Hintergrund: Europäische Softwarepatente noch nicht vom Tisch

Am 15. Dezember 2000 endet die Konsultationsfrist der Europäischen Kommission über die Patentierbarkeit von Computersoftware.

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  • Holger Bruns

Am 15. Dezember 2000 endet die Konsultationsfrist der Europäischen Kommission über die Patentierbarkeit von Computersoftware, über die erst nach Ablauf dieser Frist in Brüssel politisch entschieden wird. Solange bleibt der Artikel 52 des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) unverändert. Der Artikel legt fest, dass Programme für Datenverarbeitungsanlagen in Europa nicht als Erfindung angesehen werden können, erklärt Rainer Osterwalder, Sprecher des Europäischen Patentamtes mit Sitz in München.

In München endete auch am 29. November die Diplomatische Konferenz zur Revision des Europäischen Patentübereinkommens. Tage vorher ließ das Bundesjustizministerium bereits durchsickern, dass es auf dieser Konferenz keine Öffnung der Europäischen Union für Softwarepatente geben werde. Für den entsprechenden Vorschlag der französischen Delegation stimmten alle Mitgliedsländer des Europäischen Patentübereinkommens mit Ausnahme der Schweiz, Österreichs und Liechtensteins, die sich der Stimme enthielten. Gegenüber dem Handelsblatt erklärte die Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin, sie wolle gegenwärtig nur verhindern, dass mit der Änderung des EPÜ vollendete Tatsachen geschaffen werden. "Die Entscheidung über eine EU-Richtlinie," meinte die Ministerin, "steht erst im Frühjahr an." Die EU-Richtlinie soll festlegen, wie weit Software überhaupt patentierbar werden soll.

Dessen ungeachtet sind bereits heute europäische Softwarepatente möglich. Wenn ein technisches Verfahren sowohl Hardware als auch Software benutzt, wird die Software mitpatentiert. Halbe Erfindungen gibt es eben nicht. Ein solches Patent wäre zum Beispiel die Patentschrift DE 29 20 023 C 2 mit dem etwas sperrigen Titel "Verfahren zum Erzeugen von Anzeigen analoger Betriebsparameter eines Fernsehempfängers." Gemeint sind die Farbbalken zur Anzeige von Lautstärke, Helligkeit, Programmauswahl und was das Gerät sonst noch so zu bieten hat.

Dem Europäischen Patentamt reicht diese Praxis jedoch nicht. Es gibt inzwischen ungefähr 30.000 Patente auf Programmieraufgaben. Die Erfindungshöhe dieser Patente ist erstaunlich niedrig. Es reicht für ein solches Patent, wenn man sich ein Sachgebiet als Claim absteckt. Einen dieser Claims sichert das Patent EP0461127. Es patentiert als "Interactive Language Learning System" alle computerbasierten Verfahren zum interaktiven Lernen von Sprachen. Wer also künftig ein solches Verfahren implementieren möchte, ist unabhängig von der eigenen geistigen Leistung verpflichtet, Lizenzgebühren an den Patentinhaber, die American Language Academy zu entrichten.

In der Frage der Softwarepatentierung hinkt das Europäische Patentamt dennoch der internationalen Entwicklung hinterher. In Japan und den USA gibt es schon seit längerem die Möglichkeit, reine Softwareprodukte zu patentieren. Das betrifft auch Schnittstellen vom Range eines Industriestandards. Der String +++ath0 trennt ein Hayes-kompatibles Modem vom Telefonnetz. Damit diese Trennung nicht unbeabsichtigt erfolgt, sind kleine Zeitpausen zwischen den Plus-Zeichen und dem Auflegebefehl nötig. Ein entsprechendes Patent gehört dem früheren amerikanischen Unternehmen Hayes Microcomputer Products, lange Zeit praktisch das Synonym für analoge Modems und heute noch im AT- oder Hayes-Befehlssatz verewigt. Um teure Lizenzgebühren zu umgehen, implementierten manche Modemhersteller den Auflegebefehl unvollständig. Die Zeitpausen fallen weg. Entweder ist das zugehörige Register S12 nicht implementiert oder permanent auf Null gesetzt. In der Newsgroup de.admin.net-abuse.mail kursierte schon der Vorschlag, wie sich Spammer und DDoS-Angreifer mit Einwählverbindungen über solche Modems wirksam behindern lassen. Sind sie gerade eingeloggt und ist deren IP-Adresse bekannt, lässt sich mit einem Ping-Befehl deren Modem abklemmen, wenn man als Datenmuster die Entsprechung zur ASCII-Folge "+++ath0" verwendet.

Die Schattenseite also: Wer Softwarepatente umgehen will, macht seine Produkte anfällig für Angriffe. Unsichere Systeme auf Grund der Monopolisierung wichtiger Schnittstellen einerseits und eine massive Behinderung der Innovation im Bereich der Softwareentwicklung andererseits, darüber sorgt man sich unter Softwareentwicklern. Besonders betroffen sind die Programmierer freier Software. Wer Open-Source-Software schreibt, will mit der Weitergabe des Codes kein Geld verdienen. Die Patentierung von Software ist aber vor allem ein Kostenfaktor. Eigene Patentanmeldungen können leicht fünfstellige Beträge verschlingen. Gleichwohl wären Entwickler freier Software lizenzgebührenpflichtig, sofern sie patentrechtlich bereits geschützte Verfahren benutzen.

Sollten Open-Source-Entwickler patentierte Verfahren gar ohne Lizenz implementieren, wird die Sache erst richtig teuer. Das Prozesskostenrisiko einer Patentrechtsverletzung liegt in Deutschland bei 200.000 Mark, erklärt der Bremer Patentanwalt Klaus Göken. Er hat aber für die Sorgen der freien Programmierer nur wenig Verständnis. Für ihn als Patentanwalt ist die Software vor allem ein Wirtschaftsgut und ein technisches Produkt, das von Ingenieuren entwickelt wird. Überall in der Technik müssten Patentansprüche beachtet werden. Da könne es nicht angehen, dass Softwareentwickler mit Sonderkonditionen bedacht werden.

Dabei macht der Verzicht auf eine Softwarepatentierung durchaus Sinn. Software besteht aus Befehlsfolgen, basiert auf Algorithmen. Diese Rechenverfahren sind jedoch Mathematik, und mathematische Methoden würden auch nach einer Öffnung des EPÜ für Softwarepatente als nicht patentierfähige Erfindungen angesehen werden. Nur wird sich darauf wohl niemand berufen können, denn hier geht es nicht um die innere Logik eines Gesetzes, es geht vielmehr um wirtschaftliche Interessen.

Bis jetzt ist die Software in Europa vor allem durch das Urheberrecht geschützt. Das Urheberrecht verletzt nur, wer den Code kopiert; das Softwarepatent hingegen schon, wer eine patentrechtlich geschützte Software anhand ihrer Spezifikationen neu schreibt. In den so genannten Halloween-Papieren denkt der Softwareriese Microsoft inzwischen darüber nach, ungeliebte Konkurrenz auszuschalten: "Die Rolle von Patenten und Copyrights bei der Bekämpfung von Linux muss noch weiter untersucht werden."

Die Gesellschaft für Informatik (GI) fordert jetzt eine "Balance zwischen dem Recht der Allgemeinheit auf Teilhabe am aktuellen Wissen und dem Schutz der Rechte von Erfindern und Erfinderinnen", wie es in einer Erklärung ihres Präsidenten Prof. Dr. Heinrich C. Mayr heißt. Er möchte gerne die Diskussion versachlichen und stört sich an dem emotionsgeladenen Stil, der eine tragfähige Lösung verhindern würde. Aber die Lage ist ernst. Ein Blick in eine Patentdatenbank zeigte etwa dem Softwareunternehmer Daniel Rödding aus Paderborn, dass er besser die Konsequenzen zieht: "Ich werde voraussichtlich ab Mitte nächsten Jahres weite Teile der Software-Entwicklung in einem Land durchführen, in welchem es kein so hoch entwickeltes Patentrecht gibt, und wo eine Änderung der Rechtslage in den nächsten Jahren auch nicht zu erwarten ist." (Holger Bruns) / (jk)