The Last Guardian angespielt: Der Widerspenstigen Zähmung

Nach zehn Jahren Entwicklungszeit kommt heute The Last Guardian für die PS4 auf den Markt. Das Spiel unterscheidet sich maßgeblich vom typischen Einheitsbrei und fasziniert auch ohne lange Worte.

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The Last Guardian angespielt: Der Widerspenstigen Zähmung

(Bild: Sony)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Peter Kusenberg
Inhaltsverzeichnis

Heute, am 7. Dezember 2016 will Sony "The Last Guardian", das ungewöhnliche Werk des japanischen Regisseurs Fumito Ueda veröffentlichen. Ursprünglich für die PS3 geplant, wurde der Titel mehrfach umgestellt und erscheint nun nur für die PS4 und PS4 Pro. Mit seinem ungewöhnlichen Spielkonzept sperrt es sich gegen gängige Genreschubladen und schickt den Spieler als kleinen Jungen auf eine ungewöhnliche Reise mit einem bemerkenswert animierten Mischwesen.

Zu Beginn erwacht ein etwa neunjähriger Junge in einer Höhle, in der er eine riesige Chimäre entdeckt, halb Katze, halb Vogel. Er nennt sie Trico und gewinnt sein Zutrauen, indem er das Tier füttert und Lanzen aus seinem Körper zieht. Als ungefährlich erweist sich das Unterfangen nicht, denn Trico ist anfangs misstrauisch und erwehrt sich der Annäherungen des Jungen. Bald verlassen die beiden gemeinsam das Verlies und klettern durch eine gigantische Welt, die teils aus Höhlen, teils aus Tempelruinen besteht.

Während des beschwerlichen Vorankommens muss der Junge Hebel ziehen und Tore öffnen, während Trico mit einem Blitz aus seiner Schwanzspitze Holztüren zerstört. Den Blitz setzt er immer dann ein, wenn der Knabe eine magische Scheibe hochhält und den darauf gebrochenen Lichtstrahl zur gewünschten Blitzeintrittsstelle lenkt. Fliegen kann Trico nicht, doch er springt über weite Distanzen, ob der Junge sich in seinem Gefieder festklammert oder nicht.

The Last Guardian (8 Bilder)

Trico ist kein serviles Haustier, sondern eine Kreatur mit eigenem Willen und eigenen Launen.
(Bild: Sony)

Das Zusammenspielt der beiden funktioniert gut, denn die Fähigkeiten der Helden ergänzen einander. Sie verstehen sich zunehmend besser, wenn auch das Tier keine direkten Befehle ausführt. Die Unberechenbarkeit macht indes den Reiz von The Last Guardian aus: Der Spieler erlebt ein Wesen, das einen eigenen Willen zeigt, mitunter über ein Plateau streift, sehnsuchtsvoll zum Himmel hinauf blickt oder zögert, den Weg fortzusetzen. Der Junge kann es locken, und meist folgt Trico dem Ruf. Wenn geisterhafte Ritter den Jungen ergreifen und fortschleppen wollen, mischt sich Trico ein, tötet die Ritter und befreit den Jungen. Danach schnaubt und springt das Tier vor Wut in die Höhe, bis der Junge es durch Streicheleien beruhigt und die Speere der Ritter aus dem Gefieder gezogen hat.

Die Welt, durch die die beiden reisen, breitet sich aus als ein menschenleerer und großer Hindernisparcours. Die Höhlen, Bergtäler und gigantischen Tempelanlagen wirken beeindruckend, ähnlich wie die Kulissen in Fumito Uedas beiden vielgelobten Vorgängern "Ico" und "Shadow of the Colossus". Manchmal lohnt es sich, den Jungen in Tricos Gefieder klettern zu lassen, denn einige Passagen lassen sich nur überwinden, indem Trico einen großen Satz macht, während der Junge auf seinem Rücken sitzt.

So besteht denn auch die Hauptaufgabe darin, herauszufinden, wo es weitergeht und wie man Trico klarmacht, was es als nächstes tun soll. Dabei kommt das Spiel mit Ausnahme einiger eingeblendeter Symbole ohne Tutorials oder lange Erläuterungen aus. Der Spieler muss selbst erforschen, wie die Dinge funktionieren. Es gibt keine Lebenskraftanzeige, keine Karte, nicht einmal einen Kompass. Durch Herumlaufen, Ausprobieren und Kletterversuche findet der Spieler früher oder später den Weg. In den ersten Spielstunden stellte sich nie Frustration ein, denn im Zweifelsfall kauert sich der Junge im Schneidersitz auf den Boden, so dass die japanische Stimme des Ich-Erzählers aus dem Off erklingt und einen kurzen vagen Hinweis (mit Untertiteln) auf das nächste Ziel gibt. Beim Erzähler handelt es sich offenbar um den Jungen selbst, der mittlerweile alt geworden ist und von seinem Kindheitsabenteuer berichtet.

Die gleiche Ruhe wie in Uedas bisherigen Spielen herrscht auch in The Last Guardian. Der Spieler hört das Schnaufen des Tiers, Wassergeplätscher und einige Steine, die sich unter Tricos mächtigen Tritten lösen. Davon abgesehen flattern vielleicht einige Schmetterlinge durch die Luft, untermalt von dezenten Orchesterklängen des japanischen Komponisten Takeshi Furukawa.

Diese Entschleunigung erlaubt es dem Spieler, jederzeit innezuhalten, zu lauschen, zu gucken und zu staunen. Man muss sich noch nicht einmal einen Kopf um Speicherstände machen, denn die legt das Spiel automatisch im Hintergrund an. Zwar wirkt die Level-Architektur zuweilen etwas altbacken, insbesondere im Vergleich mit aktuellen Action-Titeln wie Dishonored 2. Doch das ruhige majestätische Ambiente stellt einen angenehmen Kontrapunkt dar zu den sonst überfüllten Spielwelten moderner Actiontitel.

Was es mit Trico auf sich hat, weiß der Spieler nach den ersten Spielstunden noch nicht. Immerhin erhält man einen Hinweis darauf, dass er offenbar kein Unikat ist und eine besondere Funktion in dieser wundervollen Welt innehat.

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Während der insgesamt dreistündigen Spielsitzungen fielen uns keine schwerwiegenden Fehler auf. Hier und da verschwanden Körperteile in Wänden, ein paar Clipping-Fehler machten sich bemerkbar. Der erste Patch umfasst 1,1 GByte und soll Probleme auf der PS4 Pro beheben. Dessen höhere Rechenleistung nutzt The Last Guardian für eine etwas aufgehübschte Grafik. Zudem lässt es sich mit erhöhten Farbkontrasten in HDR ausgeben, was das Licht- und Schattenspiel in den Ruinen noch einmal betont. Im Test lief das Spiel stabil und mit genügend hoher Framerate. Die Ladezeiten dauern wenige Sekunden, Ladepausen gibt es nur beim Start und im Unglücksfall.

Gegenüber der Gamescom-Version im Sommer hat Ueda die Steuerung noch einmal verbessert. Der Junge kann sich jetzt leichter Festhalten, ohne dass der Spieler andauernd den Trigger-Hebel des Gamepad halten muss. Trotzdem springt der Junge so manches Mal daneben, vor allem, wenn er von Tricos Kopf auf höhere Plateaus steigen will und sich die Chimäre plötzlich schüttelt oder wegbewegt.

Purzelt er hinunter, rappelt er sich auf und wiederholt die beschwerliche Kletterpartie durch Tricos Gefieder. Zwar hält die Kamera Szenen besser im Blick als noch in der Vorab-Demo. Trotzdem kommt es zuweilen vor, dass sich die Ansicht in einem engen Tunnel oder an einer Wand nicht drehen lässt; dann sieht der Spieler einen überwiegend schwarzen Bildschirm und kann nur raten, wohin er seinen Protagonisten steuert. Zum Glück stellen derartige Verwirrungen die Ausnahme dar.

The Last Guardian ragt aus der Masse der Videospiele heraus. Sicher ist es mit seinem ruhigen Spielverlauf und der manchmal etwas sperrigen Steuerung nicht jedermanns Sache. Doch es fasziniert zugleich mit seiner entspannenden Atmosphäre und der herausragenden Animation von Trico. Ueda hat es tatsächlich geschafft, der Chimäre so Leben einzuhauchen, dass der Spieler es als lebendiges Wesen mit eigenem Willen anerkennt, und nicht bloß als KI-gesteuerte Marionette. Ganz ohne Worte drückt das Tier vielfältige Gefühle aus, die einem näher gehen als jede überfrachtete Action-Szene in anderen Spielen. Gerade diese Unwägbarkeiten, wie sich Trico bei den Aufgaben verhält, machen The Last Guardian zu einer besonderen Spielerfahrung – man muss sich nur darauf einlassen.

Das Spiel erscheint nur für die Playstation 4 und PS4 Pro, es ist im Handel und im Playstation Store für rund 60 Euro erhältlich. Ein Mehrspielermodus fehlt. Die Spieldauer beträgt nach unserer unverbindlichen Hochrechnung etwa zehn Stunden. (hag)