Die ICANN unter Beschuss vor dem US-Kongress

Die Organisation für die Internet-Verwaltung bedürfe einer dringenden Reform; man hoffe, die ICANN werde dies freiwillig angehen.

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Von
  • Monika Ermert

Zum zweiten Mal stand gestern die Internet- und Namensraum-Verwaltung Internet Corporation of Assigned Names and Numbers (ICANN) vor einem Ausschuss des US-Kongresses. Und die Abgeordneten kündigten bereits an, dass es sich nicht um die letzte Anhörung handeln werde. Bei der gestrigen Anhörung kritisierten die Abgeordneten vor allem den Auswahlprozess der sieben neuen generic Top Level Domains (gTLD). Man müsse sich fragen, ob sich ICANN durch die Unfairness des Auswahlprozesses nicht das Misstrauen, ja geradezu die Abscheu in der Öffentlichkeit eingehandelt habe, sagte der demokratische Abgeordnete John Dingell. Dingell verknüpfte, ebenso wie seine Kollegen, allerdings die grundsätzliche Frage damit, ob ICANN sein technisches Mandat nicht bereits weit überschritten habe und ein echtes Regulierungsgremium geworden sei, das niemandem rechenschaftspflichtig sei, "außer vielleicht dem lieben Gott". Die ICANN bedürfe einer dringenden Reform, forderten die Abgeordneten, man hoffe, die Organisation werde dies freiwillig angehen. Bereits am kommenden Freitag wird sich nun ein Ausschuss des Senates mit der ICANN befassen. Ein weiteres Kongresshearing mit den fünf, von den normalen ICANN-Mitgliedern gewählten At-large-Direktoren wurde erwogen.

Mehrere Abgeordnete bezeichneten im Verlauf der zweieinhalbstündigen Anhörung die gTLD-Auswahlentscheidung im November als unfair und nicht transparent. "Viele der geladenen Zeugen sind ganz offensichtlich der Meinung, dass der Prozess völlig verfahren ist, und ich habe Anlass zur Annahme, dass sie Recht haben", kritisierte Dingell die ICANN bereits in seinem Auftaktstatement. Eine Rechtfertigung werde der ICANN wohl sehr schwer fallen, meinte Dingell.

Tatsächlich hatte Vint Cerf, Vorsitzender des ICANN-Vorstands, einen schweren Stand. Weder konnte er den Abgeordneten eine genaue Zahl nennen, wie viele der 44 Bewerber technisch akzeptabel gewesen seien, musste aber eingestehen, dass es auf jeden Fall mehr als sieben waren. Auch hatte er keine gute Antwort auf die Frage, warum man im Falle der begehrten .web-Domain Rücksicht auf die bestehende alternative Rootzone genommen hatte, nicht aber im Falle von .biz.

Leah Gallegos, der seit 1999 eine .biz-TLD betreibt, erinnerte daran, dass die ICANNs Vorgänger die IANA den "Alternativen" neue gTLDs zugesagt hatte. "Aber leider haben wir die nie bekommen." Im ICANN-Verfahren habe man sich nicht bewerben können, da die Gebühr von 50.000 US-Dollar von einem kleinen Unternehmen wie seinem nicht aufgebracht werden könne. Auf die Frage, ob ICANN das Recht habe, "sich einfach über eine solche alternative Rootzone hinweg zu setzen", beharrt Cerf darauf, dass ICANNs Auftrag für ihn mit dem Bekenntnis zu einer zentralisierten Rootzone verbunden sei. ICANN könne Kollisionen mit den alternativen Rootzonen nicht verhindern, diese hätten aber ihrerseits bereits "der Architektur einen gewissen Schaden" zugefügt.

Ein Nachspiel könnte haben, dass Cerf auf die Frage nach der 50.000-Dollar-Gebühr sagte, man habe inzwischen die Hälfte der Summe ausgegeben. Das würde bedeuten, dass für die vom ICANN-Chef angeführten Verhandlungskosten mit den sieben Gewinnern die Verlierer mit aufkommen müssen. Die Vertreter von Register.com (.pro) und NeuStar (.biz) erklärten vor den Abgeordneten brav, dass ihrer Meinung nach das Auswahlverfahren ganz korrekt abgelaufen sei. Einzige Verbesserungsvorschläge von ihrer Seite: Ein weniger gedrängter Zeitplan (Elana Broitman, Register.com) und härtere Kriterien in Bezug auf technische Kompetenz bei der Vorauswahl (Ken Hansen, Neustar).

Immerhin einen Sieg konnte die ICANN verzeichnen: Einen kompletten Neuanfang der Reform des DNS will niemand so richtig. "Ich fürchte, wenn wir dem Monster den Kopf abschlagen, wachsen ihm womöglich zwei nach", sagte selbst Gallegos, die allerdings für die Koexistenz mehrerer Rootzones plädierte. "Wir sind nicht gekommen, damit uns der Kongress .travel gibt", sagte der Vertreter der IATA, David Short. Es gehe ihm lediglich darum für die Zukunft einen fairen, transparenten Prozess zu bekommen. An der Frage, ob die ICANN an öffentliche Ausschreibungsverfahren nach US-amerikanischem Stil gebunden sein sollte oder nicht, zeigte sich, dass der internationale Charakter der ICANN in der US-Diskussion nicht grundsätzlich anerkannt ist.

Der Jurist Michael Froomkin warnte erneut davor, der ICANN außer rein technischen auch Regulierungsaufgaben zu übertragen, die nur von der öffentlichen Hand übernommen werden könnten. Er hatte bereits im vergangenen Jahr ICANNs politischen Spielraum als nicht mit der US-Verfassung vereinbar bezeichnet. Und wer soll die "Bill of Rights" für das Internet schreiben, die ICANN oder der Kongress, fragte abschließend der Abgeordneten Charles "Chip" Pickering. "als wir ICANN gründeten war das wie eine Verfassung des Internet." Er hoffe, dass ICANN die mit seiner Gründung verbundenen Erwartungen endlich erfülle, betonte Pickering, und ein offener, allen zugänglicher Grassroot-Prozess werde. Wie ICANN seine Aufgaben erledigen soll, gar eine "Verfassung im Interesse der Internetnutzer" verabschieden soll, ohne Politik zu machen, bleibt ein Rätsel. (Monika Ermert) / (jk)