Revolution liegt in der Luft

Die französischen Arbeitnehmer proben wieder einmal den Aufstand: Die vorübergehenden Gefangennahmen von Managern häufen sich und dürften wohl nicht mehr so schnell aufhören.

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Diese rabiate Methode hat sich nämlich schon mehrmals bezahlt gemacht und die verhassten Manager immerhin an den Verhandlungstisch zurückgeholt. Der ehemalige konservative Premier Dominique de Villepin warnt die Regierung vor einem „existierenden revolutionärem Risiko“ und erklärt, dass die herrschende „Wut und Verzweiflung“ ob der zahlreichen Werksverlegungen und -schließungen die Stimmungslage in Frankreich gefährlich werden lassen könnten. Präsident Sarkozy erklärt, dass er solche „Geschichten“ in einem Rechtsstaat nicht gedenke geschehen zu lassen. Für die Industriellenvereinigung MEDEF sind diese Freiheitsberaubungen kurzum illegal. Diese international für Aufmerksamkeit sorgenden „Geschichten“ wurden von der angelsächsischen Presse griffig bossnapping getauft und seien seit 1968 eine Spezialität der französischen Arbeitnehmer in ausweglosen Situationen. Zur Zeit muss es also ganz besonders ausweglos sein.

Und es geht natürlich trotz der präsidentschaftlichen Schelte munter weiter: Am 21.April haben die Arbeitnehmer von „Molex“, einem amerikanischem Automobilausstatter, der eine Verlegung des französischen Standorts in die Slowakei angekündigt hatte, einen Co-Direktor und seine Angestellte über Nacht in ihrem Büro festgehalten. Die Bedingungen dieser kurzeitigen Freiheitsberaubung dürften aber wie in allen bisherigen Fällen nicht allzu harsch gewesen sein. Der Direktor konnte telefonieren und seinen Anwalt verständigen. Ziel dieser Gefangennahme ist laut einem Gewerkschaftssprecher gewesen, dass „jeder im Land über das Schicksal, das die amerikanischen Bosse unserer Produktion bereiten, Bescheid weiß “. Zudem stellte sich im Nachhinein heraus, dass das Werk in der Slowakei ebenfalls die Tore schließen und in die USA verlegt werden wird. Schöne neue, globalisierte Arbeitswelt.

Die Verteidigungsstrategie der französischen Arbeitnehmer hat sich schon mehrmals bezahlt gemacht: So beim Kleberhersteller Scapa, bei dem 4 Führungskräfte zurückgehalten wurden, was die Abfindungszahlungen von zunächst 890.000 auf 1,7 Millionen Euro hochgetrieben hat. Auch bei „Sony-France“ hat die Gefangennahme des Generaldirektors und von 3 Angestellten bislang diskussionsunwillige Chefs über Nacht kompromissbereit gestimmt. So lange nämlich währte diese Freiheitsberaubung mit Minibar. Sony hat sich danach verpflichtet 13 Millionen Euro als Hilfestellung zur Findung einer Neuanstellung locker zu machen. Bei 3M hat ebenfalls eine Übernachtgefangennahme die Manager an den Verhandlungstisch zurückgebracht. Beim Baumaschinenbauer „Caterpillar“, wo 3 Führungskräfte am 1. April in ihren Büros 24 Stunden lang festgehalten wurden, sah man sich gezwungen, ein bisschen weniger drastisch abzuspecken: Die vorgesehenen Entlassungen wurden von 753 auf 450 reduziert. Doch es wird zur Zeit noch immer weiter verhandelt.

Im Gegensatz zu den anderen bislang von dieser „sozialen Waffe“ betroffenen Unternehmen, wollen nun die „gefangenen“ Caterpillar-Manager eine Klage gegen Unbekannt einbringen Allerdings sollen die Führungskräfte ziemlich wenig Chancen haben, mit ihrer Klage durchzukommen, nachdem einer der Manager „nach Draußen“ telefonieren konnte, also nicht völlig abgeschottet war. Im französischen Recht jedenfalls sind 20 Jahre Haft für diejenigen vorgesehen, die eine Person gegen ihren Willen festhalten. Dieses Vergehen wird im Arbeitsrecht zum Delikt, wenn die Freiheitsberaubung weniger als 5 Tage gewährt hat. Die anderen bislang betroffenen Unternehmen haben es allerdings vorgezogen, keine Klage zu erheben, um nicht das soziale Klima noch mehr zu vergiften.

Soziale Gewalt wider die Gewalt der alles beherrschenden Logik des Profits?

Der französische Premier François Fillon versicherte seinerseits, dass die „schockierenden Entlohnungen mancher Bosse die Gewalt schüren“. Quasi zeitgleich wurde bekannt, dass die französisch-belgische Bank Dexia, die gerade 900 Arbeitsplätze, davon 250 in Frankreich, abbaut, einem Ex-Direktor die königliche Entschädigung von 825.000 Euro mit auf den Weg gegeben hat. Dexia wurde übrigens vom französischen und belgischen Staat vor dem Bankrott gerettet. Dabei hatte Präsident Sarkozy, hoch und heilig versprochen, dass Unternehmen, die eine staatliche finanzielle Spritze erhalten haben, diese im Falle von Entlassungen zurückerstatten müssen. Davon ist jetzt natürlich keine Rede mehr.

Doch es kommt noch schöner: Der Nachfolger des scheidenden Direktors, Pierre Mariani, laut „Libération“ ein Freund des Präsidenten, hat sich selbst eine Gehaltserhöhung von 30% gewährt. Der französische Teil der Bank soll noch dazu seinem Topmanagement einen Bonus von 8 Millionen Euro ausgeschüttet haben. Wahrscheinlich für das erfolgreiche Management in den Bankrott?

Die militante Onlinezeitung Bakchich bringt die Wut der Arbeitnehmer folgendermaßen auf den Punkt:

Entweder haben diese Manager die (finanzielle) Krise nicht kommen sehen und sind daher inkompeten und durch Beziehungen dahin gekommen, wo sie sind. Das wäre hinterfragenswert. Oder sie haben die Krise kommen sehen und nichts anderes getan, als sich königliche Abfertigungen und Lawinen von Aktienpapiere (stockoptions) zugeteilt. Womit sie Betrüger wären. Alles zusammen rechtfertigt eine fristlose Kündigung.

Bakchich

Die wahre Gewalt seien nicht die kurzfristigen Gefangennahmen, sondern der Umstand, dass

die Arbeitnehmer Jahrein, Jahraus dabei zusehen müssen, wie ihre Führungskräfte ausgiebig von Vorteilen (Dienstauto, Seminare im 5-Sterne-Hotel, saftige Spesenrechnungen) profitieren, während ihr Unternehmen vom Staat gerettet werden muss. (...) Also, mein guter Herr, wenn diese Leute mit ihren scheinheiligen Miene auftauchen und verkünden, dass 500 Kerle entlassen werden müssten und es da nichts mehr zu verhandeln gebe, ist es normal, dass sie ein wenig gerüttelt werden.

Bakchich

Ähnlich die Sprecherin der kommunistischen LO (Lutte Ouvriere), Nathalie Arthaud, die meint, dass die Gefangennahmen der Bosse legitim seien:

Gewalttätig und illegal ist doch das, was man heutzutage den Arbeitern zufügt. Glücklicherweise lassen die sich aber nichts gefallen und versuchen mit allen Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen, Druck auszuüben, um gehört und respektiert zu werden. (...) Man wird doch nicht eine große Angelegenheit daraus machen, wenn sie (die Führungskräfte) 4 Stunden oder sogar eine Nacht lang zurückgehalten werden, um zu verhandeln und mit den Gewerkschaften zu diskutieren. Das ist doch nicht die Katastrophe des Jahrhunderts.

Nathalie Arthaud

Diese neuerdings immer häufiger angewendete, offenbar überzeugungskräftige Verhandlungsmethode der französischen Werktätigen scheint auch auf die Nachbarn jenseits der Alpen übergegriffen zu haben. Am 25. Februar wurde der Personaldirektor von Benetton samt seiner Sekretärin nach der Verkündung von 143 Entlassungen der Freiheit beraubt und durch erregte Angestellte etwas gröber behandelt. Sogar die eigene Gewerkschaft war durch diese Aktion offenbar überfordert und musste die „Carabinieri“ herbeirufen, um den Personalchef zu befreien.

Wenige Tage zuvor wurde der Generaldirektor eines „Callcenters“ eine Stunde lang in seinem Büro zurückgehalten. Die Belegschaft war verständlicherweise erregt, weil der Lohn von Februar und März noch immer ausständig war. Bislang wurde das „boss napping made in France“ laut dem Soziologieprofessor Domenico De Masi von den Italienern mit Neugierde und vielleicht sogar Neid verfolgt. Immerhin seien bei den Franzosen seit 1789 einige Fortschritte zu bemerken: Die Manager von damals köpfte man. Heute begnüge man sich damit, sie ihrer Freiheit vorübergehend zu berauben.

Survivalkits für verängstigte Manager

Die konservative Tageszeitung Le Figaro erläutert, dass die Unternehmensberater des Landes eine neue Einkommensquelle entdeckt haben: Firmen, die knapp davor stehen, Entlassungen und Werksverlegungen durchzuführen, mit Rat und Tat beizustehen, um Gefangennahmen zu vermeiden. Ein solcher Vorbereitungskurs dauert laut dem „Coach“ Xavier Tedeschi einen halben Tag und soll den Managern eine „klare und pädagogische“ Kommunikationsweise im Falle einer “Reorganisation“ des Unternehmens lehren. Damit sollen soziale Spannungen schon vorab vermieden werden können.

Keinesfalls sollen sich die Personalchefs auf äußere Faktoren wie die beliebte finanzielle Krise herausreden, denn dies sei nicht immer der Anlass für harte Maßnahmen und könne die Arbeitnehmer in Wut versetzen. Den gefangengenommenen Führungskräften wird eine psychologische Unterstützung geboten, da die Freiheitsberaubungen manchmal ziemlich rüde verlaufen, wie dies für die 4 Manager von Caterpillar der Fall gewesen sei, die 24 Stunden lang ohne Festnetz oder Handy auskommen mussten und eingeschüchtert wurden. Bei ihrer Freilassung seien sie bespuckt und beschimpft worden, was von einem psychologischen Standpunkt aus gesehen eine Situation von „extremer Gewalttätigkeit“ gewesen sei und Traumata hinterlassen können soll. Um auf mögliche Gefangennahmen vorbereitet zu sein, empfehlen die Unternehmensberater immer persönliche Utensilien im Büro mit dabei zu haben: Ein Hemd, eine Krawatte, eine Zahnbürste, einen Rasierer und ein zweites Handy mit den verborgenen Telefonnummern der Familie, der Gendarmerie, des Anwaltes und der Präfektur. Alles was eben nötig sei, um eine Nacht zu überdauern.

Doch dieser wachsende Unmut der Arbeitnehmer macht sich nicht nur in Unternehmen breit: Der Versuch der Regierung, Krankenhäuser und Universitäten wie Unternehmen zu führen, treibt das betroffene Personal auf die Palme und nicht nur am 1. Mai auf die Straße. Dieses Jahr haben sämtliche Gewerkschaften zum traditionellen Aufmarsch aufgerufen, 1,2 Millionen Menschen sind nach CGT auf die Straße gegangen, nach der Polizei aber nur 465.000. Präsident Sarkozy und seine angebliche „Modernisierung“ Frankreichs, das er wie die Krankenhäuser nach wirtschaftlichen Kriterien zu führen gedenkt, haben für Einigkeit gesorgt: Einer für alle, alle dagegen?