Oculus Connect 2016: "Wir denken nicht im Traum daran, VR nur für soziale Netzwerke einzusetzen."

Ein Gespräch mit Oculus' Vice President Mobile Max Cohen über schnurloses VR-Headsets, soziale Netzwerke und Killer-Applikationen – und warum ein Erfolg von PlayStation VR auch Oculus nutzt

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Oculus Connect 2016: "Wir denken nicht im Traum daran, VR nur für soziale Netzwerke einzusetzen."

(Bild: c't/Roland Austinat)

Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Roland Austinat

Max Cohen ist Vice President Mobile bei Oculus VR und arbeitet seit drei Jahren beim kalifornischen VR-Hersteller – damals lockten ihn vor allem die Aussichten, VR zu Lernzwecken einzusetzen. Im Rahmen der Oculus Connect 2016 in San Jose hat c't mit ihm unter anderem über Oculus' schnurloses Headset Santa Cruz und Sonys diese Woche auf den Markt kommende VR-Konkurrenz:

c't: Ein schnurloses Headset mit Rift-Display ist eine spannende Sache. Stellt sich Oculus VR damit aber nicht selbst ein Bein, weil potenzielle Rift-Kunden jetzt noch abwarten, bis sie ohne Kabel in hochaufgelöste VR-Welten abtauchen können?

Oculus Mobile Vice President Max Cohen: Santa Cruz wird für viele Nutzer die langfristig interessanteste VR-Kategorie sein.

(Bild: c't/Roland Austinat)

Max Cohen: Ich würde die Frage so beantworten: Es gibt verschiedene VR-"Güteklassen". Wer daheim schon einen schnellen Gaming-PC besitzt, bei der VR-Darstellung keine Kompromisse eingehen will und mit Controllern die Bewegungen seiner Hände nachbilden will, für den ist das Rift-Headset die beste Wahl. Wer ein Samsung-Smartphone besitzt – und das sind viele Millionen Menschen ...

c't: (deutet grinsend auf das auf dem Tisch liegende iPhone, das das Gespräch aufzeichnet)

Max Cohen: (lacht) Okay, du nicht, aber es gibt wirklich viele Millionen Menschen, die mit GearVR günstig in Virtual Reality einsteigen können. Und da gibt es inzwischen sehr attraktive Anwendungen, etwa die Yosemite-Nationalpark-Dokumentation "Through the Ages" mit Präsident Obama, die Cirque-de-Soleil-Show "Kà" und viele andere mehr. Warum investieren wir dann noch in Santa Cruz? Weil das unserer Meinung nach für viele Nutzer die langfristig interessanteste VR-Kategorie sein wird. Dabei bleibt gleichzeitig noch genug Platz für andere Hardware-Kategorien – weil mobile Systeme preislich und stationäre Systeme qualitativ unschlagbar sind und sein werden.

Bedeutet das, dass das aktuell in Santa Cruz verbaute Rift-Display noch ein "Downgrade" mit niedrigerer Auflösung verpasst bekommen könnte? Oder reichen die Rift-Entwickler ihr jeweiliges Display an die Santa-Cruz-Crew weiter, wenn sie ein höher aufgelöstes verwenden?

Max Cohen: Was den Prototypen angeht, den du gesehen hast: Es gibt keine Garantie dafür, dass die aktuell darin verbauten Komponenten im fertigen Produkt auftauchen werden. Wir haben zwar ein Rift-Headset mit einer mobilen Recheneinheit kombiniert, damit es als eigenständiges System funktioniert, aber versteht das nicht als Hinweis auf einen Weg zum fertigen Produkt. Vielmehr handelt es sich hier um eine Tech-Demo für Inside-Out-Tracking. Anders ausgedrückt: Das finale Produkt ist kein Rift-Headset mit Inside-Out-Tracking.

Also könnten wir dann tatsächlich weniger Pixel vor Augen haben?

Max Cohen: Wir werden eine Fülle verschiedener Mobilsysteme aller Hersteller sehen, die jetzt schon im VR-Geschäft sind. Das könnte ein GearVR-artiges Gehäuse für iPhones sein, das nicht einmal Inside-Out-Tracking beherrscht, das könnten mehrere Tausend US-Dollar teure Systeme für die Industrie oder das Militär sein, die das können. Und das könnten Geräte sein, die dazwischen angesiedelt sind. Wenn wir von einer Kategorie zwischen Rift und GearVR sprechen, ist die nicht durch die Faktoren Preis, Leistung und Spezifikationen definiert, sondern durch Flexibilität und Einsatzzweck.

Wie passt dann die Aussage von Michael Abrash dazu, der in seinem VR-Ausblick andeutete, dass wir in fünf Jahren keine Kabelverbindung mehr zwischen High-End-VR-Headset und PC benötigen könnten? Dann würde die Einteilung in ein Zweiklassensystem doch wieder etwas komplizierter. Bekommt dann die Mittelklasse beispielsweise kein Eingabegerät?

Max Cohen: Nein, eine vernünftige VR-Steuerung ist extrem wichtig, deshalb haben wir so viel in die Touch-Controller investiert. Michaels Vorhersagen können durchaus eintreffen, andererseits sind fünf Jahre eine lange Zeit. Santa Cruz wurde von unserem Produkt-Team erschaffen, unsere Forschungsabteilung arbeitet an zukünftigen technologischen Durchbrüchen. Das meint Michael Abrams, und das sind die Entwicklungen, die mehr als nur evolutionäre Verbesserungen sind und mit denen sich eine Milliarde Menschen erreichen lassen.

Wer also heute in VR einsteigen will, verkabelt das Headset besser mit seinem PC.

Max Cohen: Wer schon lange von VR geträumt hast und einen tollen Spiele-PC besitzt, für den ist das Rift-Headset das richtige, korrekt. Wer erst mal herausfinden möchte, was VR überhaupt ist und wie es sich anfühlt, in einer Herde von Dinosauriern oder während eines Fußballspiels an der Seitenlinie seiner Lieblingsmannschaft zu stehen, sollte ein System wie GearVR ins Auge fassen. Man kann nicht so einfach sagen: "Wenn du VR ausprobieren willst, dann kauf dir dieses oder jenes Produkt" – das hängt wirklich vom individuellen Begeisterungsgrad der Person ab. Vor ein paar Jahren hätte die Antwort noch anders gelautet, aber heute gibt es mehr Geräte auf dem Markt als nur das Rift-Headset.

Noch in diesem Monat erscheint beispielsweise PlayStation VR für rund 500 US-Dollar, wenn man die notwendige PlayStation-Kamera dazurechnet. Inklusive einer PlayStation 4 Pro steigt man dann für gut 900 US-Dollar ins VR-Zeitalter ein. Ist es da nur ein Zufall, dass dank der just vorgestellten Asychronous-Spacewarp-Technik nun auch gerade einmal 500 US-Dollar teure PCs Oculus Rift unterstützen?

Max Cohen: Ich bin als Oculus-Mitarbeiter darauf stolz, dass wir keine Firma sind, die nur auf die Aktionen anderer Firmen reagiert. Wir haben unsere internen Pläne und Roadmaps, die wir umzusetzen versuchen. PlayStation VR und andere Mitbewerber sehe ich positiv, weil sie unserer Industrie helfen. Mehr Systeme geben beispielsweise Entwicklern mehr Anreiz, in VR zu investieren und damit Geld zu verdienen. Wenn sie mehr Geld verdienen, entwickeln sie noch mehr Inhalte, mit Sicherheit auch für unsere Plattformen – also nutzt jedes gutes VR-System auf dem Markt auch uns. Wir befinden uns nicht in einem Rennen um Marktanteile, die wir mit Preiskämpfen erobern wollen. Das Virtual-Reality-Geschäft muss organisch wachsen, um Dutzende beziehungsweise Hunderte von Millionen von Nutzern zu erreichen.

Sie haben also kein Problem damit, wenn jemand sagen würde: Ich kaufe mir jetzt eine PS4 Pro mit PSVR und schaue dann in der nächsten Hardware-Generation wieder bei Oculus vorbei?

Max Cohen: Jeder sollte sich alle verfügbaren Systeme anschauen und dann das wählen, was seine Ansprüche am besten zufriedenstellt. Für jemanden, der keinen PC, aber eine PS4 besitzt, ist PlayStation VR ein guter Einstieg, keine Frage. Aber wir sind überzeugt, dass die Qualität von Rift-Headset mit Touch-Controllern signifikant höher ist. Wer einen Gaming-PC besitzt, für den sind Rift und Touch genau das Richtige. Und wer weder PS4 noch PC daheim hat, sollte sich vielleicht ein System wie GearVR angucken. Ich bin davon überzeugt: Es geht nicht darum, einander Kunden abzuluchsen, bevor sie zur Konkurrenz abwandern – sondern darum, ihnen hochwertige VR-Erfahrungen zu bieten, damit sie das Headset nicht nach ein paar Stunden in die Ecke legen. Wir haben als Facebook-Tochter den Luxus, uns nicht zu viele Sorgen um die heutige Marktlage machen zu müssen, sondern langfristig denken zu können.

Stichwort Facebook: Viele unserer Leser sorgen sich, dass Oculus Rift durch den Einfluss des sozialen Netzwerks zu einer glorifizierten Chat-Hardware verkommen könnte – insbesondere, nachdem sie Mark Zuckerbergs technisch durchaus beeindruckende Demo gesehen haben.

Max Cohen: (lacht) Denen solltest du erzählen, dass wir in dieser Woche 35 großartige Spiele gezeigt haben, viele davon Shooter wie "Arktika.1" oder "Robo Recall". Dazu gibt es kreative Anwendungen wie "Medium" oder "Kingspray". Weil wir das VR-Headset als Computerplattform sehen, fördern wir Entwickler erneut mit weiteren 250 Millionen US-Dollar. Und wir denken nicht im Traum daran, es nur für soziale Netzwerke einzusetzen.

Das wohl größte Problem ist, dass sich VR nicht so einfach beschreiben lässt. Wer nur darüber liest oder einen 2D-Trailer sieht, fragt sich womöglich, was die ganze Aufregung um Virtual Reality eigentlich soll. Und was die 35 neuen Spiele angeht: Fehlt da vielleicht eine Killer-Applikation? Für die PS4 gab es im ersten Jahr ein "Assassin's Creed", ein "Call of Duty" und ein "FIFA". Und manch einer hat sich seinerzeit eine PlayStation gekauft, um "Gran Turismo" zu spielen ...

Max Cohen: Ja, ich war einer von denen!

Oder eine Xbox für das erste "Halo".

Max Cohen: Ich habe mir wegen "Fallout 4" eine Xbox One gekauft. Als Microsoft "Minecraft" für GearVR herausgebracht hat, war das ganz klar eine Killer-App, weil die Leute ihre Werke zum ersten Mal selbst betreten konnten. Was Rift angeht: Einige der hier gezeigten Spiele haben absolut das Zeug dazu. Wir dürfen auch nicht vergessen: Viele der genannten Marken gibt es schon seit Jahrzehnten – und die ersten Teile waren noch nicht unbedingt so populär, wie es die Serien heute sind. Man kann auch nicht einfach eine bestehende Spieleserie in VR packen. Stattdessen werden wir neue Titel sehen, die sich zu den viel geforderten Killer-Applikationen entwickeln werden. Dazu kommt, dass wir Oculus mit vielen kleinen Entwicklern aufgebaut und nicht gewaltige Geldsummen in nur ein einziges Studio gesteckt haben. Wie teuer war die Produktion das erste "Halo"-Teils noch gleich?

Dann sind mehr und mehr Rift-Demostationen die einzige Lösung?

Max Cohen: Ja. Und vergessen wir dabei auch GearVR nicht. Das ist ein guter Einstiegspunkt, um Leute für VR zu begeistern. Das System haben weltweit viele Millionen Menschen ausprobiert. Verglichen damit ist die Zahl derer, die das mit Vive und Rift gemacht haben, verschwindend gering. Das sehen wir ganz klar als unsere Aufgabe für die Zukunft an, und deswegen gibt es auch Dinge wie einen Bus mit Rift-Stationen, der nach der letzten Gamescom quer durch Europa gefahren ist.

Oculus könnte auch wie Google mit großen lokalen Medium kooperieren und denen dann beispielsweise eine Cardboard-artige VR-Hülle für iPhones beilegen, oder?

Max Cohen: Nein, denn Oculus hat einen Qualitätsstandard, den wir nicht unterschreiten wollen. Das ist bei uns GearVR – Cardboard kommt nicht daran heran. Und ganz ehrlich: Google scheint davon auch nicht mehr so ganz überzeugt zu sein, sonst hätten sie diese Woche nicht Daydream angekündigt, oder? LoFi-VR schadet der Sache mehr, als dass es ihr nutzt: Wir sehen lieber ein etwas langsamer wachsenden VR-Ökosystem als Menschen, die VR in schlechter Qualität ausprobieren und dann nichts mehr damit zu tun haben wollen.

Vielen Dank für das interessante Gespräch. (mho)