Spanien: Sparen mit Milliardengeschenken

Die neue konservative spanische Regierung hat Geschenke für Rentner, Banken und Besserverdienende im Gepäck, will aber weitere 16,5 Milliarden Euro sparen

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Nach zwei verlorenen Wahlen war am Montag der Tag für den spanischen Konservativen Mariano Rajoy gekommen. In seiner Antrittsrede vor dem Parlament legte der Chef der Volkspartei (PP) seine widersprüchlichen Grundlinien vor. Irgendwie sollen 2012 erneut 16,5 Milliarden Euro eingespart werden, während er ein verstecktes Bankenrettungsprogramm der Sozialisten fortführt, Steuergeschenke an Besserverdienende verteilt und die Renten anhebt. Er will irgendwie auch die extreme Arbeitslosigkeit abbauen, gleichzeitig streicht er aber öffentliche Beschäftigungsprogramme. Wie schon im Wahlkampf bleibt er nebulös und entgegen allen Wahlversprechen werden in der PP auch Steuererhöhungen diskutiert, um die Steuererleichterungen gegenfinanzieren zu können.

Nach acht Jahren war es nun für den ultrakonservativen Rajoy nun soweit. Der PP-Chef konnte als designierter Ministerpräsident vor das Parlament treten, um die Antrittsrede zu halten. Er wird nach den Einwendungen und Fragen der Opposition heute gewählt und danach am Mittwoch von König Juan Carlos vereidigt. Daran besteht kein Zweifel, denn die PP hat am 20.November knapp 45% der Stimmen hinter sich gebracht und verfügt im Kongress nun mit 53% der Sitze über eine komfortable absolute Mehrheit im Kongress (Rechte Volkspartei gewinnt spanische Wahlen).

Mariano Rajoy bei seiner Antrittsrede vor dem Parlament. Bild: PP/CC-Lizenz Reconocimiento no comercial 3.0 España

Mit Spannung war die Antrittsrede des Konservativen erwartet worden, der sich im Wahlkampf darüber mehr als bedeckt gehalten hatte, wo er die Schere ansetzen will und wie er das hohe Haushaltsdefizit, das 2010 noch 9,3% betragen hat, senken will. Da sich Rajoy bis heute nicht festgelegt hat, gab es bisher auch noch keine Demonstrationen der Gewerkschaften, welche die PP-PP-Generalsekretärin Maria Dolores de Cospedal angesichts harter Einschnitte vor den Wahlen schon vollmundig angekündigt hatte.

Der designierte Regierungschef hat zwar allgemein Sparmaßnahmen im Haushalt von insgesamt 16,5 Milliarden Euro angekündigt, um damit sicher zu stellen, dass Spanien seinen Verpflichtungen gegenüber der EU-Kommission nachkommt, um das Haushaltsdefizit 2012 auf 4,4% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu drücken. Doch sehr konkret wurde er dabei nicht. Sogar auf diese Zahl wollte er sich nicht festlegen, denn dafür müssten sich die die Prognosen der sozialistischen Vorgänger bestätigen. Damit öffnete er sich eine Hintertür für neue Maßnahmen, wenn die Vorgänger das Budgetdefizit 2011 nicht wie prognostiziert auf 6% gesenkt haben. Das bezweifeln viele Beobachter, da vor allen aus den Regionen hohe Defizite gemeldet werden, in denen die Konservativen regieren.

Schwierigkeiten beim Sparen

Entgegen der angeblichen radikalen Sparpolitik kündigte Rajoy als Weihnachtsgeschenk in seiner Rede an, dass die eingefrorenen Renten am 1. Januar wieder an die Inflationsrate angepasst werden. "Das wird aber die einzige Ausgabenerhöhung sein, die sie heute von mir zu hören bekommen", hat er behauptet. Auf Nachfrage bestätigte er aber, dass das Renteneintrittsalter nicht wieder herabgesetzt wird. Dabei hatte er einst scharf gegen die Einführung der Rente mit 67 polemisiert. Während alle anderen Ausgabenposten gekürzt werden könnten, haben die Rentner zum Jahresbeginn etwa 3% mehr zu erwarten. Rajoy hatte im Wahlkampf versprochen, ihre "Kaufkraft zu erhalten". Damit wird die Rentenanhebung neue Löcher in die Staatskassen reißen.

Dass es sich dabei um die "einzige und exklusive" Ausgabenerhöhung handelt, ist nur scheinbar richtig. Obwohl Rajoy von einer Lage für Spanien sprach, "die düsterer nicht sein kann", verteilte er weiter Geschenke. In Form von Steuersubventionen werden dem Staat deshalb geplante Einnahmen entgehen. Denn er will zum Beispiel den superreduzierten Mehrwertsteuersatz beim Kauf einer Wohnung beibehalten. Erst im Sommer hatte die PSOE diese Steuer auf nun sogar 4% halbiert, während sie die allgemeine Mehrwertsteuer zuvor auf 18% angehoben hatte. Damit wollte sie den Verkauf von hunderttausenden leerstehenden neuen Wohnungen fördern und diese Maßnahme sollte am 31. Dezember auslaufen.

Dabei handelt sich um eine versteckte Rettung angeschlagener Kreditinstitute. Banken und Sparkassen mussten nach dem Platzen der Immobilienblase zahllose Immobilien in ihre Bücher nehmen und leiden immer stärker unter Kreditausfällen. Am Montag hat die spanische Zentralbank bekannt gegeben, dass die Zahl fauler Kredite im Oktober auf einen neuen Rekordwert von 7,42% gestiegen ist.

Doch Rajoy hatte weitere Geschenke in seinem Sack. So sollen die Firmen nun erst die Umsatzsteuer an die Finanzämter zahlen, nachdem sie sie real eingenommen haben und der Kauf der Hauptwohnung soll wieder für alle steuervergünstigend wirken. Denn um Steuereinnahmen zu steigern, hatten die Sozialisten (PSOE) 2009 eine Schwelle eingezogen. Nur bis zu einem Jahreseinkommen von 24.000 Euro im Jahr gab es noch Steuervergünstigungen für den Kauf einer Wohnung.

Damit weitet Rajoy die Unterstützung angeschlagener Banken zu Ungunsten des Staatshaushalts noch deutlich aus. Im Gegenzug deutete er an, er wolle die Banken zwingen, alle faulen Immobilienkredite offen zu legen. Denn längst ist allen klar, dass noch viele dubiose Kredite in den Bilanzen der Kreditinstitute verschleiert werden. Er will so neue Fusionen erzwingen, um den Sektor zu stärken. Damit müsste der Staat aber, wie in den beiden vorangegangenen Sparkassenreformen erneut Milliarden an Steuergeldern locker machen.

Es handelt sich dabei also um Maßnahmen, die den Staatshaushalt deutlich belasten werden. Denn auf der einen Seite sind Ausgabenerhöhungen geplant und auf der anderen Seite stehen deutliche Einnahmeausfälle im Programm. Wie damit das Defizitziel erreicht werden kann, ist weiter ein großes Geheimnis der neuen Regierung. Ohne massive Steuererhöhungen wird das kaum gehen. Tatsächlich hat die PP sie schon in den Raum gestellt. Zwar kündigte sie nicht Rajoy im Parlament an, sondern die PP-Generalsekretärin seiner Partei. María Dolores de Cospedal hebt schon jetzt darauf ab, dass das Defizit 2011 wohl real über der Marke von 6% liegen dürfte. Im Interview sagte sie am Montag, zwar habe man im Wahlkampf versprochen, keine Steuern zu erhöhen, "doch wenn das Defizit höher als erwartet ausfällt, muss die Regierung handeln".

Angesichts der vielen Geschenke fragten sich auch die Oppositionsparteien, wie er sie gegenfinanzieren will. Deshalb wollte der frühere Innenminister Alfredo Pérez Rubalcaba nun von Rajoy wissen, ob er vorhabe, die Mehrwertsteuer weiter zu erhöhen. Außer der Einkommenssteuer ist das die Steuer, die viel Geld in die Kassen spült, aber Menschen mit geringen Einkommen überdurchschnittlich belastet. Spanier liegt mit 18% auch unter dem Satz seiner Nachbarn. Frankreich erhebt 19,6% und Portugal sogar schon 23%. Der Nachfrage des Wahlverlierers und Oppositionsführers wich der neue Regierungschef aber aus. Er erklärte nur allgemein, er sei "nicht seine Intention, Steuern zu erhöhen".

Strategie des Verschiebens

Doch Rajoy blieb weiter nebulös und schwammig, woher die vielen Milliarden kommen sollen. Insgesamt wurde deshalb die allgemein "fehlende Konkretisierung" der Maßnahmen kritisiert. Das warfen ihm auch die konservativen Nationalisten in Katalonien vor. So warnte der Sprecher der CiU im Kongress, Josep Antoni Duran Lleida, dass Rajoy sich "über die harten Maßnahmen ausschweigt". Er hätte sich eine Rede nach Winston Churchill gewünscht, die "Blut, Schweiß und Tränen" ankündigt. Er befürchtet aber, dass die PP unter dem angeblichen Sparzwang eine weitere Zentralisierung zu Lasten von Katalonien anstrebt. Einige staatliche Einrichtungen sollten umstrukturiert oder ganz abgeschafft werden, hatte Rajoy angekündigt.

Konkret wurde an geplanten Sparmaßnahmen nur klar, dass freie "Brückentage" zwischen Feiertagen und Wochenenden abgeschafft werden sollen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, wie es die Arbeitgeber forderten. Die Festtage - mit Ausnahme der wichtigsten Feiertage – sollen jeweils auf den nächsten Montag verlegt werden. Klar ist auch, dass die Bezüge der Beschäftigten im öffentlichen Dienst eingefroren bleiben sollen. Gespart werden soll in diesem Bereich ganz besonders. Freiwerdende Stellen sollen zukünftig nicht mehr besetzt werden. Ausgenommen sind undefiniert nur "grundlegende Dienste" und die "Sicherheitskräfte". Das erstaunt, schließlich hat die baskische Untergrundorganisation ETA hat angekündigt, den bewaffneten Kampf einstellen zu wollen und die "Entwaffnung auf der Agenda" zu haben.

Zu dieser Frage schwieg sich der designierte Regierungschef ebenso aus, wie er sich zu vielen anderen sensiblen Bereichen nicht positionierte. Das galt auch für dringende Fragen nach einer vernünftigen Lösung für das unterfinanzierte Katalonien, der zukünftigen Energiepolitik und welche Rolle Atomkraftwerke darin spielen sollen, nach Forschung und Entwicklung und der Bildungspolitik, um einige gravierende Beispiele zu nennen, wo man eine Stellungnahme erwartet hatte. Doch offenbar will Rajoy seinen Landsleuten das Weihnachtsfest nicht verderben und verschiebt die unpopulären Maßnahmen in den Januar.

Einschreiten will Rajoy, um die Frühverrentung und den Missbrauch von Arbeitslosengeld zur verdeckten Frühverrentung zu stoppen. Da er sich zur Mietbeihilfe von 210 Euro für junge Menschen nicht geäußert hat, dürften die Tage dafür gezählt sein. Das gilt wohl auch für das Sozialgeld von 400 Euro für sechs Monate, wenn der Anspruch auf Arbeitslosengeld erloschen ist. Beides wurde von der PSOE in der Krise befristet eingeführt und ohnehin schon längst gekürzt. Bisher hatten die Sozialisten die Maßnahmen stets verlängert und alles spricht dafür, dass sie nun der Sparschere zum Opfer fallen.

Die neue Regierung setzt irgendwie darauf, die Konjunktur anzukurbeln. Wie sie das schaffen will, blieb in den Ausführungen von Rajoy völlig unklar. Das galt auch dafür, dass er angekündigt hat, die "Kräfte darauf konzentrieren, neue Arbeitsplätze zu schaffen". Dabei kündigte er an, die öffentliche Arbeitsförderung zu streichen, womit die Arbeitslosigkeit noch zusätzlich ansteigen dürfte.

Anders als bei seinem Wahlsieg wurde die Antrittsrede an den Finanzmärkten nicht mehr frostig aufgenommen. Der spanische Leitindex IBEX schloss mit einem leichten Plus von 0,6%, während andere europäische Börsen im Minus schlossen. Das galt für Frankfurt, London und Mailand. Auch der Risikoaufschlag für zehnjährige Staatsanleihen ging auf 330 Basispunkte zurück.

Genau umgekehrt verhielt es sich aber für Italien. Denn der Zinsunterschied zu Bundesanleihen stieg wieder auf fast 500 Punkte. Damit muss Italien fast 5 Prozentpunkte höhere Zinsen zahlen als Deutschland, was sich das Land angesichts der extremen Verschuldung noch weniger leisten kann als Spanien. Doch offensichtlich traut man an den Finanzmärkten dem konservativen Spanier noch mehr zu als dem konservativen "Technokraten" Marion Monti, der kürzlich dort die Regierungsgeschäfte übernommen hat (Regiert Goldman Sachs nun in Italien?).