Bloße Zivilisationsamateure oder bewusste Barbaren?

Hat man in Libyen ein Terrorregime gegen ein anderes ausgetauscht?

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Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch erhebt schwere Vorwürfe gegen die neuen Machthaber in Libyen. Grund dafür sind unter anderem die Leichen von 53 Menschen, die auf dem Gelände des Hotels Mahari in der in weiten Teilen von Fliegerbomben zerstörten und von ihren Bewohnern verlassenen Stadt Sirt gefunden wurden.

Der Zustand der Leichen, ihre Schusswunden, Kugellöcher im Boden, Patronenhülsen und die Tatsache, dass einige davon die Hände auf dem Rücken gefesselt hatten, legen den Schluss nahe, dass sie nicht im Kampf fielen, sondern als Gefangene oder Geiseln zwischen dem 14. und dem 19. Oktober exekutiert wurden. Zwei der Getöteten waren Regierungsbeamte. Mehrere der Opfer trugen Verbände, was darauf hindeutet, dass man sie aus dem Krankenhaus der Stadt verschleppte. Auch einen Hinweis auf mögliche Täter gibt es: An den Wänden des Hotels stehen nämlich die Namen von fünf Freischärlergruppen, die das Gelände offenbar eroberten: al-Nimer, al-Isnad, al-Fahad, al-Asad und al-Qasba.

Foto: © 2011 Peter Bouckaert/Human Rights Watch.

In einem Wasserreservoir in Sirt fanden Human-Rights-Watch-Gewährsleute die Körper von zehn weiteren Hingerichteten. Ihr stärkerer Verwesungszustand deutet darauf hin, dass sie vor dem 12. Oktober getötet wurden, weshalb nicht klar ist, ob Rebellen oder Gaddafi-Anhänger dafür verantwortlich waren. Und von den mindestens 95 frischen Leichen, die in der Nähe von Gaddafis Festnahmeort lagen, weisen mehrere Einschusswunden auf, die eine Exekution wahrscheinlich machen.

Die Hinweise auf eine internationalem Kriegsrecht widersprechende Hinrichtung von Muammar al-Gaddafi und dessen Sohn Mutassim konnte der libysche Übergangsrat bislang nicht entkräften. Am Montag erweckte er zwar den Eindruck, als wolle er dem (aus mehreren Video-Indizien für einen Lynchmord resultierenden) internationalen Druck nachgeben und eine unabhängige Untersuchung zulassen. Gestern aber gab er überraschend bekannt, dass die Leichen an einem unbekannten Ort beerdigt worden seien, womit er Gerüchte über sexuell-sadistische Misshandlungen befeuerte.

Diese Vorgänge sind nicht der ersten, die nahelegen, dass es sich bei den neuen libyschen Machthabern nicht ausschließlich um Rechtsstaatsanhänger handelt. Bereits seit den Anfangstagen des Krieges gab es immer wieder Berichte von Lynchmorden, deren Opfer anschließend als Trophäen auf Kühlerhauben herumgefahren wurden. Besonders betroffen waren offenbar Schwarzafrikaner, denen man pauschal unterstellte, Söldner zu sein. Und schon beim Tod des Generals Abdul Fatah Junis versuchte der Übergangsrat erst, den Gaddafi-Truppen die Schuld in die Schuhe zu schieben, bevor Ölminister Ali Tarhouni zugeben musste, dass die eigenen Verbündeten Junis erschossen.

Human Rights Watch spricht mittlerweile davon, dass es unter den Freischärlern einen "Trend" zum Töten, Plündern und gezielten Brandstiften gibt. Auch die New York Times berichtet aus Sirt, dass die Rebellen sich durch das Ende des Krieges nicht von Raubzügen abhalten lassen und es vor allem auf Autos und Generatoren abgesehen haben.

Werden die dafür Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen, dann setzten die neuen Machthaber Human Rights Watch zufolge ein Zeichen, dass diejenigen, die gegen Gaddafi kämpften, tun können, was sie wollen, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Deshalb fordert die Menschenrechtsorganisation den Übergangsrat auf, dem Treiben seiner Truppen ein Ende zu setzen. Wie entschieden die neuen Machthaber der Forderung nachkommen werden, ist jedoch offen.

Dass sich deren Kooperationsbereitschaft in Grenzen hält, das musste der Westen bereits feststellen, als man Ende August die Auslieferung des Lockerbie-Attentäters Abdel Basit Ali al-Megrahi forderte. Damals wies der Übergangsrats-Justizminister Mohammed al-Alagi das Anliegen mit der Bemerkung zurück, er liefere keine Libyer aus, wie Gaddafi das gemacht habe.

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