Auf dem Weg zur wirtschaftlichen Singularität?

Für manche bedeutet Künstliche Intelligenz die Lösung aller Knappheitsprobleme – wenn Computer klüger sind als Menschen, werden sie uns unendliches Wachstum bescheren. Ein Ökonom hat jetzt untersucht, wie realistisch solche Hoffnungen sind.

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Von
  • Sascha Mattke
Inhaltsverzeichnis

Für manche bedeutet Künstliche Intelligenz die Lösung aller Knappheitsprobleme – wenn Computer klüger sind als Menschen, werden sie uns unendliches Wachstum bescheren. Ein Ökonom hat jetzt untersucht, wie realistisch solche Hoffnungen sind.

In der Wachstumsökonomik streiten derzeit zwei Richtungen miteinander: Die eine Gruppe ist pessimistisch und fürchtet, dass die Menschheit den größten Teil des möglichen Wirtschaftswachstums schon hinter sich hat, weil alle nützlichen Erfindungen schon gemacht sind. Die andere Gruppe glaubt fest an die Kraft der "Computerei" und geht davon aus, dass IT-basierte Innovationen exponentiell zunehmen und uns in ein Paradies grenzenlosen Wachstums führen werden.

Die zweite Glaubensrichtung wird aktuell eher von Informatikern dominiert als von Ökonomen. William D. Nordhaus, Wirtschaftsprofessor an der Yale University und Autor mehrerer Standardwerke, hat sie sich in einer neuen Studie deshalb unter streng ökonomischen Gesichtspunkten vorgenommen. Sein Ergebnis nach viel Modellierungsarbeit und langen Datenanalysen: Die "wirtschaftliche Singularität" als der Punkt, ab dem explosives Wachstum einsetzt, ist nach heutigem Wissensstand noch mindestens 100 Jahre entfernt.

Die Basis für den Glauben von Teilen der IT-Szene an die Unaufhaltsamkeit von Computer-Innovationen ist die Beobachtung, dass Rechenoperationen unglaublich schnell billiger werden – laut Nordhaus zwischen 1940 und 2012 im Durchschnitt um 53 Prozent pro Jahr. Entsprechend steigt die bezahlbare Leistung, so dass Supercomputer möglicherweise noch in diesem Jahrzehnt von der reinen Rechenkapazität her mit dem menschlichen Hirn gleichziehen werden.

Früher oder später würden uns die Maschinen dann auch inhaltlich abhängen, also intelligenter sein als Menschen – "auf fast jedem Gebiet, einschließlich wissenschaftlicher Kreativität, allgemeiner Weisheit und sozialer Fähigkeiten", wie der schwedische Philosoph Nick Bostrom 2006 schrieb. Technisch wäre an diesem Punkt die Singularität erreicht: Wenn Maschinen alles besser können als Menschen, müssen wir uns nicht mehr die Mühe machen, noch leistungsfähigere zu erfinden – das können sie besser selbst.

Übertragen in die Wirtschaft müssten die neuen superintelligenten Ideen und Erfindungen ohne menschliche Beteiligung bedeuten, dass die Produktivität rapide ansteigt – mit dem gleichen Einsatz an Arbeit und Maschinen würden also immer mehr Güter entstehen. In der klassischen Ökonomie wurde dieser Möglichkeit laut Nordhaus bislang wenig Aufmerksamkeit geschenkt. In seinem Fachaufsatz entwickelt er deshalb ein neues Wachstumsmodell und testet anhand von dessen Voraussagen, wie nah wir der Singularität schon gekommen sind.

Der Grund für Nordhaus' Unterscheidung zwischen technischer und wirtschaftlicher Singularität: "Die Wirtschaft kann nicht allein mit Bits funktionieren, weder auf der Nachfrage- noch auf der Angebotsseite." Denn Verbraucher mögen zwar ihre iPhones lieben, "doch sie können ihren elektronischen Output nicht essen". Auf ähnliche Weise erfordere zumindest die heutige Produktion noch immer knappe Inputs – "Stoffliches" wie Arbeit, Energie und Rohstoffe.

Ob wirklich grenzenloses Wachstum möglich wird, hängt laut Nordhaus deshalb davon ab, wie sehr sich Stoffliches durch rein Elektronisches ersetzen lässt. Entweder müsste sich also die Nachfrage stark in Richtung von virtuellen IT-Angeboten verschieben, so dass knappe stoffliche Inputs in anderen Branchen zunehmend an Bedeutung verlieren. Oder Information müsste in der Produktion die meisten anderen Faktoren immer stärker verdrängen, so dass auch deren Bremswirkung auf das Wachstum zunehmend irrelevant wird.

Der Test für die Nachfrageseite ist schnell erledigt: Höhere Produktivität bedeutet niedrigere Preise, so dass sich insgesamt nur dann ein steigender Anteil von produktivitätsstarken Branchen ergibt, wenn deren Volumenzuwachs den Preisverfall überwiegt. Anhand historischer Daten belegt Nordhaus, dass dies in der Vergangenheit eher nicht der Fall war. Computer hätten zwar an Bedeutung gewonnen, doch ihr Anteil an der Gesamtwirtschaft habe von 2000 bis 2010 nur von 2,0 Prozent auf 2,6 Prozent zugenommen – nicht genug für eine Singularitätsrevolution.

Für Singularität auf der Angebotsseite entwickelt Nordhaus sechs verschiedene empirische Tests. Unter vielen Annahmen, unter anderem, dass es nur die zwei Produktionsfaktoren "Information" und "alles andere" gibt und dass sie sich problemlos gegenseitig ersetzen lassen, lässt sich tatsächlich ein Modell konstruieren, das unendliches Wachstum (übrigens auch der Löhne) ausspuckt. Wie die anschließenden empirischen Tests zeigen, ist es damit allerdings in der Realität noch nicht weit her und wird, wenn es überhaupt eintritt, noch Jahrzehnte auf sich warten lassen.

Anzeichen für eine Entwicklung Richtung Singularität entdeckt Nordhaus nur bei zwei Kriterien: Tatsächlich gebe es einen Trend zu einem steigenden Anteil des Faktors Kapital am Nationaleinkommen. Unter Fortschreibung der aktuellen Wachstumsrate von 0,47 Prozent pro Jahr werde der Anteil des Kapitals um das Jahr 2100 herum 80 Prozent erreichen, was nach dem Modell ein Wirtschaftswachstum oberhalb von 20 Prozent bedeuten würde.

Der zweite Test, der positiv ausfällt, bezieht sich auf den Anteil von Informationskapital am gesamten Kapitalstock. Dieser Anteil nimmt tatsächlich zu, was ebenfalls eine Voraussetzung für extremes Wachstum darstellt. Doch auch diese Entwicklung verläuft nur langsam, so dass Nordhaus auch nach diesem Kriterium ein Abheben in die Singularität erst in mehr als 100 Jahren erwartet.

"Die Singularität ist nicht nah", schreibt Nordhaus zusammenfassend – eine Anspielung auf das Buch "The Singularity Is Near" des Futuristen Ray Kurzweil aus dem Jahr 2005. Allerdings weist er selbst mehrfach auf Schwächen der benutzten Daten und Modelle hin. Wer sich Sorgen über die kommende Singularität mache, könne seine empirischen Tests jetzt jedenfalls benutzen, um regelmäßig zu überprüfen, ob die Entwicklung in die richtige Richtung geht.

(sma)