Erneuerbare Energien: Kanada gibt Gezeitenkraft neue Chance

In Neuschottland wird eine experimentelle Turbine in der Bay of Fundy versenkt. Dort gibt es den höchsten Tidenhub der Welt. Die Energiebranche hofft auf, Umweltschützer fürchten die erneuerbare Energiequelle.

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Turbine auf Lastkahn

Die Turbine bei Fundamentarbeiten im Hafen Halifax' bei Regen

(Bild: Christopher Briand/Critical Exposure)

Lesezeit: 4 Min.
Inhaltsverzeichnis

Die Turbine auf ihrem Lastkahn mit Begleitschiffen im Morgengrauen kurz vor dem Auslaufen

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Die Kraft der Gezeiten wird kaum für die Stromproduktion genutzt. Die kanadische Atlantikprovinz Neuschottland möchte das ändern. Aber auf umweltschonende Weise, weshalb Staudämme nicht mehr in Frage kommen. Vielmehr sollen Turbinen im Meer versenkt werden, um die Energie der natürlichen Meeresströmung zu nutzen. Nachdem 2009 ein erster Versuch gescheitert war, gibt es am Montag nach einigen Verzögerungen einen neuen Anlauf mit einem neuen Design.

Zur Stunde laufen die Arbeiten im Minas-Becken, einem Seitenarm der Bay of Fundy. Das Unternehmen Cape Sharp Tidal versenkt seine erste Turbine, die bis zu zwei Megawatt leisten soll. Die Firma ist ein Joint Venture des französischen Waffen- und Nuklearenergie-Konzerns DCNS mit dem neuschottischen Strommonopolisten Emera.

Mit 16 Metern Turbinendurchmesser, 20 Metern Gesamthöhe und etwa Tausend Tonnen Gesamtgewicht ist die Turbine so riesig, dass für den Transport ein eigener Lastkatamaran konstruiert werden musste. Die große Masse erübrigt eine Verankerung im Meeresboden.

Die Bay of Fundy liegt zwischen Neubraunschweig im Norden und der Halbinsel Neuschottland im Süden.

(Bild: Decumanus CC-BY-SA 3.0)

Die Bay of Fundy liegt zwischen Neuschottland und Neubraunschweig und weist den höchsten Tidenhub (Differenz zwischen Hochwasser und Niedrigwasser) der Welt auf. Am Burntcoat Head wurden mehr als 16 Meter Tidenhub gemessen. Deutlich mehr als Hundert Milliarden Tonnen Wasser strömen alle zwölfeinhalb Stunden mit ein bis zwei Metern pro Sekunde in die Bay of Fundy und wieder hinaus.

Das Minas-Becken ist ein Nadelöhr. Dort erreicht die Fließgeschwindigkeit gut fünf Meter pro Sekunde. Außerdem herrscht praktisch durchgehend Strömung, so dass rund um die Uhr Strom produziert werden kann. So zumindest die Hoffnung. 2009 war bereits einmal eine Turbine in der Bay of Fundy installiert worden. Die Strömung war jedoch so stark, dass die beweglichen Teile der Turbine weggerissen wurden und nur das Gehäuse geborgen werden konnte. Die Ingenieure mussten zurück ans Reißbrett.

Im Minas-Becken wurde ein 1,6 Quadratkilometer großes Gebiet definiert, in dem sich verschiedene Turbinendesigns beweisen sollen. Unter Aufsicht der Forschungseinrichtung FORCE (Fundy Ocean Research Centre for Energy) sollen bis zu fünf Unternehmen ihre sehr unterschiedlichen Turbinendesigns ausprobieren. Dabei soll geklärt werden, wie effizient und dauerhaft welche Konstruktion ist, ob finanzielle Wettbewerbsfähigkeit mit anderen Energieträgern möglich ist, und welche Auswirkungen es auf die Meeresfauna gibt.

Jeremy Poste, Country Manager Canada bei Cape Sharp Tidal, neben einem nicht exakten Turbinenmodell

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Letzteres ist gerade in Neuschottland, wo der Fischfang ein bedeutender Wirtschaftszweig ist, ein heikles Thema. Fischer und Indianer fürchten negative Auswirkungen und kritisieren, dass die Erfassung der "Vorher"-Situation unzureichend gewesen sei. Auch gering ausgeprägte Auskunftsbereitschaft der Betreiberfirma stieß ihnen sauer auf. Sie haben vergeblich vor Gericht versucht, die Installation der Turbine zu stoppen.

Cape Sharp Tidal ist das erste von voraussichtlich vier Unternehmen, die im Minas-Becken testen werden. Die Firma hält ihr Design für ungefährlich. Die Rotorblätter würden sich nur langsam drehen und die Turbine sei in der Mitte offen, so dass Fische durchschwimmen können. Der Generator sitzt nämlich nicht in der Mitte, sondern im äußeren Ring. Lärmentwicklung soll angesichts des natürlichen Geräuschpegels unmerklich sein. Im Gespräch mit heise online erklärte Manager Jeremy Poste, dass auch keine Schmiermittel auslaufen können, weil keine eingesetzt werden. Meerwasser soll für die Schmierung sorgen.

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Eigentlich produziert Neuschottland schon seit über 30 Jahren Strom aus Gezeitenkraft. 1984 wurde in Annapolis Royal, ebenfalls an der Bay of Fundy, ein Vorführwerk gebaut, fand aber keine Nachahmer. Damals setzten die Ingenieure auf Dämme. In einer Bucht wird einflutendes Meerwasser aufgestaut und bei Ebbe wieder abgelassen.

Doch eine Bucht abzuschließen hat erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt. Außerdem kann mit dieser Methode nur bei Ebbe Strom erzeugt werden, während die in der Meeresströmung installierten Turbinen bei beiden Strömungsrichtungen arbeiten sollen. Wenn alles glatt läuft, wird in etwa zwei Wochen erstmals elektrischer Strom aus dem Minas-Becken in das öffentliche Stromnetz eingespeist werden. (ds)