Streit um Mischwesen

Trotz Förderstopp wollen einige US-Forscher menschliche Organe in Schweinen oder Schafen heranzüchten. Ihr Ziel: Engpässe bei Transplantationen beheben.

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Von
  • Antonio Regalado

Mehr als ein Dutzend Mischwesen aus Mensch und Schwein hat Juan Carlos Izpisua Belmonte vom kalifornischen Salk Institute bereits erzeugt. Eine wissenschaftliche Veröffentlichung darüber suchen Interessierte allerdings vergebens. Kein Wunder: Das Thema ist ethisch hoch umstritten. Die Befürworter solcher "Chimären" hoffen, in Tieren irgendwann elegant Ersatzorgane aus menschlichem Gewebe heranzüchten zu können. Kritiker sorgen sich, damit werde die Grenze zwischen den Spezies verwischt.

In einer völligen Abkehr von ihrer bisherigen Politik hat sich nun auch die oberste US-Gesundheitsbehörde National Institutes of Health (NIH) auf die Seite der Kritiker geschlagen. Im vergangenen September beschloss sie, vorerst keine solchen Studien zu fördern. Die NIH sorgen sich um den "kognitiven Status" der Chimären, sollten sie menschliche Hirnzellen entwickeln. Sie wollen nun erst die sozialen und ethischen Fragen genauer untersuchen.

Um sich einen Überblick über das Forschungsfeld zu verschaffen, luden die NIH die einschlägigen Wissenschaftler im November zu einer Präsentation nach Maryland ein. Dort zeigte nicht nur Belmonte seine bisher unveröffentlichten Daten. Ein Forscher von der University of Minnesota präsentierte Fotos eines 62 Tage alten Schweinefötus, bei dem menschliche Zellen offenbar einen erblichen Augenschaden geheilt haben.

Leiter des Chimären-Projekts in Minnesota ist der Kardiologe Daniel Garry. Er hat nach eigenen Angaben 1,4 Millionen Dollar von der US Army bekommen, um menschliche Herzen in Schweinen wachsen zu lassen. Er will gegen den Widerstand der NIH weitermachen. Im November unterzeichnete er gemeinsam mit zehn Kollegen einen offenen Brief, der den NIH vorwarf, eine "Bedrohung für den Fortschritt" zu sein.

Die Gegner befürchten, dass die Tiere irgendwann zu menschlich werden. "Wir sind zwar noch nicht bei der Insel des Dr. Moreau angelangt, aber die Wissenschaft kommt rasch voran", sagt der NIH-Ethiker David Resnik. "Der Gedanke an eine intelligente Maus, die irgendwo in einem Labor steckt und schreit ,Lasst mich hier raus!', macht einigen Leuten Sorge."

Möglich werden die Experimente durch die jüngsten Durchbrüche beim Editieren von Genen. Damit erschaffen die Wissenschaftler Embryos, die bestimmte Gewebearten nicht erzeugen können. In diese Bresche springen dann menschliche Stammzellen. Sie werden in wenige Tage alte Tier-Embryos eingeführt und dann einem Muttertier eingepflanzt. Bei dieser "Embryo-Komplementierung" können menschliche Zellen sich vervielfältigen, spezialisieren und sich potenziell zu beliebigen Organen entwickeln. Andere Arten menschlicher Chimären werden in der Forschung zwar schon lange benutzt, etwa Mäuse mit menschlichem Immunsystem. Bei ihnen aber werden die menschlichen Zellen erst nach der Geburt eingefügt.

Pablo Ross, Tiermediziner und Entwicklungsbiologe an der University of California, hat nach eigenen Angaben bisher sechs humane Schweine-Embryos gemeinsam mit dem Salk Institute eingepflanzt, acht bis zehn Mensch-Schaf-Embryos gemeinsam mit Hiromitsu Nakauchi, Stammzellenforscher in Stanford, sowie drei Dutzend weitere Chimären außerhalb der USA.

Den US-Versuchen mussten jeweils drei verschiedene Ethikkomitees zustimmen. Zudem tragen die Muttertiere die Embryos zur Sicherheit nicht komplett aus, sondern Forscher entnehmen sie schon nach 28 Tagen. Bis dahin sind Schweine-Embryos keine zwei Zentimeter groß – zu wenig für Ersatz-organe, aber ausreichend, um eine entscheidende Frage zu klären: Wie entwickeln sich die menschlichen Zellen? Ross schätzt ihren Anteil am gesamten Gewebe auf "vielleicht drei bis fünf Prozent". Die Wahrscheinlichkeit, dass Tiere damit menschliches Bewusstsein erlangen, ist gering. "Aber was, wenn sie hundert Prozent zum Hirn beisteuern?", sagt Ross. "Das ist nichts, was wir erwarten – aber ausschließen können wir es auch nicht."

Sein Kollege Nakauchi will sich dennoch nicht von Behörden ausbremsen lassen. 2010, als er noch in Japan arbeitete, erzeugte er Mäuse mit den Bauchspeicheldrüsen von Ratten. Die dortige Aufsichtsbehörde gab seinen Versuchen allerdings nur zögernd grünes Licht. So siedelte Nakauchi 2013 in die USA über, wo kein Bundesgesetz die Arbeit an Chimären untersagt. Das California Institute for Regenerative Medicine förderte ihn mit sechs Millionen Dollar. Es wurde vor einem Jahrzehnt eigens gegründet, um politischen Einfluss aus Washington zu minimieren.

In diesem Jahr begann Nakauchi mit Arbeiten an Chimären. "Wenn es so klappt wie bei Nagetieren", hofft er, "sollten wir bald auch Schweine mit einem menschlichen Organ bekommen." Bei den eingesetzten menschlichen Zellen handelt es sich um "induzierte pluripotente Stammzellen" (iPS), die aus umprogrammierten Haut- oder Blutzellen gewonnen werden. Weil es am bequemsten ist, nimmt Nakauchi meist Zellen aus dem eigenen Blut. Alles andere würde zu viel Papierkrieg bedeuten.

Wenn seine iPS innerhalb eines Tieres heranwachsen, bilden sie irgendwann ein perfektes Ersatzorgan. Todkranke Menschen, die keine Spendenorgane finden, müssten eines Tages nur eine Chimäre bestellen, weniger als ein Jahr warten und bekämen dann ein neues Herz oder eine neue Leber aus eigenem Gewebe. "Ich sehe darin wirklich kein großes Risiko für die Gesellschaft", sagt Nakauchi.

Doch bis es so weit ist, müssen die Forscher noch nachweisen, dass Humanzellen im Körper von Farmtieren tatsächlich entsprechend gedeihen. Das ist nicht ganz trivial, denn anders als bei den genetisch recht ähnlichen Ratten und Mäusen lebte der letzte gemeinsame Vorfahre von Mensch und Schwein vor fast 90 Millionen Jahren. (bsc)