Tipp "Rephotographie": Mit zwei Bildern eine Geschichte erzählen

Wie die Zeit vergeht: Ein Motiv, zwei Fotos - aufgenommen manchmal im Abstand von Jahrzehnten. Das Portal re.photos stellt diese beiden Bilder aber nicht nur gegenüber, sondern verrechnet sie zu einem einzigen Bild, bei dem man den Ausschnitt verändern kann. Jeder kann mitmachen.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Dr. Thomas Hafen

Auf dem Portal re.photos, das Prof. Dr. Oliver Vornberger und seine Informatik-Studenten von der Uni Osnabrück entwickelt haben, lassen sich historische Aufnahmen und aktuelle Bilder derselben Szene nahtlos ineinander überblenden. Jeder kann bei der sogenannten Rephotographie (oder: Refotografie) mitmachen und so selbst eine kurze Geschichte der Zeit in zwei Bildern erzählen. c't Fotografie hat mit Prof. Vornberger über das Projekt gesprochen:

Herr Professor Vornberger, was ist eigentlich "Rephotographie"?

Prof. Dr. Oliver Vornberger: Rephotographie stellt mit minimalen Mitteln einen historischen Zusammenhang her. Sie erzählt in nur zwei Bildern eine Geschichte, die kürzeste, die es gibt sozusagen. Die zugrundeliegende Idee ist es, ein historisches Foto so genau wie möglich nachzufotografieren und dann beide Bilder übereinander zu legen. Mit einem Slider, der sich auf den Fotografien hin und her schieben lässt, blendet man von einer Aufnahme in die andere über und bewegt sich so zwischen Vergangenheit und Gegenwart.

Wie kamen Sie auf die Idee, Bilder verschiedener Epochen in dieser Form zu verschmelzen?

re.photos zeigt auch via Google Maps die geografische Position an, an der die Aufnahmen gemacht wurden.

(Bild: http://www.re.photos)

Vornberger: Ich habe mich schon seit meiner Jugend für Fotografie, Film und Hörspiel interessiert und suche auch heute als Informatikprofessor immer wieder nach Themen, die mit der Verarbeitung und Analyse von Medien zu tun haben. Da kam mir vor zirka zwei Jahren der Einfall mit der Rephotographie.

Die Idee, historische Bilder und Gegenwartsaufnahmen gegenüber zu stellen, ist nicht neu. Was ist das Besondere an der Rephotographie?

Vornberger: Da haben Sie sicher Recht. Man findet so etwas in Stadtchroniken oder ähnlichen Werken. Die historischen Fotos kommen dann meist aus Archiven, die aktuellen Vergleichsbilder stammen von einem oder wenigen Fotografen. Das ist aber nichts, an dem sich die Öffentlichkeit beteiligen kann. Im Unterschied zu solchen Projekten will unsere Rephotographie das große Publikum ansprechen. Bei uns kann jeder mitmachen. Jeder, der vielleicht auf dem Dachboden alte Fotos gefunden hat, ist herzlich dazu aufgerufen, das Bild nachzufotografieren und auf dem Portal http://re.photos zu publizieren. Denkbar ist auch, ein allgemeinfreies historisches Bild etwa aus Wikimedia Commons zu nehmen und dieses nachzubilden.

Es dürfte schwer fallen, zwei Fotos mit völlig identischem Aufnahmewinkel und gleicher Perspektive zu erzielen. wie bekommt man die beiden Bilder dennoch möglichst exakt zur Deckung?

Vornberger: Dazu ist momentan noch ziemlich viel Handarbeit erforderlich. Zunächst einmal müssen Sie ein Foto der Szene machen, welches in seiner Perspektive dem Vorbild so nahe wie möglich kommt. Das heißt, Sie müssen – am besten mit der Vorlage in der Hand – den richtigen Aufnahmestandort und die richtige Brennweite finden. Im Portal müssen Sie dann in beiden Bildern vier Punkte markieren, die jeweils identisch sind, also etwa eine Häuserecke, einen Schornstein oder ähnliches. Dann berechnet das Programm daraus eine möglichst genaue Angleichung dieser Punkte. Wie gut der Rest des Bildes dann übereinstimmt, hängt natürlich von verschiedenen Faktoren ab, etwa wie verzerrt oder unterschiedlich gekippt die Bilder sind.

Links der Bildausschnitt aus vergangenen Zeiten, rechts ein aktuelles Bild. Der Bildtrenner in der Mitte ist variabel und lässt sich nach links und rechts verschieben.

(Bild: http://www.re.photos)

Was steckt technisch hinter der Überblendung der beiden Bilder?

Vornberger: Grundlage für die Transformationen der Bilddateien ist die Epipolargeometrie. Sie beruht auf der Tatsache, dass Sie aus zwei zweidimensionalen Aufnahmen desselben Gegenstands eine dreidimensionale Rekonstruktion ableiten können, sofern Sie die korrespondierenden Punkte kennen. Aus dieser Information lässt sich dann berechnen, wie das Ausgangsbild zu transformieren ist, damit es dem Zielbild zumindest in dem gekennzeichneten Bereich am nächsten kommt. Dazu ruft das Portal eine Funktion aus der Bibliothek OpenCV (Open Computer Vision Library) auf, die sich findHomography nennt. Diese versucht durch Rotieren, Translatieren oder Skalieren die Punkte zur Deckung zu bringen, also durch einfache Veränderungen eines zweidimensionalen Bildes, die man erreicht, indem man eine 4x4-Matrix auf jeden Punkt anwendet und ihn sozusagen so lange im Bild verschiebt, bis er mit dem entsprechenden Punkt im anderen Bild zur Deckung kommt. Die Prozedur aus der Library benötigt vier korrespondiere Bildpositionen, um die Matrix auszurechnen. Diese Punktpaare müssen Sie derzeit noch von Hand festlegen.

Hört sich an, als ob das so ähnlich funktioniert, wie das Panorama-Stitching.

Vornberger: Ja genau, auch da versuchen Sie ja in den überlappenden Bereichen, die nicht völlig deckungsgleich sind, korrespondierende Punkte zu finden.

Was war die größte Herausforderung in dem Projekt?

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Vornberger: Die größte Herausforderung war und ist, die richtigen Leute zu finden. Ich bin da ja auf die Mitarbeit meiner Studenten angewiesen, die etwa im Rahmen einer Bachelor- oder Doktorarbeit an der Rephotographie und re.photos arbeiten. Das Problem der pixelgenauen Anpassung beispielsweise bearbeitet Ann-Katrin Becker im Rahmen ihrer Doktorarbeit und das Portal hat Sören Weber für seine Bachelor-Arbeit entwickelt. Beide sind aber nicht mehr am Institut und so bin ich auf der Suche nach neuen, fähigen Leuten, die das Projekt weiter vorantreiben.

Was sind die nächsten Schritte?

Vornberger: Unser Ziel ist es, die Aufnahme des "Nachher"-Bildes wesentlich zu erleichtern und den Abgleich mit dem "Vorher"-Bild zu automatisieren. Dazu müsste das Programm die korrespondierenden Punkte erkennen und in das Live-Bild des Smartphones oder der Kamera als Kanten-Overlay einblenden können. Dann muss der Fotograf nur so lange seinen Standpunkt und gegebenenfalls die Brennweite verändern, bis das Gitterbild eine maximale Deckung zum Live-Bild auf dem Kameramonitor aufweist. Damit hätte man zwei Bilder, die schon sehr gut zueinander passen und unsere Hoffnung ist, dass das Programm den Rest dann vollautomatisch erledigen kann.

Jeder kann Szenen hochladen und setzt dann in beiden Bildern Marker auf identische Positionen.

(Bild: http://www.re.photos)

Man könnte ja auch das Vorher-Bild transparent über das Live-Bild legen …

Vornberger: Das halte ich nicht für sinnvoll. Das ist dann so ein Durcheinander, dass man die wesentlichen Strukturen nicht erkennen könnte.

Sie hatten erwähnt, dass das Projekt jedem offen steht, der mitmachen will. Noch ist allerdings der Kreis der registrieren Nutzer von re.photos klein. Haben Sie eine Erklärung, woran das liegt?

Vornberger: Nein, und ich bin ehrlich gesagt auch etwas verwundert über die bisherige Resonanz. Ich halte das Projekt für das publikumswirksamste, das ich in meiner wissenschaftlichen Karriere angestoßen habe. Fotografen lieben doch die Herausforderung. Wenn man ihnen ein Motto gibt oder eine Vorgabe macht, ist ihr Ehrgeiz geweckt, das sieht man nicht zuletzt an den vielen tollen Aufnahmen auf Flickr und anderen Plattformen. Ich finde unser Projekt hat großes Potenzial für genau diese Tüftler. Ein Teilnehmer, Nicolai Wolpert (Nutzername nwolpert), hat es ja schon zu einer unglaublichen Perfektion gebracht. Seine Bilder aus Paris sind nahezu pixelgenau deckungsgleich zu den historischen Aufnahmen. Auch die Norwegenbilder von Oskar Puschmann sind tolle Beispiele. Es den beiden gleich zu tun, das sollte doch eine Herausforderung für andere Fotografen darstellen.

Gibt es auch einen praktischen Aspekt? Könnte man sich Anwendungsfälle denken?

Vornberger: Auf jeden Fall; Archive, Museen oder Bibliotheken, die einen großen Fundus an historischen Aufnahmen haben, könnten diese beispielsweise über unser Portal aktuellen Bildern gegenüberstellen. Das Ergebnis ließe sich per HTML und Javascript-Snippet in den Webauftritt der Stadt oder des Museums einbinden. Auch Tageszeitungen haben oft viele Bilder aus der Nachkriegszeit, die ihnen die Leser zugeschickt haben. Sie könnten diese Bilder auf re.photos publizieren und eine Aktion für die Leser daraus machen, die zu den historischen Aufnahmen das aktuelle Pendant liefern. Das wäre eine Leseraktion, die auch ein bisschen das Geschichtsbewusstsein fördert.

Was wüschen Sie sich für die Zukunft des Projekts?

Vornberger: Das Ultimative wäre, wenn Flickr eine neue Kategorie mit unseren Vorher/Nachher-Bildern einführen würde. (keh)