Medizintechnik: Der Point of Care verschiebt sich

Die Medica steht ins Haus, und erste Trends sind bereits absehbar Für jede Krankheit eine App: Wer vom mündigen Patienten redet, will häufig an ihm verdienen. Ein Herztagebuch in der Cloud soll den Erkrankten beispielsweise 9,95 Euro im Monat kosten.

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Medica: Der Point of Care verschiebt sich

(Bild: CardioSecur)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Auf der Medica Preview in Hamburg wurden die Trends der Medizinmesse Medica vorgestellt, die am 14. November in Düsseldorf beginnt. Neben den Großtrends – wie die Nutzung von 3D-Druckern in der Medizin oder der Einzug von Industrie 4.0 in den Operationssaal – wurden auch Dinge gezeigt, die Patienten das Leben erleichtern sollen: Notrufsysteme, EKG-Messung und Ultraschall-Bildgebung werden mobil und können im Zusammenspiel mit einer App und einem Smartphone Diagnosen und Kontrollen erleichtern.

Rund vierzig Parameter speichert das Hausnotrufsystem CareSage von Philips in der Cloud und nutzt "Predictive Analytics" um die Gefahr eines Sturzes zu berechnen und den Träger des Notrufsystems vorab zu warnen. Die Vorhersage eines Einweisungsrisikos in den nächsten 30 Tagen geht auch an den Arzt, Pflegedienst oder die Angehörigen, da Hausnotrufmelder überwiegend von älteren Personen getragen werden (in Deutschland gibt es 800.000 Nutzer von Hausnotrufen). Stürzt ein Träger doch, berechnen die Sturzsensoren mit 95 prozentiger Erkennungsrate, ob eine gefährliche Situation vorliegt und lösen die automatische Alarmierung aus. Die an einer Kordel zu tragenden Geräte gibt es für die Nutzung in der Wohnung oder als Mobilgerät mit GPS-Funktion und Funkbenachrichtigung und sollen 2017 auf den Markt kommen.

Mit CardioSecur von Personal Medsystems kommt ein mobiles EKG-Gerät auf den Markt, das mit 4 Elektroden für den Hausgebrauch ausgelegt ist und an iOS- oder Android-Systeme engeschlossen wird, auf denen eine App läuft. Die Elektroden erfassen das Herz aus 22 Blinkwinkeln, was laut Hersteller der Qualität eines 22-Kanal EKG entspricht. Die Messwerte werden via Smartphone oder Tablet in einem Herztagebuch in der Cloud gespeichert und können dort vom Arzt kostenlos abgerufen werden. Die Kosten der proaktiven Überwachung übernimmt der Patient, der unter Herzbeschwerden leidet. Die Elektroden kosten 99 Euro, das Speichern in der Cloud 9,95 Euro im Monat.

Nur als Demo-Muster zeigte das französische Startup Oscadi das mobile Ultraschallgerät Oscult, nach Aussagen des Herstellers das einzige Gerät, das von Apple als Medizinprodukt zugelassen ist. Als Ausgabeschirm ist wegen der Bildqualität allein das iPad vorgesehen. Oscult soll in der Notrettung und bei Katastrophen zum Einsatz kommen, aber auch in Ländern vertrieben werden, in denen Ärzte das Geld für teure Ultraschallgeräte fehlt. In Verbindung mit Skype soll die Abtastung und Befundung auch aus der Ferne möglich sein.

Was Befunde anbelangt, stellte das Hamburger Startup Connected Health seine Lösung Lifetime vor, die alle Nöte und Probleme der "telemedizinischen Infrastruktur" umgeht, mit der man in Deutschland kämpft. Lifetime besteht aus einem Lifetime Hub, der vom Arzt an beliebige Praxis-Systeme angeschlossen werden kann und einer iOS/Android-App. Wünscht ein Patient die Mitnahme seiner Daten und Befunde, so werden die Daten per Bluetooth verschlüsselt auf sein Smartphone übertragen. Die einfache Lösung hat sich im Hamburger Raum bereits gut verbreitet.

Neben der Vorstellung solcher Neuheiten gab es auf der Preview Vorträge von Wissenschaftlern zu den Zukunftstrends. Marcel Pfützner von Humanx referierte über den Stand der Nutzung von 3D-Druckern in der Medizin. Seiner Einschätzung nach wird jede Klinik in wenigen Jahren einen bis zwei 3D-Druckspezialisten beschäftigen, die Modelle oder Prothesen anfertigen. Der direkte hochauflösende Druck von Organen auf zellulärer Ebene wie etwa Herz oder Leber ist seiner Einschätzung nach jedoch noch 30-40 Jahre entfernt.

Jan Stallkamp vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung erzählte, wie die Projektgruppe PAMB daran arbeitet, Kuka-Roboter in den OP-Saal zu integrieren. Nahziel ist die Automatisierung der Entnahme von Gewebeproben. "Wir wollen die Biopsie in fünf Minuten durchführen, da können Sie keinen Arzt dazwischen haben", erklärte Stallkamp den Mensch (Arzt) zum störenden Element im Prozessablauf.

[Update: 07.10.2016, 14 Uhr] Die Medica beginnt am 14. November und nicht schon am 11. November, wie es in einer früheren Fassung dieser Meldung hieß. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen. (kbe)