Gas-Abenteuer am Kivusee

In einem bisher einzigartigen Projekt wollen Ruanda und die Demokratische Republik Kongo Strom aus einem See gewinnen – und gleichzeitig eine Katastrophe abwenden.

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Von
  • Jonathan W. Rosen
Inhaltsverzeichnis

In einem bisher einzigartigen Projekt wollen Ruanda und die Demokratische Republik Kongo Strom aus einem See gewinnen – und gleichzeitig eine Katastrophe abwenden.

Am Kivusee nimmt ein gewagtes Unterfangen Gestalt an: In einer einstmals ruhigen Bucht direkt vor der ruandischen Küste schwimmt eine Plattform aus 3000 Tonnen Beton und Edelstahl. Sie soll eine Ressource anzapfen, die es in diesem Umfang in keinem anderen See der Welt gibt. Rund 60 Milliarden Kubikmeter Methan und 300 Milliarden Kubikmeter Kohlendioxid sind im Kivusee gelöst.

Damit ließe sich Ruandas Stromerzeugung mehr als versechsfachen. Sowohl für Ruanda als auch die benachbarte Demokratische Republik Kongo (DRC) würde das völlig neue Perspektiven eröffnen: Sie könnten neue Betriebe ansiedeln und ihre verheerende Armut lindern. Womöglich ließen sich sogar ihre gestörten politischen Beziehungen verbessern.

Gleichzeitig soll die Entnahme des Methans eine Katastrophe verhindern. Der See hat nämlich eine sehr spezielle Geochemie: Unterwasserquellen absorbieren Kohlendioxid aus den vulkanischen Böden der Region; Bakterien wandeln es zum Teil in Methan um. Dazu kommt weiteres Methan direkt aus dem vulkanischen Boden und aus der Zersetzung organischen Materials. Da die Unterwasserquellen salzhaltig sind, haben sie eine höhere Dichte als das Süßwasser der oberen Wasserschichten. Also können die Gase nicht in die Atmosphäre entweichen, sondern bleiben in der Tiefe des Sees gefangen.

Wissenschaftler warnen jedoch, dass Kivu früher oder später ein tödliches Phä- nomen namens "limnische Eruption" erleben wird. Ein solcher Gasausbruch kann auftreten, wenn der Druck der Gase den des Wassers übersteigt, oder wenn gas- gesättigte Wasserschichten durch ein Erdbeben, einen Vulkanausbruch oder eine andere Störung angehoben werden.

Nur zwei limnische Eruptionen sind bekannt, beide aus kleinen Seen Kameruns in den 1980er-Jahren. Die tragischere der beiden erstickte 1986 am Nyos-See mehr als 1700 Menschen. Eine Kohlendioxid-Wolke war, begleitet von einer 100 Meter hohen Wasserfontäne, ohne Vorwarnung aus dem See ausgebrochen und mehr als 25 Kilometer landeinwärts gewandert. Kivu enthält tausendmal mehr Gas als Nyos.

Träte es komplett aus, würde es den gesamten See mit einer über 100 Meter dicken Gasschicht bedecken. Selbst ein kleinerer Ausbruch könnte komplette Städte mit mehr als zwei Millionen Einwohnern ersticken. Die Sedimentschichten deuten darauf hin, dass der See in den letzten 6000 Jahren mindestens fünf Umschichtungen erlebt hat. Außerdem zeigen neuere Messungen, dass die Methankonzentration zunimmt – mit einer Geschwindigkeit, die bis Ende des Jahrhunderts zu einer Sättigung führen könnte.

Nach Jahrzehnten ohne große Fortschritte sind die Extraktionsbemühungen nun in Fahrt gekommen. Bei meinem Besuch im Februar waren mehr als hundert Arbeiter in orangefarbenen Warnwesten mit letzten Handgriffen an KivuWatt beschäftigt, einem 200 Millionen Dollar teuren Projekt des US-Unternehmens ContourGlobal.

Mittlerweile liefert es 25 Megawatt an elektrischer Leistung, die sich schrittweise auf 100 Megawatt steigern soll. Symbion Power, eine weitere US-Firma, will Ende des Jahres ebenfalls auf der ruandischen Seite mit dem Bau eines 50-Megawatt-Kraftwerks beginnen.

Von KivuWatt erreicht man nach drei Stunden Fahrt über eine kurvenreiche Straße die ruandische Hauptstadt Kigali. In den 21 Jahren seit dem Völkermord in Ruanda, bei dem schätzungsweise 800000 Menschen getötet wurden, hat sich die Stadt von einem rückständigen, leichenübersäten Horrornest zu einer aufgeräumten, modernen Metropole mit einer Million Einwohnern gewandelt. Sie ist auch Motor einer ruandischen Wirtschaft, die in den letzten zehn Jahren mit durchschnittlich acht Prozent jährlich gewachsen ist – eine der höchsten Steigerungsraten der Welt.

Allerdings kommt das Stromnetz kaum mit. Noch immer haben fast 80 Prozent der zwölf Millionen Einwohner keinen Stromanschluss. Und wer einen hat, muss einen der höchsten Strompreise in der Region zahlen – unter anderem, weil fast ein Drittel des Stroms mit Diesel und Schweröl erzeugt wird, die per Lkw aus Kenia und Tansania importiert werden.

Nach Angaben der Weltbank zahlen ruandische Unternehmen im Schnitt 24 US-Cent pro Kilowattstunde. In Kenia sind es 15 Cent, in Uganda 17. Außer KivuWatt gibt es in Ruanda nur einen einzigen weiteren nennenswerten Kraftwerksneubau: eine 15-Megawatt-Anlage, die Torf verbrennen wird.

In der Demokratischen Republik Kongo (ehemals Zaire), einem Land von der Größe Westeuropas mit nur 79 Millionen Einwohnern, ist die Stromkrise sogar noch akuter. Eine bessere Stromversorgung, sagt Umweltaktivist Bantu Lukambo, könnte die Ansiedlung neuer Betriebe fördern und damit die Attraktivität bewaffneter Banden senken, die Jugendliche ohne Jobaussichten bisher magnetisch anziehen. Außerdem würde sie den illegalen Markt für Holzkohle schwächen, der lokalen Milizen Millionen einbringt und eine umfangreiche Abholzung der Wälder bewirkt.