Erst schießen ...

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Ingo T. Storm


Erst schießen ...

"Ich wollte doch nur ..." röchelt der am Boden liegende Audi-Fahrer, auf dessen Brustbein das Knie meines Bodyguards Chuck ruht. Doch Chuck braucht keine Erklärung, denn er weiß: Der Audi wollte sich in MEINE Parklücke reinmogeln.

Zwei Minuten später: Kurz vor der PC-Abteilung des Geizmarkts täuscht eine Rentnerin listig einen Schwächeanfall vor und setzt sich genau vor mir auf ihren Rollator. Die will ganz eindeutig verhindern, dass ich zum Aktionsstand da vorne durchkomme. Der Jungspund mit dem Rucksack ist bestimmt ihr Enkel und packt gleich alles ein, was noch da ist. Doch sie hat vergessen, die Bremse anzuziehen - Chuck schiebt die Problemseniorin kommentarlos beiseite.

Als ich endlich vor dem Regal stehe, verfinstert sich meine Miene: Nur ein einziges Netbook ist noch da, ein weißes. Von rechts nähert sich ein Mann, der zuerst das Notebook fixiert, dann mich. Chuck erkennt die Gefahr und streckt ihn mit einem Roundhouse Kick nieder. Später sollte sich herausstellen, dass es der Verkäufer war, der mir erklären wollte, dass im Lager noch schwarze und graue Modelle vorrätig sind.

Nun gut, ganz wahr ist die Geschichte nicht. Mein Bodyguard heißt eigentlich gar nicht Chuck.

Er ist eigentlich auch kein Bodyguard, sondern ein Antivirenprogramm, das nicht mich, sondern meinen PC gegen Bösewichter schützt. Aber weil es manchmal ohne Vorwarnung zuschlägt, obwohl gar keine Gefahr droht, nenne ich es Chuck. Chuck hat mich zum Beispiel im März 2007 einen halben Tag gekostet, als es die Systemdatei winlogon.exe für gefährlich hielt.

Ich dachte, so ein kapitaler, den Rechner lahmlegender Lapsus sei ein Einzelfall, doch fast jeder Antivirenhersteller hat so eine Leiche im Keller. Dazu kommen viele vergleichsweise harmlose Fehlalarme. Die Fehlalarme werden immer mehr und sie treten in Wellen auf, was nahelegt, dass die Signaturbauer voneinander abschreiben, ohne zu testen. Die Tatsache, dass die zugehörigen Viruslisten immer häufiger keine Information zum angeblich gefundenen Schädling anbieten, unterstützt den Verdacht. Die Devise scheint zu lauten: Wer viel warnt, wird wahrgenommen. Und dann fühlt sich der Anwender wohl behütet und verlängert das Signaturabo.

Aus kaufmännischer Sicht ist das plausibel, aber aus sicherheitstechnischer Sicht fatal. Die Personal Firewalls haben es vorgemacht: Da wurde viel zu viel gewarnt, doch es fehlte meistens eine vom Laien nachvollziehbare Erklärung, worin denn die Gefahr bestand. Also stumpften die Anwender ab, und irgendwann deaktivierten sie das Programm, das immer meckerte, aber nichts erklärte.

Liebe Nortons, BitDefenders und wie Ihr alle heißt: Ihr seid auf dem Weg aufs selbe Riff. Bitte schreibt nicht voneinander ab und warnt nur, wenn Ihr selbst erklären könnt, warum. Denn sonst werde ich Chuck über kurz oder lang feuern. (rm)