In Hamburg soll das "Silicon Valley der Luftfahrt" entstehen

Im beschaulichen Finkenwerder forschen Branchengrößen wie Airbus und Lufthansa Technik mit Wissenschaftlern und jungen Unternehmen an Innovationen für die Luftfahrt. Ein Besuch vor Ort.

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In Hamburg soll das "Silicon Valley der Luftfahrt" entstehen

(Bild: dpa)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Christin Apenbrink
  • dpa

Der halbfertige Flugzeugrumpf des Airbus 320 neigt sich scheinbar schwerelos von rechts nach links. Das Metallgerüst ist zum Greifen nah, doch die Hand tastet ins Leere. Das menschliche Auge ist auf einen von Computern erzeugten Trug hereingefallen, der schon längst nicht mehr nur die Spieleentwickler fasziniert. "Virtual Reality hat großes Potenzial für die Luftfahrt", sagt Roland Gerhards, Geschäftsführer des Zentrums für Angewandte Luftfahrtforschung (ZAL) in Hamburg-Finkenwerder, das unweit des Airbus-Geländes südlich der Elbe residiert. Seit dem Frühjahr wird in dem futuristisch anmutenden Gebäude, dessen Fuhrpark bei Nacht mit blauen Bodenstrahlern einer Landebahn ähnelt, an neuen Technologien, Materialien und Prozessen für die Luftfahrt geforscht.

Die Virtual-Reality-Erfahrung ist in einem fensterlosen Raum mit Kinosaal-Atmosphäre möglich: dem VR Lab – sozusagen eine digitale Werkstatt. 20 Träger von 3D-Brillen können hier gleichzeitig in virtuelle Welten eintauchen. Das Konstruieren und Auseinanderbauen neuer Bauteile oder auch die Umstellung ganzer Produktionsabläufe ist dabei demjenigen vorbehalten, der den "Flystick" in Händen hält: eine Art Steuerhebel mit Infrarot-Reflektoren. "Es geht uns nicht um den Show-Effekt", betont Gerhards. Die Forschungserfolge stünden im Vordergrund. Für Airbus-Sprecher Florian Seidel besteht "der besondere Charme" des Labs darin, dass es nicht nur Airbus zur Verfügung stehe. Zwar gebe es auch im Hamburger Werk des Flugzeugbauers einen VR-Raum, doch im Forschungszentrum käme man einfacher mit Partnern zusammen.

Wenn es nach ZAL-Geschäftsführer Gerhards geht, soll hinter der gläsernen Fassade ein "Silicon Valley der Luftfahrt" entstehen. Vom amerikanischen Vorbild habe man sich schon in der Planungsphase inspirieren lassen. So zum Beispiel im "Greenhouse": Mit anregendem Grün auf Teppich und Tapete, dekorativen Libellenbildern und Stühlen in Blattoptik soll der Kreativraum zur Schmiede neuer Ideen werden. Wechselnde Arbeitsteams könnten hier losgelöst von herkömmlichen Denkmustern Knackpunkte ihrer Projekte lösen, mit Springseilen und Murmelbahnen etwa, erklärt der Geschäftsführer.

Ein bisschen "Silicon Valley-Flair" dürften auch die beiden ersten Startups mitbringen, die demnächst ins TechCenter einziehen werden. Eines der beiden Jungunternehmen ist die Synergeticon GmbH. Die Gründer Daniel Erdelmeier und David Küstner entwickeln ein Assistenzsystem für Werksarbeiter, das den Informationsaustausch mit Maschinen vereinfacht – Stichwort "Industrie 4.0". Ab Januar wollen die Gründer ihr derzeitiges Kooperationsprojekt mit Lufthansa Technik im ZAL fortführen. "Als Mieter haben wir die wichtigen Kontakte direkt vor Ort", sagt Maschinenbauingenieur Küstner.

Aktuell seien 22 Mieter im Gebäude, bis zum Jahresende sollen möglichst alle Räumlichkeiten belegt werden. Gerhards lobt die hiesige Gründerszene, die deutlich näher an der Industrie als die Pendants aus Berlin sei. Gleichzeitig, so gibt der Geschäftsführer zu, seien die Räumlichkeiten gerade für junge Unternehmen kostspielig. Mietverträge laufen mindestens drei Jahre, was nicht unbedingt der unter Startups üblichen flexiblen Bürokultur entspricht.

Die Gründer von Synergeticon, Erdelmeier und Küstner, könnten anderen Jungunternehmern ein Vorbild sein. Bislang war das Startup im "Airbus Biz Lab" beheimatet, einem wenige hundert Meter vom ZAL entfernten Förderzentrum für Gründer aus der Luftfahrtbranche. Nun fühle man sich bereit, "den nächsten Schritt zu wagen". Im TechCenter werde sich das Team die angemieteten Räume mit einem weiteren Startup teilen. Das spare Kosten, sagt Küstner. Natürlich wäre es schön, wenn in Zukunft noch mehr Startups in das Forschungszentrum kämen, meint er. "Dann könnten wir unsere Ideen nicht nur mit den alteingesessenen Unternehmen voranbringen." (se)