Bundesregierung wirft Gegnern der Vorratsdatenspeicherung "systematische" Fehler vor

Seit Neujahr müssen auch Internetprovider die elektronischen Spuren ihrer Kunden sechs Monaten lang protokollieren. Den laufenden Verfassungsbeschwerden gegen die Maßnahme sieht Berlin offiziell gelassen entgegen.

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Die Bundesregierung blickt dem Verfahren um die Verfassungsbeschwerden gegen die Vorratsdatenspeicherung offiziell gelassen entgegen. Wie aus ihrem knapp 120 Seiten langen Verteidigungsschriftsatz (PDF-Datei) hervorgeht, den der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung gerade veröffentlicht hat, sieht sie eine Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts überhaupt nicht gegeben. Die angegriffenen Normen im Telekommunikationsgesetz entsprächen den "verpflichtenden Vorgaben" der entsprechenden EU-Richtlinie, heißt es zur Begründung. Damit entzögen sie sich "einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht am Maßstab der Vorschriften des Grundgesetzes".

Einschreiten könnten die Karlsruher Richter nur, solange auf EU-Ebene keine dem Grundgesetz vergleichbare "Rechtsschutzgarantien" zur Verfügung stünden. Dies sei "nach dem erreichten Stand der Integration hinsichtlich von Hoheitsakten" der EU im Bereich der Menschenrechte nicht der Fall. Es handle sich zudem auch nicht um einen "ausbrechenden Rechtsakt", der gänzlich jenseits der EU-Kompetenzen ergangen wäre. "Nicht im Ansatz erkennbar" sei ferner ein Verstoß gegen die Menschenwürdegarantie in Artikel 1 Grundgesetz.

Bei dem einzigen Regelungsgehalt, der laut der Stellungnahme über die Brüsseler Direktive hinausgeht, handelt es sich dem Papier nach "um einen Gegenstand, der nicht mit Hilfe der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden kann". Der Bundestag hatte zuvor gemäß dem Vorschlag der Bundesregierung in Eigenregie unter anderem die Zugriffsmöglichkeiten auf die vorzuhaltenden Datenberge auch auf "mittels Telekommunikation begangener Straftaten" erweitert. Dies haben die Karlsruher Richter in Entscheidungen über Eilanträge der Kläger bereits vorläufig rückgängig gemacht.

Nach Interpretation der Bundesregierung hat die EU zudem "ausdrücklich" keine umfassenden "materiellen Grenzen der Verwendung der gespeicherten Daten" vorgesehen. Die Erlaubnis zur Nutzung der Informationen allein bei "schweren Straftaten" bezeichne keinen Rechtsbegriff, "der sich mit identischer Bedeutung im deutschen Strafrecht wieder finden lassen würde". Eine "juristische Definition" habe Brüssel nicht vorgebracht, stellt sich Berlin quasi einen Freibrief zur Datenverwendung aus. Es gebe keine EU-rechtlichen Hindernisse, die Vorratsdaten etwa auch "in den Dienst der qualifizierten polizeilichen und der nachrichtendienstlichen Aufgabenerfüllung" zur "Verhütung" von Straftaten zu stellen. Zudem könnten die Beschwerdeführer nicht geltend machen, dass sie durch diesen mit angegriffenen Akt "in ihren eigenen Rechten selbst, gegenwärtig und unmittelbar verletzt worden seien".

Weiter betont der Bevollmächtigte Berlins trotz der erfolgten Ausweitung wieder, dass hierzulande nur die Mindestanforderungen der Richtlinie umgesetzt worden seien. Zudem sei klargestellt worden, dass letztlich allein der Netzzugangsanbieter in die "Pflicht zur Sicherstellung der Speicherung genommen" werde. Eine Doppelarchivierung der Verbindungs- und Standortdaten auch beim Netzbetreiber sei nicht vorgeschrieben.

Umgesetzt haben die EU-Vorgaben laut Bundesregierung inzwischen alle Mitgliedsstaaten mit Ausnahme von Griechenland, Holland, Österreich, Polen, Rumänen, Schweden und Irland, das gegen die Brüsseler Rechtsgrundlage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) geklagt hat. Dabei geht es nicht um den Grundrechtsschutz, sondern um Formalitäten. Einen Auftrag zur Prüfung von Datenschutzfragen müsste das Bundesverfassungsgericht erst dem EuGH vorlegen. Der "guten Ordnung halber" betont die Bundesregierung noch, dass die EU-Kommission die in Brüssel letztlich gewählte Kompetenznorm "von Beginn an" verfolgt habe. Der Weg über die Richtlinie sei nicht erst als Alternative beschritten worden, nachdem sich die Mitgliedsstaaten jahrelang nicht auf einen Rahmenbeschluss in ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich einigen konnten.

Gesonderte Beschwerdebefugnisse sieht der Bevollmächtigte für Karlsruhe auch nicht für "Berufsgeheimnisträger", die sich in ihrem Zeugnisverweigerungsrecht verletzt sehen. Rechtsanwälte, Journalisten oder Ärzte seien durch die Vorratsdatenspeicherung nur "reflexmäßig", also unter anderen betroffen. Das Mittel der elektronischen Kommunikation sei im Prinzip "für so gut wie alle Berufe von Bedeutung". Ein Verstoß gegen die Meinungsfreiheit könne ebenfalls "von vornherein ausgeschlossen werden". Die Vorratsdatenspeicherung knüpfe zwar "in der Tat an Kommunikationsvorgänge an", die auch der Verbreitung der von Artikel 5 Grundgesetz geschützten Meinungen dienen könnten. Dies allein begründe aber keinen Eingriff in den Gewährleistungsgehalt dieses Grundrechts. "Andernfalls wäre jeglicher Eingriff in eine Kommunikationsinfrastruktur auch ein solcher in die Meinungsfreiheit".

Bei einem Telekommunikationsanbieter, der sich aufgrund der neuen Verpflichtungen ans Verfassungsgericht wandte, sieht die Bundesregierung den Rechtsweg nicht ausgeschöpft. Dieser hätte zunächst Rechtsschutz vor Fachgerichten suchen können, vor allem, wenn es um die Frage einer angemessenen Entschädigung für die Kosten für die Dateneinlagerung gehe.

Entsprechende Forderungen aus der Wirtschaft lässt die Bundesregierung nicht gelten. Dabei betrachtet sie offensichtlich allein die Situation größerer Telefonnetzbetreiber und lässt Internetprovider außen vor. So schreibt der Bevollmächtigte, dass den betroffenen Unternehmen in der Regel die erforderliche Infrastruktur zur Datensammlung schon zur Verfügung stehe. Die "Investitionen" für erweiterte Speicherkapazitäten würden sich bei größeren Unternehmen auch "betriebsintern nutzen" lassen "und erzeugen daher auch einen zusätzlichen merkantilen Mehrwert". An der Verfassungsbeschwerde beteiligte TK-Anbieter operieren dem Papier nach "mit völlig unrealistischen Kostenannahmen". Eine Entschädigungspflicht bestehe insgesamt nicht. Die entgegengesetzte Rechtsmeinung des Verwaltungsgerichts Berlins sei mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu vereinen.

Insgesamt seien die Verfassungsbeschwerden so unzulässig. Die Vorratsdatenspeicherung stelle einen "gerechtfertigten" und "mittelschweren" Eingriff in verschiedene Grundrechte der Beschwerdeführer dar. So werde etwa das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht durch einen "Einschüchterungseffekt" der Regelung verletzt". Es handle sich um eine "staatlich gebotene Datenaufbewahrungspflicht". Die Zugriffsbefugnisse auf die sechs Monate lang verdachtsunabhängig aufzubewahrenden Informationen seien gleichfalls verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Auch der gebotene "Standard an Datensicherheit" werde eingehalten.

"Systematisch verkennen" die Beschwerdeführer laut der Eingabe den Unterschied zwischen bisherigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und dem Prinzip der Vorratsdatenspeicherung. Erstere hätten stets "auch Befugnisse zur staatlichen Kenntnisnahme und Verarbeitung der aufbewahrten Daten" betroffen. Die eigentliche Verpflichtung zur Erfassung der "Verkehrsdaten" gestatte dem Staat als solchem dagegen "keinen Zugriff" auf die bei Privaten angehäuften Halden an personenbeziehbaren Bits und Bytes. Ohne weitere Befugnisnormen seien Sicherheitsbehörden nicht berechtigt, die Daten einzusehen, zu verwenden oder zu verwerten. Es sei daher kategorisch falsch, die Speicherung und die separaten Eingriffsermächtigungen "durch den untechnischen Begriff der 'Überwachung'" zu vermischen. Dieser suggeriere, es finde eine Überprüfung aller vorgehaltenen Informationen statt.

Letztlich würden die Daten nur ein halbes Jahr lang dem "Löschungsanspruch" der Betroffenen entzogen, rechtfertigt die Bundesregierung die von Datenschützern strikt abgelehnte Maßnahme weiter. Gegenüber einem Abhören der Telekommunikation handle es sich um einen gleich "dreifach abgeschwächten Eingriff": Es seien keine Kommunikationsinhalte betroffen, die Speicherung erfolge nicht heimlich und die Daten würden auch nur durch Hinzutreten einer weiteren "qualifizierten Befugnisnorm in den Kenntnisbereich des Staates" treten. Ferner sei der einschlägige Paragraph 113a TKG hinreichend bestimmt, normenklar und verhältnismäßig zur Verhinderung und Bekämpfung von Terrorismus und schwerer Kriminalität im Lichte moderner Kommunikationstechniken.

Es sei erforderlich, etwa durch die Nutzung von Flatrates bestehenden Möglichkeiten zur Spurenvernichtung entgegenzuwirken. Aus Verkehrsdaten könnten "vielseitige Erkenntnisse gewonnen werden", insbesondere Anhaltspunkte zum Zeitpunkt der Tat, etwaige Aufenthalte der Verdächtigen in Tatortnähe oder Verbindungen der möglichen Täter untereinander. Die Verfolgung über das Internet verübter Delikte wie die Verbreitung kinderpornographischer Darstellungen, könne praktisch nur mit Erhebung von Verkehrsdaten erfolgen. Die Sachverhalte würden dabei häufig nicht zeitnah, sondern erst nach Durchsuchungen und der Beschlagnahme von Computer bekannt. (anw)