobs"? Mario Sixtus hat sich in der Blogosphäre umgehört und widerspricht dem US-Wirtschaftsmagazin Forbes.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Mario Sixtus
Inhaltsverzeichnis

Blogs sind die bevorzugte Plattform des "Online-Lynch-Mobs", sie versprühen "Lügen und Beleidigungen" und sie haben nur ein Ziel: Zerstören. So lässt sich die aktuelle Titelstory des amerikanischen Wirtschaftsmagazins Forbes zusammenfassen. Autor Daniel Lyons schildert darin die Welt der Blogs als eine digitale Ausgabe des Wilden Westens, wo vermummte Desperados permanent über hilflose Geschäftsleute herfallen, wo Unternehmen zugrunde gehen - von Banden böswilliger Blogger in den Tod gehetzt. Den Artikel einseitig zu nennen, wäre eine Untertreibung, er ist vor allem eines: phantasievoll.

Schon der erste angebliche Beweis, den Lyons für seine gewagte These anführt, erweist sich als ausgesprochen wackelig. Es geht um die Geschichte des Unternehmers Gregory Halpern, und dessen Fett-Substitut "Z-Trim", einen Stoff, den der Lebensmittelkonzern Nestlé gerade in seine Testlabors bestellt hatte, was den Aktien von Halperts Unternehmen einen enormen Höhenflug bescherte. "Doch dann griffen die Blogger an", schreibt Lyons. Ein Mann, der sich als "Nick Tracy", ausgab, einem Londoner Verbraucherschutz-Journalisten, attackierte beschimpfte und beschuldigte Halpern angeblich pausenlos in einem Weblog, was schließlich zu einer unternehmerischen Katastrophe führte. So zumindest die Deutung des Forbes-Autors.

Merkwürdig allerdings: Eine Suche nach "Gregory Halpern" bei der Blog-Suchmaschine Technorati liefert fast ausschließlich Blogs, die Passagen aus dem Forbes-Artikel zitieren. Von aggressiven Postings eines Mannes, der sich "Nick Tracy" nennt, keine Spur. Ein Phantom-Blog? Möglich, denn auch eine Suche nach "Z-Trim" oder ähnlichen Begriffen, die Forbes erwähnt, liefert keine zufriedenstellenden Ergebnisse. In der plapperfreudigen Blogosphäre eigentlich ein kleines Wunder. Von einem großangelegten "Angriff der Blogger" fehlt somit jede Spur. Sollte es das ominöse Blog jemals gegeben haben, ist es fraglich, ob es im Alleingang ein börsennotiertes Unternehmen in Grund und Boden schreiben konnte. Forbes berichtet denn auch von "anonymen Postings bei Yahoo". Der Verdacht liegt nahe, dass die erwähnten Schmähschriften ihren Ursprung keineswegs in der Blogosphäre hatten, sondern vielmehr in ganz altmodischen Webforen. Eine entsprechende E-Mail-Anfrage an die Forbes-Redaktion blieb bislang unbeantwortet.

In diesem Stil geht es fröhlich weiter: "Auf Microsoft wurde eingehämmert, ebenso wie auf CBS, CNN (...), auf die Hersteller der Kryptonite Fahrradschlösser und ein Kongressabgeordneter aus Virginia wurde als homosexuell geoutet."

Das klingt in der Tat gefährlich, ein genauerer Blick auf diese Liste tut jedoch Not: Microsoft gehört seit je her zu den Lieblingsfeinden etlicher IT-affiner Menschen. Dass Blogs sich bislang negativ auf das Geschäft des Redmonder Riesen ausgewirkt hätten, ist nicht bekannt und würde auch verwundern: schließlich führen rund 2000 Mitarbeiter des Konzerns ein eigenes Weblog - mit dem Segen der Geschäftsleitung.

CBS-Anchorman Dan Rather musste seinen Hut nehmen, weil er sich gefälschte Dokumente unterjubeln ließ und diese im Fernsehen präsentierte. An der Aufdeckung des Skandals waren Blogger tatsächlich maßgeblich beteiligt. Sie dafür an den Pranger zu stellen hieße, den Boten für eine schlechte Nachricht zu bestrafen.

Das gleiche gilt für den Fall Ethan Jordan. Der CNN-Reporter erzählte auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, US-Soldaten im Irak hätten Journalisten erschossen. Dummerweise war ein Blogger anwesend, der dieses Aussage - die Jordan im übrigen nie bestritt - in die Welt hinaus entließ. Den Job kostete ihn die Tatsache, dass er seine Behauptung nicht belegen konnte. Eher also eine Geschichte aus der Rubrik "Ich und meine große Klappe" als aus der Reihe "Blogger setzen Lügen in die Welt".

Auch der Fall des Kongressabgeordneten Ed Schrock und dessen Outing als Homosexueller erscheint in einem anderen Licht, wenn man die Hintergründe betrachtet: Schrock gehört zu Liga der christlich-ultrakonservativen Republikaner. Er hatte stets gegen Schwulenrechte, die Zulassung Homosexueller zum Militärdienst, sowie gegen die Ehe gleichgeschlechtlicher Paare opponiert. Die Tatsache, dass ein Blogger Schrocks Stimme dann auf einer Gay-Dating-Hotline erkannte und die entsprechenden Aufnahmen im MP3-Format ins Netz stellte, hat also durchaus eine politische Dimension und ist meilenweit entfernt vom Vorwurf der willkürlichen Diffamierung.

Schließlich: Die Enthüllung, dass die Edel-Fahradschlösser des Herstellers Kryptonite sich mit Hilfe eines billigen Kugelschreibers knacken lassen, veranlasste das Unternehmen letztlich zu einer Rückrufaktion. Ein schönes Beispiel für Do-it-yourself-Verbraucherschutz, ein schlechter Beleg für die angebliche "Zerstörungswut" der Blogger.