RIPE 72: Streit um letzte IPv4-Adressen

Die Auseinandersetzungen darüber, wer noch wieviele IPv4-Adressen bekommen darf, nehmen an Schärfe zu. Leidtragende könnten seriöse Firmen sein, die gegründet werden, nachdem der letzte IPv4-Adressblock vergeben ist.

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RIPE 72

Missverhältnis: Während IPv6-Adressen so reichlich vorhanden sind, dass selbst jede Amöbe eine erhalten könnte und immer noch IPv6-Adressen frei wären, mangelt es immer mehr an IPv4-Adressen. Viele aktuelle RIPE-Mitglieder denken bei der Verwaltung der Restbestände aber offenbar zuerst an sich.

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Monika Ermert
  • Dusan Zivadinovic
Inhaltsverzeichnis

Lange Zeit hatte die europäische Vergabestelle für IP-Adressen einen fast familiären Charakter. Jetzt werden immer mehr Unternehmen und auch Spekulanten zahlende RIPE-Mitglieder. Der Grund ist aber so einfach wie ernüchternd: RIPE-Mitglieder haben zurzeit Anspruch auf einen /22er IPv4-Adressblock – das sind 1024 Adressen. Und nachdem sich das IPv6-Protokoll nicht schnell genug verbreitet, decken sich sowohl Firmen mit legitimen Interessen als auch Wiederverkäufer auf diese Weise mit IPv4-Adressen ein.

So hat die Jagd nach Adress-Restbeständen dem RIPE seit 2012 einen geradezu sagenhaften Mitgliederzuwachs beschert: 2000 Neumitglieder allein seit Mai 2015 meldete RIPE-Geschäftsführer Axel Pawlik auf der 72. RIPE-Tagung, die in der vergangenen Woche in Kopenhagen stattfand. Aktuell verzeichnet das RIPE über 13.000 zahlende Mitglieder und eines der wichtigsten Anliegen der RIPE-Tagung war die Verwaltung der noch freien IPv4-Adressen.

Zur Diskussion standen unter anderem die IPv4-Adressvergaberegeln des RIPE. Eine Teilnehmergruppe kritisierte die Regeln als zu streng für kleinere und neue Unternehmen. Die Einmalzuteilung eines /22-Blocks sei nicht ausreichend, klagen beispielsweise Radu-Adrian Feurdean vom französischen MVNO Coriolis und Ricardo Gori von der Net-IT. Während sich ältere und große Unternehmen in goldenen Zeiten mit vielen Adressen versorgt hätten, müssten Kleine und Newcomer einen Wettbewerbsnachteil hinnehmen, denn je kleiner die Zuteilungen, desto schwerer fällt eine sinnvolle Strukturierung der Firmennetze. Auch sind IPv6-basierte Dienste nicht von Teilnehmern zu erreichen, die nur per IPv4 im Internet angebunden sind.

Daher plädierten sie mit Nachdruck für die Zuteilung von mehreren /22er Blöcken pro Teilnehmer. Das sei auch deshalb zu vertreten, weil die Adressen beim RIPE ja nicht wirklich knapper geworden seien. Und tatsächlich ist der letzte /8-Block des RIPE (Nummer 185/8) seit dem Jahr 2012 nur auf etwa die Hälfte geschrumpft.

Doch dieser Füllstand ist nur den gegenläufigen Aktionen des RIPE sowie der IANA zu verdanken (Internet Assigned Numbers Authority), die beide freie IPv4-Adressen wieder eingesammelt und unter anderem dem RIPE-Pool zugeführt haben. Als Kompromis hatten die Verfechter der Lockerung der Vergaberegeln vorgeschlagen, weitere /22-Zuteilungen nur aus künftig eingesammelten Adressreserven zu bestreiten und nicht aus dem offiziell letzten Block des RIPE, 185/8, zu entnehmen.

Alles Jammern und alle Zugeständnisse halfen aber nicht. Gegner von Mehrfachzuteilungen verweisen vor allem auf die Bedürfnisse künftiger Newcomer. Die Reaktionen beim RIPE-Treffen reichten daher von "macht IPv6" bis "selbst schuld". RIPE-Vorstandsmitglied Remco van Mook reagierte gar mit einem harten Gegenentwurf zur Lockerung der Regeln. Er fordert, dass die Einmalzuteilung für den Rest der RIPE-IPv4-Adressreserven ein für alle Mal festgeschrieben wird und dass bei Unternehmensübernahmen etwaige miterworbene /22er-Teilnetze dem RIPE zurückgegeben werden.

Van Mooks konservativer Vorschlag hat aber trotz spürbarer Sympathiebekundungen praktisch keine Aussichten auf Erfolg. Gelegentliche Firmenkäufe gehörten, so der Vorsitzende des RIPE, Hans Petter Holen, auch bei seiner eigenen Softwarefirma durchaus zum Geschäft. Eine Rückgabe von Adressblöcken würde unter Umständen eine komplette Neustrukturierung der miterworbenen Netze nach sich ziehen – ein unzumutbarer Aufwand. Holen appellierte allerdings zugleich an die Teilnehmer des Treffens, solche Mehrfachmitgliedschaften zu verbieten, die neu und ganz offensichtlich nur der Adressen wegen beantragt werden.

Im November 2015 hatte der Vorstand noch kurzerhand die Notbremse gegen die zunehmenden Mehrfachmitgliedschaften gezogen und diese vorläufig verboten. Genutzt habe das allerdings nichts, sagte Pawlik nun. "Die Leute haben einfach angefangen, neue Firmen zu gründen, möglichst 50 auf einmal."

Doch trotz vieler Beschwörungen, dass man einen kleinen Vorrat auch für künftige Newcomer bewahren müsse, um möglichst allen Firmen und Institutionen den Parallelbetrieb (Dual Stack) des alten und neuen Internet-Protokolls auf Jahre hinaus zu gewährleisten – am Ende stimmten die anwesenden RIPE-Mitglieder doch für Mehrfachmitgliedschaften und damit letztlich für versteckte Mehrfachzuteilungen.

"Das ist nicht im Sinne der größeren Community", kritisierte Holen vergeblich. "Künftige Newcomer werden den Adressraum auf dem freien Markt kaufen müssen", meint Pawlik, "genauso wie den Router". Aktuell ist auf dem freien Markt eine IPv4-Adresse ab 10 US-Dollar erhältlich. (dz)