USA: Hälfte der Bürger für Gesichtserkennung erfasst

Weitgehend unreguliert setzen US-Behörden Gesichtserkennungssoftware ein. Auch ohne jeden Verdacht werden laufend Gesichter mit Datenbanken abgeglichen. Und die Datenbanken kennen mindestens 117 Millionen Gesichter.

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3 Kameras auf einem Mast

Vor zehn Jahren waren Überwachungskameras noch leicht erkennbar. Heute sind sie oft gut versteckt.

(Bild: Paweł Zdziarski CC-BY-SA 3.0)

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Die Gesichter von mindestens 117 Millionen Erwachsenen sind in staatlichen Datenbanken der USA gespeichert. Das ist mehr als die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung. Die allermeisten biometrisch Erfassten sind unbescholten: In mindestens der Hälfte der US-Staaten werden Gesichtsdaten von Führerscheinen oder Reisepässen abgezogen. Dazu kommen Polizeibilder sowohl von Straftätern als auch von unschuldig Festgenommenen.

Banksy-Werk

(Bild: oogiboig CC-BY-SA 2.0)

Und dann wird gescannt: Von den über 17.000 Polizeibehörden auf Staaten- und Gemeinde-Ebene kann mindestens jede vierte Bilder mit Datenbanken abgleichen. Diese Daten hat das Center on Privacy & Technology der juridischen Fakultät der Georgetown University in Washington, D.C., erhoben.

Weil die Daten nicht frei verfügbar sind, mussten die Juristen für Ihre Untersuchung über Hundert Anfragen nach Informationsfreiheitsgesetzen stellen. Dazu kamen Telefoninterviews und Besuche bei Polizeibehörden sowie Gespräche mit Lieferanten von Gesichtserkennungssoftware. Alle erlangten Dokumente sind online abrufbar.

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Allerdings geben die Autoren zu, dass ihre aus den Unterlagen gezogenen Schlussfolgerungen nicht immer korrekt sein müssen. Oft waren die Dokumente nämlich teilweise geschwärzt. Vor Veröffentlichung des Berichts hatten alle Behörden auf Gemeinde- und Staatenebene Gelegenheit, den Entwurf zu lesen und zu korrigieren.

Besonders schlimm ist es um die Transparenz bestellt: Nur in San Diego und Seattle konnten die Forscher veröffentlichte, von dritter Seite überprüfte Richtlinien zur Anwendung der Gesichtserkennung finden. Auf Hawaii und in Michigan haben sich Polizeibehörden selbst Regeln auferlegt und veröffentlicht. Der Rest schweigt. Und nur in Michigan wird nachweislich regelmäßig überprüft, wie Gesichtserkennung tatsächlich eingesetzt wird. Missbrauch für private Angelegenheiten wäre demnach ein Leichtes.

Mit ihren Handys machen US-Polizisten nicht nur Selfies. Gesichtserkennung ist inzwischen auch mobil.

(Bild: Ted Eytan CC-BY-SA 2.0)

Regelmäßig werden nicht nur Bilder Verdächtiger mit den Datenbanken abgeglichen. Auch Zeugen, Opfer, Bewusstlose und Menschen, die nur zufällig ins Bild geraten sind, werden gerastert, gerne auch von Mobiltelefonen der Polizisten aus. Auf einen Verdacht kommt es bei manchen Polizeibehörden nämlich gar nicht an. Sie gleichen Bilder ohne Anlass ab, weil sie es können. Das dürfte ein Verstoß gegen den Vierten Zusatzartikel der US-Verfassung sein, der Durchsuchungen nur bei "vernünftigem Verdacht" gestattet.

Mancherorts werden sogar Livebilder von Überwachungskameras routinemäßig erfasst. Auch Teilnehmer von Kundgebungen können zum Ziel werden, was wiederum ein Verstoß gegen den Ersten Zusatzartikel sein könnte. Er garantiert das Rechte auf Freie Meinungsäußerung, was in den USA weit ausgelegt wird.

Leider vertrauen viele Ermittler blind auf die Technik, die aber in der Realität erhebliche Fehlerquoten aufweist. Nur ein Teil der Polizeibehörden betrachtet die Ergebnisse als Spur und nicht schon als Beweis. Nur ein Teil hat ihre Software vom National Institute of Standards and Technology (NIST) testen lassen. Und nur ein Teil lässt Treffer von geschulten Experten überprüfen, bevor sie als bare Münze genommen werden.

Die Juristen haben sich auch über den Bericht hinaus an die Arbeit gemacht. Sie haben einen Entwurf für ein Gesetz zur Regelung des Einsatzes von Gesichtserkennung ausgearbeitet. Dazu kommt ein Regelwerk, das Polizeibehörden übernehmen können. Und sie schlagen vor, dass das National Institute of Standards and Technology (NIST) die eingesetzten Gesichtserkennungsprogramme regelmäßig überprüft, auch hinsichtlich rassen-, geschlechts- oder altersbezogener Diskriminierung. (ds)